Des Ritters von Gerhausen Schwur

[325] Der Ritter von Gerhausen

Liegt unter einem Stein,

Ein Meister hieb mit Grausen

Darauf sein Bildniß ein.

Von Ottern und von Schlangen

Zeigt es den Leib umstrickt,

Ganz mit Gewürm behangen,

Wie man ihn einst erblickt.


Ihm folgte solche Strafe

Hinab in's finstre Grab,

Weil er dem ew'gen Schlafe

Sich nicht in Gott ergab.[325]

Sonst dämpft die letzte Stunde

Den kecksten Uebermut,

Ihm tobt im innern Grunde

Die wilde Lebenswut.


Als vor sein Lager tretend

Der Priester sich geneigt,

Dem Sterbenden leis betend

Sein Kruzifix gezeigt:

Den Herrn, der auferstanden,

Betrachtet' er mit Neid,

Er schrie: »Aus Todes Banden

Hast du dich selbst befreit!


Mich lässest du verderben,

Und spottest meiner Not?

Ich will, ich will nicht sterben,

Ich streite mit dem Tod!

Und wenn sie mich getragen

Hinaus zur schnöden Ruh':

Ich schwör's, in dreien Tagen

Da steh' ich auf, wie du!«


Und kaum ließ er ihn tönen,

Den lästerlichen Schwur,

Als schon mit kurzem Stöhnen

Die grimme Seel' entfuhr.

Da konnte Keiner weinen,

Sie rüsteten die Gruft,

Es senkten ihn die Seinen

Hinab in Moderluft.


Doch sieh, am dritten Tage

Da schwankt der Kirche Rund,

Mit einem Donnerschlage

Fährt nieder es zum Grund,

Es hüllt in Qualm und Brodem

Der Chor sich plötzlich ein,

Und wie von Gottes Odem

Wälzt sich vom Grab der Stein.
[326]

Hat er den Tod geschlagen,

Kommt athmend aus dem Grab?

Es schaut das Volk mit Zagen

In seinen Schlund hinab.

O schrecklich Wunderzeichen,

O Leichnam, drin es gärt!

Leib, mehr denn andre Leichen

Vom Tod halbaufgezehrt!


An dem Gerippe hingen

Die Schlangen wie am Nest,

Und hielten, als mit Schlingen,

Es an die Grube fest.

Der wird nicht auferstehen,

Am jüngsten Tage nicht!

Der wird zu Staub verwehen –

So hält der Herr Gericht.


Mit Mühe schnell sie huben,

Auf legten sie den Stein,

Was sie geschauet, gruben

Sie zum Gedächtniß ein.

Noch sieht man drauf mit Grausen

Des Leichenbildes Spur:

Den Ritter von Gerhausen,

Der zu erstehen schwur.

Quelle:
Gustav Schwab: Gedichte. Leipzig [um 1880], S. 325-327.
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