[783] London. Ein Zimmer im Turm.
Man sieht König Heinrich mit einem Buch in der Hand sitzen, der Kommandant des Turmes steht neben ihm. Zu ihnen Gloster.
GLOSTER.
Guten Tag, Herr! Wie? So eifrig bei dem Buch?
KÖNIG HEINRICH.
Ja, guter Mylord; – Mylord, sollt' ich sagen:
Schmeicheln ist Sünde, »gut« war nicht viel besser,
Denn »guter Gloster« wär' wie »guter Teufel«
Und gleich verkehrt; also nicht »guter Mylord«.
GLOSTER.
Laßt uns allein, wir müssen uns besprechen.
Der Kommandant ab.
KÖNIG HEINRICH.
So flieht der Schäfer achtlos vor dem Wolf,
So gibt das fromme Schaf die Wolle erst,
Dann seine Gurgel an des Schlächters Messer.
Will Roscius neue Todesszenen spielen?
GLOSTER.
Verdacht wohnt stets im schuldigen Gemüt;
Der Dieb scheut jeden Busch als einen Häscher.
KÖNIG HEINRICH.
Der Vogel, den die Rut' im Busche fing,
Mißtraut mit bangem Flügel jedem Busch,
Und ich, das arme Männchen in dem Nest,
Worin ein süßer Vogel ward gebrütet,
Hab' itzt den grausen Gegenstand vor mir,
Der meines Jungen Fang und Tod bewirkt.
GLOSTER.
Ei, welch ein Geck war der von Kreta nicht,
Der keck den Sohn als Vogel fliegen lehrte,
Da trotz den Flügeln doch der Geck ertrank.
KÖNIG HEINRICH.
Ich, Dädalus; mein Knabe, Ikarus;
Dein Vater, Minos, der den Lauf uns hemmte;
Die Sonne, die des Knaben Schwingen senkte,
Dein Bruder Eduard; und du selbst die See,
Die in den neid'schen Tiefen ihn verschlang.
Ach, töte mit dem Schwert mich, nicht mit Worten!
Den Dolchstoß duldet eher meine Brust,
Als wie mein Ohr die tragische Geschichte. –
Doch warum kommst du? meines Lebens wegen?[783]
GLOSTER.
Denkst du, ich sei ein Henker?
KÖNIG HEINRICH.
Ja, ein Verfolger bist du, wie ich weiß;
Ist Unschuld morden eines Henkers Tat,
So bist du ja ein Henker.
GLOSTER.
Deinen Sohn
Hab' ich für seinen Hochmut umgebracht.
KÖNIG HEINRICH.
Oh, hätte man dich umgebracht, als du
Zuerst dich überhobst, so wärst du nicht
Am Leben, meinen Sohn mir umzubringen.
Und also prophezei' ich, daß viel Tausend,
Die nicht ein Teilchen meiner Furcht noch ahnden,
Und manches Greisen, mancher Witwe Seufzer
Und mancher Waise überschwemmtes Auge
(Die Greis' um Söhne, Frau'n um ihre Gatten,
Die Waisen um der Eltern frühen Tod)
Die Stunde noch, die dich gebar, bejammern.
Die Eule schrie dabei, ein übles Zeichen;
Die Krähe krächzte, Unglückszeit verkündend;
Der Sturm riß Bäume nieder, Hunde heulten,
Der Rabe kauzte sich auf Feueressen,
Und Elstern schwatzten in mißhell'gen Weisen.
Mehr als der Mutter Wehen fühlte deine,
Und keiner Mutter Hoffnung kam ans Licht:
Ein roher, mißgeformter Klumpe nur,
Nicht gleich der Frucht von solchem wackern Baum.
Du hattest Zähn' im Kopf bei der Geburt,
Zum Zeichen, daß du kämst, die Welt zu beißen,
Und ist das andre wahr, was ich gehört,
Kamst du –
GLOSTER.
Nichts weiter! Stirb, Prophet, in deiner Rede!
Durchsticht ihn.
Dazu ward unter anderm ich berufen.
KÖNIG HEINRICH.
Ja, und zu vielem Metzeln noch. – O Gott,
Vergib mir meine Sünden, ihm verzeih'!
Stirbt.
GLOSTER.
Wie? Sinkt der Lancaster hochstrebend Blut
Doch in den Grund? Ich dacht', es würde steigen.[784]
Seht, wie mein Schwert weint um des Königs Tod!
Oh, stets vergieße solche Purpurtränen,
Wer irgend unsers Hauses Umsturz wünscht!
Wenn noch ein Funken Leben übrig ist,
Hinab zur Höll'! und sag, ich sandte dich,
durchsticht ihn noch einmal
Ich, der nichts weiß von Mitleid, Lieb' und Furcht. –
Ja, es ist wahr, wovon mir Heinrich sprach,
Denn öfters hört' ich meine Mutter sagen,
Daß ich zur Welt, die Beine vorwärts, kam.
Was meint ihr, hatt' ich keinen Grund zur Eil',
Die unser Recht sich angemaßt, zu stürzen?
Die Wehemutter staunt', es schrien die Weiber.
»Hilf Jesus! Zähne bringt er auf die Welt.«
Die hatt' ich auch, das zeigte klärlich an,
Ich sollte knurren, beißen wie ein Hund.
Weil denn der Himmel meinen Leib so formte,
Verkehre demgemäß den Geist die Hölle.
Ich habe keinen Bruder, gleiche keinem,
Und Liebe, die Graubärte göttlich nennen,
Sie wohn' in Menschen, die einander gleichen,
Und nicht in mir: ich bin ich selbst allein.
Clarence, gib acht! Du stehst im Lichte mir,
Doch einen schwarzen Tag such' ich dir aus;
Denn solche Weissagung flüstr' ich umher,
Daß Eduard für sein Leben fürchten soll,
Und dann, ihn zu befrein, werd' ich dein Tod.
Der König Heinrich und sein Prinz sind hin:
Clarence, dich trifft die Reih'; die andern dann.
Ich achte nichts mich, bis ich alles kann.
Die Leiche werf' ich in die nächste Kammer;
Triumph ist, Heinrich, mir dein letzter Jammer!
Ab mit der Leiche.[785]
Buchempfehlung
Der junge Naturforscher Heinrich stößt beim Sammeln von Steinen und Pflanzen auf eine verlassene Burg, die in der Gegend als Narrenburg bekannt ist, weil das zuletzt dort ansässige Geschlecht derer von Scharnast sich im Zank getrennt und die Burg aufgegeben hat. Heinrich verliebt sich in Anna, die Tochter seines Wirtes und findet Gefallen an der Gegend.
82 Seiten, 6.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.
468 Seiten, 19.80 Euro