Erste Szene

[548] Paris. Ein Audienz-Saal.


König Heinrich, Gloster, Exeter, York, Suffolk, Somerset, Winchester, Warwick, Talbot, der Statthalter von Paris und andre.


GLOSTER.

Herr Bischof, setzt die Kron' ihm auf sein Haupt.

WINCHESTER.

Heil König Heinrich, sechstem dieses Namens!

GLOSTER.

Nun tut den Eid, Statthalter von Paris:


Der Statthalter kniet.


Ihr wollet keinen andern König kiesen,

Nur seine Freunde für die Euern achten,

Für Feinde nur, die auf sein Regiment

Es mit boshaften Ränken angelegt;

Dies sollt Ihr tun, so Gott Euch helfen möge!


Der Statthalter und sein Gefolge ab.


Sir John Fastolfe tritt auf.

FASTOLFE.

Mein gnädigster Monarch, als von Calais

Ich eilends her zu Eurer Krönung ritt,

Ward mir ein Brief zu Handen übergeben,

Vom Herzog von Burgund an Euch gerichtet.

TALBOT.

Schand' über Herzog von Burgund und dich!

Ich habe, schnöder Ritter, längst gelobt,

Wann ich dich wieder träf', das Hosenband

Von deinem Memmen-Bein herab zu reißen.


Reißt es ab.


Und tu' es nun, weil du unwürdiglich

Bekleidet wurdest mit dem hohen Rang. –

Verzeiht mir, hoher Heinrich, und die andern!

Der Feigling da, beim Treffen von Patai,[548]

Da ich sechstausend stark in allem war

Und zehn beinah' die Franken gegen einen:

Eh' man sich traf, eh' noch ein Streich geschah,

Lief er davon, wie ein getreuer Knappe.

Dabei verloren wir zwölfhundert Mann;

Ich selbst und andre Edelleute wurden

Dort überfallen und zu Kriegsgefangnen.

Nun urteilt, hohe Herrn, ob ich gefehlt,

Ob solche Memmen jemals tragen sollten

Den Schmuck der Ritterschaft; ja oder nein?

GLOSTER.

Die Wahrheit zu gestehn, die Tat war schändlich

Und übel ziemend dem Gemeinsten selbst,

Vielmehr denn einem Ritter, Hauptmann, Führer.

TALBOT.

Als man den Orden erst verordnet, waren

Des Hosenbandes Ritter hochgeboren,

Tapfer und tugendhaft, voll stolzen Muts,

Die durch den Krieg zum Ansehn sich erhoben,

Den Tod nicht scheuend, noch vor Nöten zagend,

Vielmehr im Äußersten entschlossen stets.

Wer denn nicht also ausgestattet ist,

Maßt sich nur an den heil'gen Namen Ritter,

Entweihend diesen ehrenvollen Orden;

Und sollte (wär' ich würdig, da zu richten)

Durchaus verworfen werden, wie ein Bettler,

Am Zaun geboren, welcher sich erfrecht,

Mit seinem adeligen Blut zu prahlen.

KÖNIG HEINRICH.

Schimpf deines Lands! Da hörst du deinen Spruch!

Drum pack' dich weg, du, der ein Ritter war:

Wir bannen dich hinfort bei Todesstrafe. –


Fastolfe ab.


Und nun, Mylord Protektor, lest den Brief

Von unserm Oheim, Herzog von Burgund.

GLOSTER die Überschrift betrachtend.

Was meint er, so die Schreibart zu verändern?

Nur »an den König« schlicht und grade zu?

Hat er vergessen, wer sein Lehnsherr ist?[549]

Wie? Oder tut die grobe Überschrift

Veränderung des guten Willens kund?

Was gibt es hier?


Liest.


»Ich bin aus eignen Gründen,

Aus Mitleid über meines Lands Ruin

Samt aller derer kläglichen Beschwerden,

Die Eure Unterdrückung ausgezehrt,

Von Eurer höchst verderblichen Partei

Zu Frankreichs echtem König Karl getreten.«

O scheußlicher Verrat! Kann es denn sein,

Daß unter Freundschaft, Bündnissen und Schwüren

So falsch verstellter Trug erfunden wird?

KÖNIG HEINRICH.

Was? Fällt mein Oheim von Burgund mir ab?

GLOSTER.

Ja, gnäd'ger Herr, und ward nun Euer Feind.

KÖNIG HEINRICH.

Ist das das Schlimmste, was sein Brief enthält?

GLOSTER.

Es ist das Schlimmste, weiter schreibt er nichts.

KÖNIG HEINRICH.

Ei nun, so soll Lord Talbot mit ihm sprechen

Und Züchtigung für sein Vergehn ihm geben.

Was sagt Ihr, Mylord? Seid Ihr es zufrieden?

TALBOT.

Zufrieden, Herr? Ihr kamt mir nur zuvor,

Sonst hätt' ich um den Auftrag Euch gebeten.

KÖNIG HEINRICH.

So sammelt Macht und zieht gleich wider ihn.

Er fühle, wie uns sein Verrat entrüstet,

Und wie gefehlt es ist, der Freunde spotten.

TALBOT.

Ich gehe, Herr, im Herzen stets begehrend,

Daß Ihr die Feinde mögt vernichtet sehn.


Ab.


Vernon und Basset treten auf.


VERNON.

Gewährt den Zweikampf mir, mein gnäd'ger Herr!

BASSET.

Und mir, mein Fürst, gewährt den Zweikampf auch!

YORK.

Dies ist mein Diener: hört ihn, edler Prinz!

SOMERSET.

Dies meiner; liebster Heinrich, sei ihm hold!

KÖNIG HEINRICH.

Seid ruhig, Lords, laßt sie zu Worte kommen;[550]

Sagt, Leute: was bewegt euch, so zu rufen?

Und warum wollt ihr Zweikampf? Und mit wem?

VERNON.

Mit ihm, mein Fürst, denn er hat mich gekränkt.

BASSET.

Und ich mit ihm, denn er hat mich gekränkt.

KÖNIG HEINRICH.

Was ist die Kränkung, über die ihr klagt?

Laßt hören, und dann geb' ich euch Bescheid.

BASSET.

Als ich von England überfuhr nach Frankreich,

So schmähte mich mit boshaft scharfer Zunge

Der Mensch hier um die Rose, die ich trage,

Und sagte, ihrer Blätter blut'ge Farbe

Bedeute das Erröten meines Herrn,

Als er der Wahrheit starr sich widersetzt

Bei einer zwist'gen Frage in den Rechten,

Worüber Herzog York und jener stritt,

Nebst andern schimpflichen und schnöden Worten;

Zu Widerlegung welcher groben Rüge,

Und meines Herrn Verdienste zu verfechten,

Des Waffenrechtes Wohltat ich begehre.

VERNON.

Das ist auch mein Gesuch, mein edler Fürst;

Denn mag er gleich durch schlauen, feinen Vortrag

Der dreisten Absicht einen Firnis leihn:

Wißt dennoch, Herr, ich ward gereizt von ihm,

Und er nahm Anstoß erst an diesem Zeichen,

Mit solchem Ausspruch: dieser Blume Blässe

Verrate Schwäch' im Herzen meines Herrn.

YORK.

Läßt diese Bosheit, Somerset, nicht nach?

SOMERSET.

Und Euer Groll, Mylord von York, bricht aus,

Ob Ihr ihn noch so schlau zu dämpfen sucht.

KÖNIG HEINRICH.

O Gott, wie rast der Menschen krankes Hirn,

Wenn aus so läppischem, geringem Grund

So eifrige Parteiung kann entstehn!

Ihr lieben Vettern, York und Somerset,

Beruhigt euch, ich bitt', und haltet Frieden!

YORK.

Laßt ein Gefecht erst diesen Zwist entscheiden,

Und dann gebiete Eure Hoheit Frieden.

SOMERSET.

Der Zank geht niemand an als uns allein,

So werd' er zwischen uns denn ausgemacht.

YORK.

Da ist mein Pfand; nimm, Somerset, es an.[551]

VERNON.

Nein, laßt es da beruhn, wo es begann.

BASSET.

Bestätigt das, mein hochgeehrter Fürst!

GLOSTER.

Bestätigt das? Verflucht sei euer Streit!

Mögt ihr und euer frech Geschwätz verderben!

Schämt ihr euch nicht, anmaßende Vasallen,

Mit unbescheidnem, lautem Ungestüm

Den König und uns alle zu verstören?

Und ihr, Mylords, mich dünkt, ihr tut nicht wohl,

Wenn ihr so duldet ihr verkehrtes Trotzen,

Viel minder, wenn ihr selbst aus ihrem Mund

Zu Händeln zwischen euch den Anlaß nehmt.

Laßt mich zu beßrer Weise euch bereden!

EXETER.

Es kränkt den König: lieben Lords, seid Freunde!

KÖNIG HEINRICH.

Kommt her, ihr, die ihr Kämpfer wolltet sein.

Hinfort befehl' ich euch bei meiner Gunst,

Den Streit und seinen Grund ganz zu vergessen;

Und ihr, Mylords! Bedenket, wo ihr seid:

In Frankreich, unter wankelmüt'gem Volk.

Wenn sie in unsern Blicken Zwietracht sehn,

Und daß wir unter uns nicht einig sind,

Wie wird ihr grollendes Gemüt erregt

Zu starrem Ungehorsam und Empörung?

Was wird es überdies für Schande bringen,

Wenn fremde Prinzen unterrichtet sind,

Daß um ein Nichts, ein Ding von keinem Wert.

Des König Heinrichs Pairs und hoher Adel

Sich selbst zerstört und Frankreich eingebüßt?

O denkt an die Erob'rung meines Vaters,

An meine zarten Jahre; laßt uns nicht

Um Possen das, was Blut erkauft, verschleudern!

Laßt mich der streit'gen Sache Schiedsmann sein.

Ich seh' nicht, wenn ich diese Rose trage,


indem er eine rote Rose ansteckt


Weswegen irgendwer argwöhnen sollte,

Ich sei geneigter Somerset als York.

Sie sind verwandt mir, und ich liebe beide;[552]

Man kann so gut an mir die Krone rügen,

Weil ja der Schotten König eine trägt.

Doch eure Weisheit kann euch mehr bereden,

Als ich zur Lehr' und Mahnung fähig bin:

Und drum, wie wir in Frieden hergekommen,

So laßt uns stets in Fried' und Freundschaft bleiben.

Mein Vetter York, in diesem Teil von Frankreich

Bestallen wir für uns Euch zum Regenten;

Und, lieber Herzog Somerset, vereint

Mit seinem Heer zu Fuß die Reiterscharen.

Wie echte Untertanen, Söhne eurer Ahnherrn,

Geht freudiglich zusammen und ergießt

Die zorn'ge Galle wider eure Feinde.

Wir selbst, Mylord Protektor, und die andern

Gehn nach Calais zurück nach ein'ger Rast;

Von da nach England, wo ich hoff', in kurzem

Durch eure Siege vorgeführt zu sehn

Karl, Alençon und die Verräterbande.

Trompetenstoß.


König Heinrich, Gloster, Somerset, Winchester, Suffolk und Basset ab.


WARWICK.

Mylord von York, der König, auf mein Wort,

Hat artig seine Rednerkunst gezeigt.

YORK.

Das tat er auch; jedoch gefällt's mir nicht,

Daß er von Somerset das Zeichen trägt.

WARWICK.

Pah! Das war nur ein Einfall, scheltet's nicht:

Der holde Prinz, ich wett', er meint kein Arges.

YORK.

Und wenn ich's wüßte, – doch das mag beruhn,

Zu führen gibt's nun andere Geschäfte.


York, Warwick und Vernon ab.


EXETER.

Gut, Richard, daß du deine Stimm' erstickt!

Denn, bräch' die Leidenschaft des Herzens aus,

So fürcht' ich, sähen wir daselbst entziffert

Mehr bittern Groll, mehr tobend wilde Wut,

Als noch sich denken und vermuten läßt.

Doch, wie es sei, der schlichteste Verstand,

Der die Mißhelligkeit des Adels sieht,[553]

Wie einer stets den andern drängt am Hof,

Und ihrer Diener heftige Parteiung,

Muß einen übeln Ausgang prophezei'n.

Schlimm ist's, wenn Kindeshand den Szepter führt;

Doch mehr, wenn Neid erzeugt gehäss'ge Irrung:

Da kommt der Umsturz, da beginnt Verwirrung.


Ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 3, Berlin: Aufbau, 1975, S. 548-554.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Christen, Ada

Gedichte. Lieder einer Verlorenen / Aus der Asche / Schatten / Aus der Tiefe

Gedichte. Lieder einer Verlorenen / Aus der Asche / Schatten / Aus der Tiefe

Diese Ausgabe gibt das lyrische Werk der Autorin wieder, die 1868 auf Vermittlung ihres guten Freundes Ferdinand v. Saar ihren ersten Gedichtband »Lieder einer Verlorenen« bei Hoffmann & Campe unterbringen konnte. Über den letzten der vier Bände, »Aus der Tiefe« schrieb Theodor Storm: »Es ist ein sehr ernstes, auch oft bittres Buch; aber es ist kein faselicher Weltschmerz, man fühlt, es steht ein Lebendiges dahinter.«

142 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon