Zweite Szene

[369] Westminster. Ein Zimmer im Palast.


Warwick und der Oberrichter treten auf.


WARWICK.

Wie nun, Herr Oberrichter? Wo hinaus?

OBERRICHTER.

Wie geht's dem König?

WARWICK.

Ausnehmend gut, sein Sorgen hat ein Ende.

OBERRICHTER.

Nicht tot, hoff' ich.

WARWICK.

Er ging des Fleisches Weg,

Und unsrer Weise nach lebt er nicht mehr.

OBERRICHTER.

Daß Seine Majestät mich mitgenommen hätte!

Der Dienst, den ich ihm treulich tat im Leben,

Läßt jeder Kränkung nun mich bloßgestellt.

WARWICK.

Der junge König, denk' ich, liebt Euch nicht.

OBERRICHTER.

Ich weiß, daß er's nicht tut, und waffne mich,

Der neuen Zeit Bewandtnis zu begrüßen,

Die scheußlicher auf mich nicht blicken kann,

Als meine Phantasei sie vorgestellt.


Prinz Johann, Prinz Humphrey, Clarence, Westmoreland und andre.


WARWICK.

Da kommt des toten Heinrichs trauriges Geschlecht.

O hätte doch der Heinrich, welcher lebt,

Die Sinnesart des schlechtsten der drei Herren!

Wie manchem Edlen bliebe dann sein Platz,

Der niedern Geistern muß die Segel streichen!

OBERRICHTER.

Ach! Alles, fürcht' ich, wird zu Grunde gehn.

PRINZ JOHANN.

Guten Morgen, Vetter Warwick!

PRINZ HUMPHREY UND CLARENCE.

Guten Morgen, Vetter!

PRINZ JOHANN.

Wir haben, scheint's, die Sprache ganz vergessen.

WARWICK.

Sie ist uns noch im Sinn, doch unser Vorwurf

Ist zu betrübt, viel Reden zu gestatten.

PRINZ JOHANN.

Wohl, Frieden ihm, der uns betrübt gemacht!

OBERRICHTER.

Uns Frieden, daß wir nicht betrübter werden!

PRINZ HUMPHREY.

O bester Lord, Euch starb ein Freund, fürwahr;[369]

Ich schwöre drauf, Ihr borgt nicht diese Miene

Scheinbaren Leids: sie ist gewiß Eu'r eigen.

PRINZ JOHANN.

Weiß keiner gleich, wie er in Gunst wird stehn,

Euch bleibt die kälteste Erwartung doch.

Es tut mir leid, ich wollt', es wäre anders.

CLARENCE.

Ja wohl, nun müßt Ihr Sir John Falstaff schmeicheln,

Und das schwimmt gegen Eurer Würde Strom.

OBERRICHTER.

In Ehren tat ich alles, werte Prinzen,

Gelenkt von unparteiischem Gemüt;

Und niemals sollt ihr sehen, daß ich bettle

Um eitle, schimpfliche Begnadigung. –

Hilft Redlichkeit mir nicht und offne Unschuld,

So will ich meinem Herrn, dem König, nach

Und will ihm melden, wer mich nachgesandt.

WARWICK.

Da kommt der Prinz.


König Heinrich V. tritt auf.


OBERRICHTER.

Guten Morgen! Gott erhalt' Euer Majestät!

KÖNIG.

Dies neue prächt'ge Staatskleid, Majestät,

Sitzt mir nicht so gemächlich, wie Ihr denkt.

Brüder, ihr mischt mit ein'ger Furcht die Trauer:

Dies ist der englische, nicht türk'sche Hof,

Hier folgt nicht Amurath auf Amurath,

Auf Heinrich Heinrich. Doch trauert, lieben Brüder;

Die Wahrheit zu gestehn, es ziemt euch wohl:

Das Leid erscheint in euch so königlich,

Daß ich der Sitte ganz mich will ergeben

Und sie im Herzen tragen. Wohl denn, trauert,

Doch zieht's nicht mehr euch an, geliebte Brüder,

Als eine Last, uns allen auferlegt.

Was mich betrifft, beim Himmel, seid versichert,

Ich will euch Vater und auch Bruder sein.

Gebt eure Lieb', ich nehme eure Sorgen;

Doch weint, daß Heinrich tot ist; ich will's auch.

Doch Heinrich lebt, der alle diese Tränen

In so viel Stunden Glücks verwandeln wird.[370]

PRINZ JOHANN UND DIE ÜBRIGEN.

So hoffen wir's von Eurer Majestät.

KÖNIG.

Ihr blickt auf mich befremdet;


Zum Oberrichter.


Ihr am meisten.

Ich denk', Ihr seid gewiß, ich lieb' Euch nicht.

OBERRICHTER.

Ich bin gewiß, wenn man gerecht mich mißt,

Hat Eure Majestät zum Haß nicht Ursach'.

KÖNIG.

Nicht? Wie konnt' ein Prinz von meiner Anwartschaft

So großen zugefügten Schimpf vergessen?

Was? Schelten, schmäh'n und hart gefangen setzen

Den nächsten Erben Englands! War das nichts?

Läßt sich's im Lethe waschen und vergessen?

OBERRICHTER.

Da übt' ich die Person von Eurem Vater,

Ich trug an mir das Abbild seiner Macht,

Und da ich bei Verwaltung des Gesetzes

Geschäftig war für das gemeine Wesen,

Gefiel's Eu'r Hoheit, gänzlich zu vergessen

Mein Amt und des Gesetzes Majestät,

Das Bild des Königs, welchen ich vertrat,

Und schlugt mich, recht auf meinem Richtersitz:

Worauf, als den Beleid'ger Eures Vaters,

Ich, kühnlich meines Ansehns mich bedienend,

Euch in Verhaft nahm. War die Handlung schlecht,

So wünscht Euch, da Ihr nun die Krone tragt,

Auch einen Sohn, der Eurer Schlüsse spottet,

Gerechtigkeit vom ernsten Sitze reißt,

Den Lauf des Rechtes stürzt und stumpft das Schwert,

Das Eure Sicherheit und Frieden schirmt;

Noch mehr, Eu'r hohes Bild mit Füßen tritt

Und höhnt Eu'r Werk in einem Stellvertreter.

Fragt Euren hohen Sinn, setzt Euch den Fall:

Seid nun ein Vater, denkt Euch einen Sohn,

Hört Eure eigne Würde so entweiht,

Die furchtbarsten Gesetze keck verachtet,

Seht so Euch selbst von einem Sohn entwürdigt;

Dann stellt Euch vor, ich führe Eure Sache[371]

Und bring' aus Eurer Vollmacht Euren Sohn

Gelind zum Schweigen: meinen Spruch erteilt

Mir nun nach dieser kühlen Überlegung!

So wahr Ihr König, sprecht nach Eurer Würde:

Was tat ich wohl, das meinem Amt, Person

Und Dienstpflicht gegen meinen Herrn mißziemte?

KÖNIG.

Ihr habt recht, Richter, und erwägt dies wohl.

Führt denn hinfort die Waagschal' und das Schwert;

Und mögen Eure Ehren immer wachsen,

Bis Ihr's erlebt, daß Euch ein Sohn von mir

Beleidigt und gehorchet, wie ich tat.

Dann werd' ich meines Vaters Worte sprechen:

»Beglückt bin ich, solch kühnen Mann zu haben,

Der Recht an meinem Sohn zu üben wagt.

Beglückt nicht minder, daß ein Sohn mir ward,

Der seiner Größe zu des Rechtes Handen

Sich so entäußert.« – Ihr habt mich gepfändet,

Darum verpfänd' ich nun in Eure Hand

Dies reine Schwert, das Ihr zu führen pflegtet,

Mit dieser Mahnung: daß Ihr selbes braucht,

So kühn, gerecht und unpartei'schen Sinns,

Wie damals wider mich. Hier meine Hand:

Ihr sollt ein Vater meiner Jugend sein,

Was Ihr mir einhaucht, soll mein Mund verkünden,

Und meinen Willen unterwerf' ich gern

So wohlerfahr'nen, weisen Anleitungen.

Und, all ihr Prinzen, glaubt es mir, ich bitt' euch:

Wild ist mein Vater in sein Grab gegangen,

In seiner Gruft ruhn meine Leidenschaften,

Und in mir überlebt sein ernster Geist,

Um die Erwartung aller Welt zu täuschen,

Propheten zu beschämen, auszulöschen

Die faule Meinung, die mich niederschrieb

Nach meinem Anschein. Der Strom des Bluts in mir

Hat stolz bis jetzt in Eitelkeit geflutet:

Nun kehrt er um und ebbt zurück zur See,

Wo er sich mit der Fluten Haupt soll mischen,

In ernster Majestät forthin zu fließen.[372]

Berufen wir nun unsern hohen Hof

Des Parlaments und wählen solche Glieder

Des edlen Rates, daß der große Körper

Von unserm Staat in gleichem Range steh'

Selbst mit der bestregierten Nation;

Daß Krieg und Frieden, oder beides auch

Zugleich, bekannt uns und geläufig sei;


Zum Oberrichter.


Wobei Ihr, Vater, sollt den Vorsitz führen.

Nach unsrer Krönung rufen wir zusammen,

Wie wir zuvor erwähnt, den ganzen Staat;

Und stimmt der Himmel meinem Willen bei,

So soll noch Prinz, noch Pair mit Grunde sagen:

»Gott kürze was an Heinrichs frohen Tagen!«


Alle ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 3, Berlin: Aufbau, 1975, S. 369-373.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Grabbe, Christian Dietrich

Napoleon oder Die hundert Tage. Ein Drama in fünf Aufzügen

Napoleon oder Die hundert Tage. Ein Drama in fünf Aufzügen

In die Zeit zwischen dem ersten März 1815, als Napoleon aus Elba zurückkehrt, und der Schlacht bei Waterloo am 18. Juni desselben Jahres konzentriert Grabbe das komplexe Wechselspiel zwischen Umbruch und Wiederherstellung, zwischen historischen Bedingungen und Konsequenzen. »Mit Napoleons Ende ward es mit der Welt, als wäre sie ein ausgelesenes Buch.« C.D.G.

138 Seiten, 7.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon