Kaiser Heinrich

[190] Herzog Heinrich war's von Baiern,

Der sich in der Mitternacht,

Wo die frömmsten Brüder feiern,

Hin zur Kirchen aufgemacht.

Ernste Bilder nach ihm fassen,

Treiben ihn zum Beten an,

Durch die Regenspurger Gassen

Geht er nach Sankt Heimeran.
[190]

Junges Heldenantlitz betend

Möcht' ein schöner Anblick sein,

Dieser zum Altare tretend

Kniet umnachtet und allein.

Vor den Augen gar die Hände,

Drückend jedes Bild zurück,

Fleht er um ein sel'ges Ende,

Nicht um irdisch Heil und Glück.


Als er aufstand, schien's vom Rücken

Ueber ihn, als wie ein Licht,

Staunend thät er um sich blicken,

Sieht ein heil'ges Angesicht.

Hochaltar und Kreuz verklärend

Dort ein lichter Bischof stand,

Der mit hoher Hand, wie schwörend,

Zeigte nach der Kirchenwand.


Mit den Fingern, wie mit Kerzen,

Leuchtet er auf eine Schrift,

Wo der Fürst mit bangem Herzen

Auf ein römisch Sechse trifft.

»Will mich Gott so bald erhören?

Herr, ich glaub's auf Eure Hand,

Hebt sie nicht so ernst zum Schwören!«

Sprach der Held, und Alles schwand.


Wie sechs Stunden sind vergangen,

Harrt' er fromm auf seinen Tod,

Doch es schien ihm auf die Wangen

Lebenshell das Morgenrot.

Wie der sechste Tag gekommen,

Er bereit und fertig ist,

Doch es giebt der Herr dem Frommen

Neue heitre Lebensfrist.


Darum hält er an mit Beten,

Bis der sechste Mond erscheint,

Würd'ger stets vor Gott zu treten,

Doch es war nicht so gemeint.[191]

Aber ernste Todsgedanken

Wandeln mit ihm immerdar,

Und so lebt er sonder Wanken

Heilig bis in's sechste Jahr.


Und in hoher Kirche stand er

Leuchtend um das sechste Jahr,

Und auf seinem Haupte fand er

Röm'sche Königskrone gar.

König Heinrich war's der Zweite,

Herr von allem deutschen Land,

Der von dort an ward bis heute

Stets der Heilige genannt.


Zwei und zwanzig Jahre heilig

Herrscht' er ohne Fluch und Spott,

An die röm'sche Sechse treulich

Dacht' er, und an Tod und Gott.

Weil er fertig war zum Sterben

Hielt ihn Gott des Lebens wert,

Weil den Himmel er konnt' erben,

Ward ihm auch das Reich bescheert.

Quelle:
Gustav Schwab: Gedichte. Leipzig [um 1880], S. 190-192.
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