Fünfte Szene

[559] Das englische Lager bei Bourdeaux.


Talbot und sein Sohn John treten auf.


TALBOT.

O John, mein Sohn! Ich sandte nach dir aus,

Dich in des Krieges Künsten zu belehren,

Daß Talbots Name leben möcht' in dir,

Wenn kraftlos Alter, unbeholfne Glieder

Im Armstuhl deinen Vater hielten fest.

Doch, – o mißgünst'ge, unglücksschwangre Sterne! –

Zu einem Fest des Todes kommst du nun,

Zu schrecklich unvermeidlicher Gefahr.

Drum, liebes Kind, besteig' mein schnellstes Roß,

Ich will dir zeigen, wie du kannst entkommen

Durch rasche Flucht: komm, zaudre nicht, und fort!

JOHN.

Heiß' ich denn Talbot? Bin ich Euer Sohn?

Und soll ich fliehn? Oh, liebt Ihr meine Mutter,

So schmäht nicht ihren ehrenwerten Namen,

Indem Ihr mich zum Knecht und Bastard macht.

Von niemand wird für Talbots Blut erkannt,

Der schnöde floh, wo Talbot wacker stand.

TALBOT.

Flieh', wenn ich falle, meinen Tod zu rächen.

JOHN.

Wer so entflieht, hält nimmer sein Versprechen.

TALBOT.

Wenn beide bleiben, sterben beide hier.

JOHN.

So laßt mich bleiben; Vater, fliehet Ihr,

An Euch hängt viel, so solltet Ihr Euch schätzen;

Mein Wert ist unbekannt, leicht zu ersetzen.

Mit meinem Tod kann nicht der Franke prahlen,

Nach Eurem wird uns keine Hoffnung strahlen.

Euch raubt erworbene Ehre nicht die Flucht,

Die meine wohl, der ich noch nichts versucht.[559]

In Eurem Fliehn wird jeder Klugheit sehn;

Weich' ich, so heißt's, es sei aus Furcht geschehn.

Wer hofft wohl, daß ich jemals halte stand,

Wenn ich die erste Stunde fortgerannt?

Hier auf den Knie'n bitt' ich um Sterblichkeit

Statt Leben, das durch Schande nur gedeiht.

TALBOT.

Ein Grab soll fassen deiner Mutter Los?

JOHN.

Ja, eh' ich schände meiner Mutter Schoß.

TALBOT.

Bei meinem Segen heiß' ich fort dich ziehn.

JOHN.

Zum Fechten will ich's, nicht den Feind zu fliehn.

TALBOT.

Du schonst vom Vater einen Teil in dir.

JOHN.

Kein Teil, der nicht zur Schande würd' in mir.

TALBOT.

Ruhm war nie dein: du kannst ihn nicht verlieren.

JOHN.

Ja, Euer Name: soll ihn Flucht mißzieren?

TALBOT.

Des Vaters Wort macht von dem Fleck dich rein.

JOHN.

Erschlagen, könnt Ihr nicht mein Zeuge sein;

Fliehn beide wir, wenn Tod so sicher droht!

TALBOT.

Und lassen hier mein Volk zu Kampf und Tod?

Nie konnte Schmach mein Alter so beflecken.

JOHN.

Und meine Jugend soll in Schuld sich stecken?

Ich kann nicht mehr von Eurer Seite scheiden,

Als Ihr in Euch Zerteilung könnt erleiden.

Bleibt, geht, tut, was Ihr wollt, ich tu' es eben;

Denn, wenn mein Vater stirbt, will ich nicht leben.

TALBOT.

So nehm' ich hier denn Abschied, holder Sohn,

Geboren, diesen Tag zu sterben schon.

Komm! Miteinander laß uns stehn und fallen,

Und Seel' mit Seele soll gen Himmel wallen.


Beide ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 3, Berlin: Aufbau, 1975, S. 559-560.
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