Sechste Szene

[730] Lautes Getümmel. Clifford kommt, verwundet.


CLIFFORD.

Hier brennt mein Licht zu Ende, ja, hier stirbt's,

Das immer König Heinrich hat geleuchtet.

O Lancaster! Ich fürchte deinen Sturz

Mehr als der Seele Scheiden aus dem Leib.

Viel Freunde band dir meine Lieb' und Furcht,

Und, da ich falle, reißt die starke Klammer,

Schwächt dich und stärkt den überstolzen York.

Wie Sommerfliegen schwärmt gemeines Volk,

Und wohin fliegen Mücken als zur Sonne?

Und wer geht jetzo auf, als Heinrichs Feinde?

O Phöbus! Hätt'st du nicht dem Phaeton

Erlaubt, zu zügeln deine feur'gen Rosse,

Dein Wagen setzte nie die Erd' in Brand.

Und, Heinrich, hättest du geherrscht als König,

Und wie dein Vater, und sein Vater tat,

Dem Hause York um keinen Fußbreit weichend,

Sie hätten nicht geschwärmt wie Sommerfliegen:

Ich, und zehntausend in dem armen Reich,

Versetzten nicht in Trauer unsre Witwen;

Und friedlich säßest du auf deinem Stuhl.

Denn was nährt Unkraut, als gelinde Luft?

Und was macht Räuber kühn, als zu viel Milde?

Fruchtlos sind Klagen, hülflos meine Wunden:

Kein Weg zur Flucht, noch Kraft, sie auszuhalten;

Der Feind ist hart und wird sich nicht erbarmen,

Denn ich verdient' um ihn ja kein Erbarmen.

Die Luft drang in die schweren Wunden mir,

Und viel Verlust vom Blute macht mich matt.[730]

York, Richard, Warwick, alle her auf mich!

Durchbohrt die Brust, wie euren Vätern ich.


Er fällt in Ohnmacht.


Getümmel und Rückzug, Eduard, George, Richard, Montague und Warwick treten auf mit Soldaten.


EDUARD.

Nun atmet auf, ihr Lords; das gute Glück

Heißt uns verziehen und die finstre Stirn

Des Kriegs mit friedensvollen Blicken sänft'gen.

Ein Haufe folgt der blutbegier'gen Königin,

Die so den stillen Heinrich weggeführt,

Ist er ein König schon, wie wohl ein Segel,

Von einem heft'gen Windstoß angefüllt,

Der Flut die Galeon' entgegenzwingt.

Doch denkt ihr, Lords, daß Clifford mit geflohn?

WARWICK.

Nein, 's ist unmöglich, daß er sollt' entkommen,

Denn, sag' ich's ihm schon hier ins Angesicht,

Eu'r Bruder Richard zeichnet' ihn fürs Grab,

Und, wo er sein mag, er ist sicher tot.


Clifford ächzt.


EDUARD.

Wes Seele nimmt da ihren schweren Abschied?

RICHARD.

Ein Ächzen war's, wie zwischen Tod und Leben.

EDUARD.

Seht, wer es ist: nun, da die Schlacht zu Ende,

Freund oder Feind, behandelt schonend ihn.

RICHARD.

Heb' auf den Gnadenspruch, denn es ist Clifford,

Der, nicht zufrieden, abzuhaun den Zweig,

Den Rutland fällend, als er Blätter trieb,

Sein mörd'risch Messer an die Wurzel setzte,

Woher der zarte Sproß so hold erwuchs;

Ich mein', an unsern Vater, Herzog York.

WARWICK.

Holt von den Toren Yorks sein Haupt herab.

Sein hohes Haupt, das Clifford aufgesteckt;

Statt dessen laßt die Stelle dieses füllen.

Mit Gleichem Gleiches muß erwidert sein.

EDUARD.

Bringt her den Unglücksuhu unsers Hauses,

Der nichts als Tod uns und den Unsern sang.[731]

Nun wird der Tod den droh'nden Laut ihm hemmen

Und seine grause Zunge nicht mehr sprechen.

Einige aus dem Gefolge tragen die Leiche weiter vor.


WARWICK.

Ich glaub', er ist nicht bei sich selber mehr.

Sprich, Clifford, kennst du den, der mit dir spricht?

Der Tod umdüstert seine Lebensstrahlen,

Er sieht uns nicht und hört nicht, was man sagt.

RICHARD.

O tät' er's doch! Er tut es auch vielleicht,

Es ist nur seine List, sich so zu stellen,

Um solcher bittern Höhnung auszuweichen,

Wie er bei unsers Vaters Tod geübt.

GEORGE.

Wenn du das denkst, plag' ihn mit scharfen Worten.

RICHARD.

Clifford, erflehe Gnad' und finde keine!

EDUARD.

Clifford, bereu' in unfruchtbarer Buße!

WARWICK.

Ersinn' Entschuldigung für deine Taten!

GEORGE.

Indes wir Folterpein dafür ersinnen.

RICHARD.

Du liebtest York, und ich bin Sohn von York.

EDUARD.

Wie Rutlands du, will ich mich dein erbarmen.

GEORGE.

Wo ist dein Schutz nun, Hauptmann Margareta?

WARWICK.

Man höhnt dich, Clifford; fluche, wie du pflegtest.

RICHARD.

Was? Keinen Fluch? Dann steht es schlimm, wenn Clifford

Für seine Freunde keinen Fluch mehr hat.

Nun seh' ich, daß er tot ist, und, beim Himmel!

Wenn diese Rechte ihm zwei Stunden Leben

Erkaufen könnte, um mit allem Spott

Ihn hohnzunecken: abhaun wollt' ich sie

Mit dieser meiner Hand, und mit der Wunde Blut

Den Bösewicht ersticken, dessen Durst

York und der junge Rutland nicht gestillt.

WARWICK.

Ja, er ist tot; schlagt ab des Frevlers Haupt

Und stellt es auf, wo Euers Vaters steht.

Und nun nach London im Triumpheszug,

Als Englands König da gekrönt zu werden!

Dann setzt nach Frankreich Warwick übers Meer

Und wirbt dir Fräulein Bona zum Gemahl:

So wirst du diese Länder fest verknüpfen[732]

Und darfst, im Bund mit Frankreich, nicht befürchten,

Daß der zerstreute Feind sich wieder sammle,

Wie er es hofft; denn ob sie schon nicht viel

Mit Stechen schaden können, wirst du doch

Sie um das Ohr dir lästig summen hören.

Zuvörderst wohn' ich Eurer Krönung bei,

Und dann die See hinüber nach Bretagne,

Die Eh' zu stiften, wenn's mein Fürst genehmigt.

EDUARD.

Ganz wie du willst, mein Warwick, soll es sein;

Auf deiner Schulterbau' ich meinen Sitz,

Und nimmer will ich etwas unternehmen,

Wobei dein Rat und Beistimmung mir fehlt.

Richard, ich mache dich zum Herzog Gloster,

Und George von Clarence; Warwick, wie wir selbst,

Soll tun und lassen, was ihm nur gefällt.

RICHARD.

Laß mich von Clarence, George von Gloster Herzog sein,

Denn Glosters Herzogtum ist unglückdeutend.

WARWICK.

Pah! Das ist eine törichte Bemerkung:

Richard, seid Herzog Gloster; nun nach London,

Um in Besitz der Würden uns zu setzen.


Alle ab.[733]


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 3, Berlin: Aufbau, 1975, S. 730-734.
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