Elfter Auftritt.

[86] Die Vorigen. Zwei Gerichtsdiener. Mac-Irton. Gaveston. Der Gerichtsschreiber. Zwei Beisitzer.

Die Gerichtspersonen begeben sich hinter den Mitteltisch.

Die vier Diener stellen sofort die fünf Stühle an den Mitteltisch und ziehen sich dann nach hinten zurück.

Die Gerichtspersonen und Gaveston nehmen am Mitteltisch Platz.

Georg setzt sich links vorn.

Die zwei Gerichtsdiener schließen den Haupteingang, verlassen den Platz an der Thür und nehmen hinter Mac-Irton Aufstellung.


DIKSON zu den Pächtern.

Seid nun stille! – Seid nun stille!

MARGARETHE, JENNY UND FRAUEN unter sich.

Ich zitt're! ich bebe!

DIE PÄCHTER leise zu Dikson.

Deine Pflicht wirst du treu erfüllen,

Als ein kluger Mann zeigen dich.[86]

DIKSON leise zu den Pächtern.

Vertraut auf mich, vertraut auf mich!

Getreu befolg' ich euren Willen,

Eure Vollmacht ehre ich.

MAC-IRTON erhebt sich.

Ihr Herrn, die Sitzung beginnet.

Alle Sitzenden stehen auf.


ALLE.

Was nimmt das für ein Ende hier!? –

Mac-Irton nimmt die Kopfbedeckung ab.

Alle folgen seinem Beispiel.


MAC-IRTON nimmt die Pergamentrolle vom Tisch und liest.

Auf den Befehl des Königs und des

Obergerichts – thun wir euch kund –


Er setzt die Kopfbedeckung wieder auf.


Alle folgen seinem Beispiel.


MAC-IRTON.

Daß heut' dieses Gut nach Gesetz

Und Gewissen, Recht und nach Pflicht

Öffentlich wird verkauft,

Und dem zu eigen bleibt,

Der zuletzt am meisten bot.

Einer bietet dafür zehntausend Thaler!

Gerichtsschreiber zündet in diesem Augenblick das auf dem Tisch stehende Licht an.

Mac-Irton legt die Pergamentrolle auf den Tisch und nimmt wieder wie vorher Platz.

Gaveston, Beisitzer, Schreiber, Georg setzen sich ebenfalls wieder.


ALLE ausrufend.

Zehntausend nur!?


Erstaunt.


Abscheulich!

Unerhört! Unglaublich! Ist's denkbar!


Sie gruppieren sich mit möglichster Lebendigkeit um den Tisch.


DIE PÄCHTER zu Dikson.

Wohlan, jetzt erfüll' deine Pflicht.

DIKSON.

Ich – fünfzehntausend!

GAVESTON.

Zwanzig!

DIKSON.

Fünfundzwanzig!

GAVESTON.

Dreißig.

DIKSON.

Fünfunddreißig! –

GAVESTON.

Ich vierzig![87]

MAC-IRTON das Gebot ausrufend.

Vierzigtausend Thaler! –

DIKSON.

Wohlan! – Fünfundvierzig!

GAVESTON.

Nun denn! Ich fünfzig!

DIKSON.

Fünfundfünfzig!

GAVESTON steht auf.

Ich gebe sechzig!

MAC-IRTON wie oben.

Sechzigtausend Thaler!

GAVESTON für sich, die Pächter beobachtend.

Seht, wie sie unschlüssig sind.

DIE PÄCHTER leise zu Dikson.

Wohlan, nur Mut, du mußt höher streben!

DIKSON leise.

Wie, Ihr wollt mehr noch als dieses geben?

DIE PÄCHTER.

Jawohl, nur Mut, du mußt höher streben!

DIKSON.

Nun gut, fünfundsechzig!

GAVESTON.

Siebzig geb ich!

DIKSON.

Achtzig geb' ich!

GAVESTON.

Neunzig geb' ich.

ALLE außer Gaveston und Irton.

Gott! welch' Geschick;

GAVESTON geheimnisvoll für sich.

Wie sie sich sträuben, doch das Schloß


Sehr bestimmt.


bleibet mein,

Bald werd' ich Eigentümer sein,

Mir gehört es nun ganz allein! –

Wie verlegen sie nun sind!

ALLE außer Gaveston und Irton.

Alle Hoffnung seh' ich nun verschwinden.

MARGARETHE, JENNY.

Ach, ich hoff' nicht mehr!

DIE PÄCHTER zu Dikson.

Wohlan, wohlan! so bietet doch noch mehr!

DIKSON.

Wie, ihr gebt mehr?

DIE PÄCHTER.

Wohlan!

DIKSON.

Ihr gebt noch mehr?

DIE PÄCHTER.

Wohlan, so bietet mehr! so bietet mehr!

DIE FRAUEN.

Welch Geschick! welch Geschick!

MARGARETHE, JENNY.

Welch Geschick! welch Geschick![88]

DIKSON.

Wohlan! Fünfundneunzig!

GAVESTON.

Und ich – hunderttausend Thaler!

ALLE.

Gott! Nun ist's aus! Verloren sind wir!

DIE PÄCHTER.

Nun können wir wahrlich nicht überbieten!

Nun ist's aus, verloren sind wir!


Sie treten zurück.


MAC-IRTON das Gebot ausrufend.

Hunderttausend Thaler!

Wie, niemand bietet mehr?

MARGARETHE, JENNY, DIKSON, GEORG.

Das Schicksal beugt mich sehr!

GAVESTON lauernd.

Wie, niemand bietet mehr?

DIE PÄCHTER.

Wie, niemand bietet mehr?

GAVESTON zu Georg.

Wohlan, mein junger Freund,

Ihr seht, die weiße Dame

Gleicht allen andern Frau'n.

Wer wird den glatten Worten auch

Der schönen Mädchen trau'n!

Ihr seht, das Schloß wird noch heute mein.

GEORG für sich.

Ja, er hat recht, ich war ein Thor,

Auf der Dame Worte zu bau'n.

MARGARETHE, JENNY, DIKSON, DIE PÄCHTER.

Nun ist's aus, wir sind verloren!

GAVESTON.

Seht, zu End' ist nun bald das Licht,

Ja, das Schloß, es entgeht mir nicht.

Anna kommt umgekleidet und ungesehen von links aus der geheimen Thür und stellt sich unbemerkt hinter Georgs Stuhl.


Quelle:
Boieldieu, François-Adrien: Die weiße Dame, Leipzig [1892], S. 86-89.
Lizenz:

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