Soldatenrache

[239] Trommel schallt,

Lustig wallt

Auf dem Weg Turenne's Heer,

Wie die Flut im blauen Meer,

Alles zieht

In geschlossnem Glied.


Einer nur

Durch die Flur

Schlendert seitwärts von der Schar,

Nimmt der strengen Zucht nicht wahr,

Lehnt am Baum

Im Gedankentraum.


Bald erwacht

Er nicht sacht.

Denn der Marschall stieß mit Zorn

In sein schnelles Roß den Sporn,

Jenem gab

Grimmen Streich sein Stab.


»Fort von hier,

Musketier!

Willst du schnell in Reih und Glied?«

Doch ein dunkles Auge sieht

Unterm Hut

Zu ihm auf in Glut.


Herr! Euch reut,

Daß Ihr heut

Einen Braven unbefugt

Um des kleinen Fehles schlugt!« –

Murrt's in Bart

Nach Soldatenart.


Trommel schallt,

Feld und Wald

Zieht das stolze Heer entlang:

Hoch vom Felsenüberhang

Aus dem Moos

Ragt es riesengroß.
[240]

Finster liegt

Nie besiegt,

Nicht vom Hunger, nicht vom Sturm,

Dort die Veste Thurm an Thurm.

»Auf zum Wall!«

Ruft der Feldmarschall.


Zögernd sieht

Glied um Glied

An dem steilen Stein empor,

Endlich treten zwanzig vor:

»Folget mir!«

Ruft ein Musketier.


Pulverdampf,

Sturm und Kampf;

Von der Leiter stürzen viel!

Jetzund oder nie an's Ziel!

Einer steht

Von der Fahn' umweht.


Jubelschall

Tönt vom Wall.

»Sagt, wer drang so kühn empor,

Sagt, wer öffnet uns das Thor?« –

Durch den Schwall

Ruft's der Feldmarschall.


Und zur Stund

Blutig wund,

Bringt man einen Musketier:

»Dieser Held ist's, dieser hier!

In dem Heer

Ist kein solcher mehr!«


Trommel schallt,

Und alsbald

Blinkt das grüßende Gewehr,

Und der Marschall reitet näh'r;

Und erschrickt,

Wie er den erblickt.
[241]

Unter'm Hut

Glüht aus Blut

Ein bekanntes Augenpaar –

Ist es möglich, ist es wahr?

Solches kann

Ein beschimpfter Mann?


Dieser spricht:

»Staune nicht;

Aber sag', ob dich nicht heut,

Daß du mich geschlagen, reut;

Ob nicht Scham

Auf die Stirn dir kam?«


Vor dem Heer

Athmet schwer,

Seinen Helm, lorbeerumlaubt,

Nimmt Turenn' vom Lockenhaupt;

Abgewandt

Reicht er ihm die Hand.


Trommel schallt,

Lustig wallt

Alles Heer mit Siegerschritt;

Wo ist, der so herrlich stritt?

Stille zieht

Er in Reih' und Glied.

Quelle:
Gustav Schwab: Gedichte. Leipzig [um 1880], S. 239-242.
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