7. Was den Königen auf ihrer Fahrt nach Bethlehem begegnet

[390] Wie lieblich grünend stehn die Auen,

Durch die der Pfad nach Bethlem führt,

Wie vollbelaubte Hügel schauen

Ins Thal, das keinen Winter spürt.

Es weiß nichts von des Hagels Schlägen

Und bleibt im Sommer unversengt,

Es wird zur Zeit der kalten Regen

Mit warmem Frühlingsguß besprengt.


Durch solches geht die Winterreise

Der Könige mit Lenzesmut;

Die Sonne sinkt, da gießt sich leise

Durch's grüne Feld Smaragdenglut.

Die Berge sind von Golde trunken,

Der Bäche Silber leuchtet fern;

Wohl ist die Sonne längst versunken,

Doch über ihnen geht der Stern.


Heut wandelt er mit ihren Tritten,

Er geht so fest, so rasch voran;

Ja, seine Stralen gleichen Schritten,

Und lassen Spuren ihrer Bahn.

Wie wenn ein lichter Regenbogen

Durch's Thal, nicht durch die Wolken geht,

So haben sie den Pfad gezogen

Und eine Furche Golds gesät.


Dort liegt an eines Hügels Saume

Gelagert eine Hirtenschar,

Erweckt aus ihrem ersten Traume

Hat sie der Stern so wunderklar.

Er deckt mit weißen, weichen Lichtern

Der Schafe schlummernd Häuflein ganz,

Und auf den frommen Angesichtern

Der Hirten spiegelt sich sein Glanz.


Da kommt der Fürsten Heer gezogen,

Die Hirten richten sich empor;

Auf flücht'gem Roß herbeigeflogen

Sprengt an der Tharsisfürst, der Mohr:[391]

»Erzittert nicht, ihr Hirtenleute!

Wir sind kein feindlich Kriegesheer;

Wir fallen nicht auf euch nach Beute,

Wir werfen nicht nach euch den Speer!«


Ihm tritt ein ernster Greis entgegen,

Neigt sich und spricht: »Gewalt'ge Herrn!

Es ist ein Wunder allerwegen:

Hier solches Heer und dort der Stern!

Doch schreckt uns nicht, was wir gewahren,

Und blendet dieser Glanz uns nicht,

Denn wißt, wir sahn des Himmels Scharen,

Und schauten mehr denn Sternenlicht.


Wir lagen still bei unsrer Heerde; –

Dreizehnmal ward seit dem es Nacht –

Da goß sich Klarheit auf die Erde,

Da wallt' ein Glanz um uns mit Macht,

Da hatt' im Kleid, aus Licht gewoben,

Ein Jüngling sich herab gesenkt,

Ein Hirte däucht' es uns, der droben

Des Himmels goldne Schafe tränkt.«


Er sprach: »Getrost! ich bin Verkünder

Des Heils, das heut euch widerfährt:

Euch ist der Heiland aller Sünder,

Der Christ, in Davids Stadt bescheert.

Bewahrt das Wort von meinen Lippen,

Sucht, bis das Zeichen sich erfüllt:

Ihr findet dort in einer Krippen

Ein Kind in Windeln eingehüllt!«


Er sprach's, und alsbald war die Menge

Der Himmelsscharen um ihn her,

Da rauschten selige Gesänge,

Da wogt' um uns des Lichtes Meer.

Wir aber gingen anzubeten,

Wir kennen unsern König jetzt:

Seit hat von Erden-Lust und -Nöten

Uns nichts erfreut, uns nichts entsetzt.«
[392]

Nun wurden Kön'ge bald und Hirten

In freudigen Gesprächen eins,

Und Beider Heerden traulich irrten

Vermengt im Glanz des Sternenscheins.

Da war nicht Jude mehr und Heide,

Sie waren Beid' ein Volk des Herrn.

Zu einem Reich berufen Beide,

Vom Engel die, und die vom Stern.

Quelle:
Gustav Schwab: Gedichte. Leipzig [um 1880], S. 390-393.
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