Der Paß

[113] Wenn wir am Rand des Lebens stehen,

Und alles, was die Erde hält,

Rund um uns her zusammen fällt,

Wenn Kronen mit dem Bettelstab vergehen;


Wenn Herrn von weiten weiten Reichen,

Die gestern noch mit ihrer Riesenhand

Den Orient und Occident umspannt,

Heut ihrem letzten Sclaven gleichen;


Wenn eitler Weisheit Dunst zerstäubt,

Und von den Hypothesenkrücken,

Der größten Köpfe Meisterstücken,

Kaum noch ein Splitter übrig bleibt;[114]


Wenn tiefe tiefe Dunkelheit

Des Sinnes Ohnmacht schwer umhüllet,

Und Ein Gedanke nur die Seele füllet,

An Gott und Nichts und Ewigkeit:


Dann, dann ist Eine gute That,

Im Sinn des Testaments gethan,

Ein beßrer Paß zur unbekannten Bahn,

Als aller Pfarrer Attestat.

Quelle:
Johann Gottfried Seume: Gedichte. Wien und Prag 31810, S. 113-115.
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