Erste Szene

[734] Ein Jagdrevier im Norden von England.


Zwei Förster treten auf, mit Armbrusten in der Hand.


ERSTER FÖRSTER.

Hier im verwachsnen Buschwerk laß uns lauren,

Denn über diesen Plan kommt gleich das Wild;

Wir nehmen hier im Dickicht unsern Stand

Und lesen uns die besten Stücke aus.

ZWEITER FÖRSTER.

Ich will dort oben auf die Anhöh' treten,

Daß jeder von uns beiden schießen kann.

ERSTER FÖRSTER.

Das darf nicht sein: der Lärm von deiner Armbrust

Verscheucht das Rudel, und mein Schuß ist hin.

Hier laß uns beide stehn und bestens zielen,

Und, daß die Zeit uns nicht so lange währt,

Erzähl' ich, was mir eines Tags begegnet

An eben diesem Platz, wo jetzt wir stehn.

ZWEITER FÖRSTER.

Da kommt ein Mann, laß den vorüber erst.

König Heinrich kommt verkleidet, mit einem Gebetbuche.


KÖNIG HEINRICH.

Von Schottland stahl ich weg mich, bloß aus Liebe,

Mit sehnsuchtsvollem Blick mein Land zu grüßen.

Nein, Heinrich, Heinrich! Dies ist nicht dein Land,

Dein Platz besetzt, dein Szepter dir entrungen,

Das Öl, das dich gesalbt hat, weggewaschen.

Kein biegsam Knie wird jetzt dich Cäsar nennen,

Kein Bitter drängt sich, für sein Recht zu sprechen,

Nein, niemand geht um Herstellung mich an:

Wie sollt' ich andern helfen und nicht mir?[734]

ERSTER FÖRSTER.

Das ist ein Wild, des Haut den Förster lohnt;

Der weiland König ist's: laßt uns ihn greifen!

KÖNIG HEINRICH.

Der herben Trübsal will ich mich ergeben,

Denn Weise sagen, weise sei's getan.

ZWEITER FÖRSTER.

Was zögern wir? Laß Hand uns an ihn legen!

ERSTER FÖRSTER.

Halt noch ein Weilchen, hören wir noch mehr.

KÖNIG HEINRICH.

Nach Frankreich ging mein Weib und Sohn um Hülfe,

Auch hör' ich, der gewalt'ge große Warwick

Sei hin, um des französischen Königs Tochter

Für Eduard zur Gemahlin zu begehren.

Ist dies gegründet, arme Königin

Und Sohn! so ist verloren eure Müh'.

Denn Warwick ist ein feiner Redner, Ludwig

Ein Fürst den leicht beredte Worte rühren.

Margareta kann ihn rühren, demzufolge;

Sie ist ein so beklagenswertes Weib:

Sie wird mit Seufzern seine Brust bestürmen,

Mit Tränen dringen in ein marmorn Herz.

Der Tiger selbst wird milde, wenn sie trauert,

Und Nero reuig, wenn er ihre Klagen

Und ihre salzen Tränen hört und sieht.

Ja, doch sie kam zu flehn; Warwick zu geben:

Zur Linken sie, begehrt für Heinrich Hülfe,

Zur Rechten er, wirbt um ein Weib für Eduard.

Sie weint und sagt, ihr Heinrich sei entsetzt;

Er lächelt, sagt, sein Eduard sei bestallt;

Daß nichts vor Gram die Arme mehr kann sagen,

Weil Warwick seinen Anspruch zeigt, das Unrecht

Beschönigt, Gründe bringt von großer Kraft

Und schließlich ab von ihr den König lenkt,

Daß er die Schwester ihm verspricht und alles,

Was König Eduards Platz befest'gen kann.

O Margareta! So wird's sein: du Arme

Bist dann verlassen, wie du hülflos gingst.

ZWEITER FÖRSTER.

Sag, wer du bist, der du von Kön'gen da

Und Königinnen sprichst?[735]

KÖNIG HEINRICH.

Mehr als ich scheine

Und wen'ger als ich war durch die Geburt;

Ein Mensch, denn wen'ger kann ich doch nicht sein;

Und Menschen können ja von Kön'gen reden:

Warum nicht ich?

ZWEITER FÖRSTER.

Ja, doch du sprichst, als ob du König wärst.

KÖNIG HEINRICH.

Ich bin's auch, im Gemüt; das ist genug.

ZWEITER FÖRSTER.

Bist du ein König, wo ist deine Krone?

KÖNIG HEINRICH.

Im Herzen trag' ich sie, nicht auf dem Haupt,

Nicht mit Demanten prangend und Gestein,

Noch auch zu sehn: sie heißt Zufriedenheit,

Und selten freun sich Kön'ge dieser Krone.

ZWEITER FÖRSTER.

Gut, seid Ihr König der Zufriedenheit,

Muß Eure Kron' Zufriedenheit und Ihr

Zufrieden sein, mit uns zu gehn; wir denken,

Ihr seid's, den König Eduard abgesetzt,

Und wir als Untertanen, die ihm Treue

Geschworen, greifen Euch als seinen Feind.

KÖNIG HEINRICH.

Doch schwort ihr nie, und brachet euren Eid?

ZWEITER FÖRSTER.

Nie solchen Eid, und wollen's jetzt auch nicht.

KÖNIG HEINRICH.

Wo wart ihr, als ich König war von England?

ZWEITER FÖRSTER.

Hier in der Gegend, wo wir jetzo wohnen.

KÖNIG HEINRICH.

Neun Monden alt war ich gesalbter König,

Mein Vater, mein Großvater waren Kön'ge;

Ihr habt mir Untertanenpflicht geschworen:

So sagt denn, bracht ihr eure Eide nicht?

ERSTER FÖRSTER.

Nein, denn wir waren Untertanen nur,

Solang' Ihr König wart.

KÖNIG HEINRICH.

Nun, bin ich tot? Atm' ich nicht wie ein Mensch?

Ach, töricht Volk! Ihr wißt nicht, was ihr schwört.

Seht, wie ich diese Feder von mir blase,

Und wie die Luft zu mir zurück sie bläst,

Die, wenn ich blase, meinem Hauch gehorcht

Und einem andern nachgibt, wenn er bläst,[736]

Vom stärkern Windstoß immerfort regiert:

So leichten Sinns seid ihr geringen Leute.

Doch brecht die Eide nicht; mit dieser Sünde

Soll meine milde Bitt' euch nicht beladen.

Führt, wie ihr wollt: der König folgt Befehlen;

Seid Kön'ge ihr, befehlt, ich will gehorchen.

ERSTER FÖRSTER.

Wir sind des Königs treue Untertanen,

Des Königs Eduard.

KÖNIG HEINRICH.

Ihr würdet's auch von Heinrich wieder sein,

Wenn er an König Eduards Stelle säße.

ERSTER FÖRSTER.

In Gottes und des Königs Namen mahnen

Wir Euch, zu den Beamten mitzugehn.

KÖNIG HEINRICH.

So führt mich denn in Gottes Namen hin:

Dem Namen eures Königs sei gehorcht.

Und was Gott will, mag euer König tun;

Und was er will, dem füg' ich mich in Demut.


Alle ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 3, Berlin: Aufbau, 1975, S. 734-737.
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