Fünfte Szene

[479] In Cymbelines Palast.


Es treten auf Cymbeline, Bellarius, Guiderius, Arviragus, Pisanio, Lords, Krieger und Gefolge.


CYMBELINE.

Steht mir zur Seit', ihr, die die Götter sandten

Als Stützen meines Throns! Es quält mein Herz,

Daß jener Arme, der so herrlich focht,

Des Kittel goldne Rüstungen beschämte,

Des nackte Brust sich vordrang erznen Panzern,

Nicht kann gefunden werden: der sei glücklich,

Der ihn entdeckt – kann unsre Huld beglücken.

BELLARIUS.

Nie sah ich solchen Heldenzorn in so

Armsel'gem Bild; solch fürstlich Tun in einem,

Der nur geboren schien für Bettlerangst.

CYMBELINE.

Und weiß man nichts von ihm?

PISANIO.

Man sucht' ihn unter Lebenden und Toten,

Doch fand man keine Spur.

CYMBELINE.

Zu meinem Kummer

Bin ich der Erbe seines Lohns; und füge

Ihn euch noch zu, Herz, Leber, Hirn Britanniens:

Durch euch ja lebt es nur. Jetzt ist es Zeit,

Zu fragen, wo ihr herstammt – sprecht!

BELLARIUS.

Mein König,

Aus Cambria gebürtig sind wir, adlig:

Unschicklich wär' und unwahr, mehr zu rühmen;

Nur daß wir ehrlich, sag' ich noch.

CYMBELINE.

Kniet nieder

Steht auf als meine Ritter von der Schlacht:

Ihr seid hiermit die Nächsten im Gefolge,

Und Würden geb' ich, eurem Stand geziemend.


Cornelius kommt mit den Hofdamen.


Eil' spricht aus aller Blick: – Warum so traurig

Begrüßt ihr unsern Sieg? Ihr blickt gleich Römern,

Nicht wie vom brit'schen Hof.

CORNELIUS.

Heil, großer König!

Dein Glück zu trüben, muß ich dir den Tod

Der Kön'gin melden.[479]

CYMBELINE.

Wem steht solche Botschaft

Wohl schlechter als dem Arzt? Doch wissen wir,

Arznei verlängt das Leben wohl, doch rafft

Der Tod zuletzt den Arzt auch hin. – Wie starb sie?

CORNELIUS.

Im Wahnsinn, schauderhaft, wie sie gelebt;

Grausam der Welt im Leben, starb sie auch

Grausamen Todes. Was sie hat bekannt,

Meld' ich, wenn Ihr befehlt; und diese Frauen,

Sie mögen, irr' ich, mich der Lüge zeihen;

Sie sahen, feuchten Blicks, ihr Ende.

CYMBELINE.

Sprich!

CORNELIUS.

Zuerst bekannte sie, sie liebt' Euch nie;

Durch Euch erhöht sein war ihr Ziel, nicht Ihr;

Nur Eurem Thron war sie vermählt als Gattin,

Euch selber hassend.

CYMBELINE.

Sie nur konnt' es wissen:

Und sprach sie's sterbend nicht, so glaubt' ich's nimmer

Selbst ihren eignen Lippen. Fahre fort!

CORNELIUS.

Und Eure Tochter, der sie trügerisch

So große Liebe zeigte, sie bekannt' es,

War ein Skorpion im Aug' ihr; und sie wollte –

Nur daß die Flucht sie hinderte – mit Gift

Ihr Leben tilgen.

CYMBELINE.

O du list'ger Teufel!

Wer kann ein Weib durchschau'n? – Weißt du noch mehr?

CORNELIUS.

Und Schlimmres. Sie gestand, daß sie für Euch

Ein tödlich Mittel habe, das, genommen,

Minutenweis' am Leben zehrt und langsam

Euch zollweis' töten sollt', indessen sie,

Durch Wachen, Weinen, Pfleg' und Zärtlichkeit,

Durch falschen Schein Euch täuschte – ja die Zeit,

Indem ihr Mittel auf Euch wirkte, nützte,

Um ihrem Sohn die Krone zu versichern.

Da nun ihr Zweck durch sein Verschwinden fehl schlug,

Erfaßte sie schamlos Verzweifeln; Menschen

Und Gott zum Trotz, gestand sie ihre Absicht;

Bereute, daß das Unheil nicht gereift,

Und starb in Wut.[480]

CYMBELINE.

Ihr Frau'n vernahmt dies auch?

HOFDAME.

So ist es, hoher König.

CYMBELINE.

Meine Augen

Sind ohne Schuld, denn sie war schön; mein Ohr,

Das sie mit Schmeichelei erfüllt; mein Herz,

Das ihrem falschen Schein getraut; nur Laster

Konnt' Argwohn fassen: – aber, o mein Kind!

Daß ich ein Tor gewesen, darfst du sagen,

Dein Unglück hat's bestätigt. Hilf uns, Himmel!


Es treten auf Lucius, Jachimo, der Wahrsager und mehrere römische Gefangene mit Wachen; Posthumus und Imogen zuletzt.


Jetzt kommst du nicht, Tribut zu fodern, Cajus;

Den hat Britannien ausgetilgt, wenn auch

Durch manches Tapfern Tod; und deren Freunde

Verlangen Sühnung ihrer Geister durch

Die Tötung der Gefangnen, was ich ihnen

Bewilligt: So erwäge dein Geschick!

LUCIUS.

Bedenk' des Krieges Wechsel! Nur durch Zufall

War dein der Sieg; und wär' er uns geworden,

Bedräuten wir mit kaltem Blute nicht

Die Kriegsgefangenen. Doch da die Götter

Es also wollten, daß nur unser Leben

Als Zahlung gilt, so mag es sein: – man weiß,

Ein Römer kann mit Römerherzen dulden –

Augustus lebt, und rächt es einst: – so viel,

Was mich betrifft. Dies eine nur will ich

Von Euch erbitten: Nehmet Lösung an

Für meinen Knaben, dieses Landes Sohn;

Kein Herr hatt' einen Pagen je, so sanft,

So pflichtergeben, aufmerksam und fleißig,

So allerwege treu, so weiblich pflegsam:

Mag sein Verdienst mit meiner Bitte sprechen,

Ihr könnt sie, edler König, nicht versagen;

Er kränkte keinen Briten, war er Diener

Auch eines Römers: – ihn verschont, und spart

Kein Blut sonst!

CYMBELINE.

Sicher hab' ich ihn gesehn;[481]

Sein Antlitz ist mir wohlbekannt. – Mein Knabe,

Es hat dein Blick sich mir ins Herz gesenkt,

Und du bist mein. – Mich treibt's, ich weiß nicht wie,

Zu sagen, lebe! – dank' nicht deinem Herrn –

Und fodre, was du willst, von Cymbeline:

Ziemt's meiner Güt' und deinem Stand, gewähr' ich's;

Ja, wenn du auch von den Gefangnen foderst

Den edelsten.

IMOGEN.

In Demut dank' ich Euch.

LUCIUS.

Nicht bitt' ich, daß du sollst mein Leben fodern;

Doch weiß ich, liebes Kind, du wirst.

IMOGEN.

Ach nein:

Um ganz was anders handelt sich's; da seh' ich

Mir Schlimmres noch als Tod: dein Leben, guter Herr,

Muß selbst sich umtun.

LUCIUS.

Mich verschmäht der Knabe,

Verläßt, verspottet mich – wie schnell verschwindet

Ein Glück, das sich auf Knab' und Mädchen gründet! –

Was steht er so betäubt?

CYMBELINE.

Was willst du, Knabe?

Mehr lieb' ich dich und mehr; denk' mehr und mehr,

Was du gern hättest. Kennst du, den du anschaust?

Willst du sein Leben? Ist's dein Freund? Verwandter?

IMOGEN.

Er ist ein Römer, mir nicht mehr verwandt,

Als ich Eu'r Hoheit; doch ich steh' Euch näher

Als Untertan.

CYMBELINE.

Was schaust du ihn so an?

IMOGEN.

Ich sag's Euch im geheim, wenn Ihr geruht,

Mich anzuhören.

CYMBELINE.

Ja, von ganzem Herzen,

Und bin für dich ganz Ohr. Wie ist dein Name?

IMOGEN.

Fidelio, Herr.

CYMBELINE.

Du bist ein wackrer Knabe;

Mein Page, ich dein Herr: komm und sprich frei!


Cymbeline und Imogen sprechen heimlich.


BELLARIUS.

Ist er vom Tod erstanden, dieser Knabe?

ARVIRAGUS.

Ein Sandkorn sieht dem andern nicht so gleich:[482]

Das ros'ge Kind, Fidelio, welches starb –

Was meint Ihr?

GUIDERIUS.

Ganz dasselbe Wesen lebend.

BELLARIUS.

Still! Er sieht uns nicht an; seid ruhig, wartet!

Wohl gleichen Menschen sich, und wenn er's wäre,

So spräch' er auch mit uns.

GUIDERIUS.

Wir sahn ihn tot.

BELLARIUS.

Schweigt, warten wir es ab!

PISANIO für sich.

's ist meine Herrin!

Nun, da sie lebt, mag kommen, was da will,

Gut oder schlimm!

CYMBELINE.

Komm, stell' dich neben mich,

Tu' deine Fragen laut! – Du da, tritt vor,

Gib Antwort diesem Knaben und sprich frei;

Sonst, bei der Majestät und ihrer Gnade,

Der wir uns rühmen, sollen schwere Foltern

Wahrheit und Lüge scheiden. – Sprich zu ihm!

IMOGEN.

Ich bitte, daß der Edelmann uns sage,

Wer ihm den Ring gab.

POSTHUMUS für sich.

Was kann ihn das kümmern?

CYMBELINE.

Der Diamant an deinem Finger, sprich,

Wie ward er dein?

JACHIMO.

Du wirst mich foltern, daß ich das nicht sage,

Was ausgesprochen selbst dich foltert.

CYMBELINE.

Mich?

JACHIMO.

Erwünscht ist mir der Zwang, das auszusprechen,

Was mich im Schweigen quält. Durch Schurkerei

Ward mir der Ring, einst Leonatus' Kleinod,

Den du verbanntest; und (dies pein'ge dich

Mehr als mich selbst!) nie lebt' ein beßrer Mann

Auf weiter Erde. Willst du mehr noch hören?

CYMBELINE.

Das Nötige.

JACHIMO.

Der Engel, deine Tochter,

Um die mein Herz Blut weint, und, an sie denkend,

Mir Pein die Kraft raubt – Weh! Ich sinke nieder –

CYMBELINE.

Mein Kind! Was ist mir ihr? Ermanne dich:

Eh' sei dir Leben, bis Natur es endet,

Als daß du schweigend stirbst: frisch auf, und rede![483]

JACHIMO.

Zu einer Zeit (unselig war die Glocke,

Die jene Stunde schlug!) in Rom (verflucht

Das Haus!) bei einem Fest (oh, waren Gift

Die Speisen! Mindestens, die ich genoß!)

Der gute Posthumus – (gut, sag' ich? Freilich,

Zu gut, mit bösen Menschen zu verkehren;

War er doch selbst bei Auserwählten, Höchsten,

Der Beste aller!) ernsthaft saß er, hörte,

Wie die Geliebten unsers Lands wir priesen,

Um Schönheit, die den höchsten Schwung erlahmte

Des, der am besten sprach; und um Vollendung,

Daß Venus und Minerva ward verdunkelt,

Bildwerke die Natur beschämen; und

Um Geistesadel; alle Wundergaben,

Um die man Weiber liebt (der Reiz beseitigt

Des Herzens Angel, der die Augen trifft) –

CYMBELINE.

Es brennt der Boden mir. Laß mich's erfahren!

JACHIMO.

Zu bald, wenn du nicht bald dir Kummer wünschest. –

Er, Posthumus, in Liebe hochgesinnt,

Fürstlich geliebt, sprach nun in solcher Würde,

Und nicht mißpreisend, die wir priesen (darin

Wie Tugend mild), begann er seiner Herrin

Gemälde, das, wie seine Zung' es schuf,

Und ihm dann Seele gab, uns prahlen hieß

Von Küchenmägden, oder seine Schilderung

Zeigt' uns als Blödsinn, dem die Rede fehlt.

CYMBELINE.

Zur Sache; schnell!

JACHIMO.

Die Keuchheit Eurer Tochter – hier beginnt's –

Er sprach, als hätte Diana üpp'ge Träume,

Und sie allein sei kalt: worauf ich, Bube,

Sein Lob verhöhnt', und mit ihm Wette spielte,

Goldsummen gegen das, was damals trug

Sein ehrenvoller Finger, durch Verführung

Und seine Schmach den Ring hier zu gewinnen,

Durch Ehebruch mit ihr; er, echter Ritter,

Der ihrer Ehre minder nicht vertraute,

Als ich sie wahrhaft fand, setzt' diesen Ring,

Und hätt's getan, war's ein Karfunkel auch[484]

An Phöbus' Rad; und konnt' es sicher, galt's

Den Wert ganz des Gespanns. Fort, nach Britannien

Eil' ich deshalb – Ihr mögt Euch wohl erinnern

Am Hofe mein, wo Eure keusche Tochter

Den großen Unterschied von Lieb' und Unzucht

Mir lehrte. So, im Hoffen, nicht im Wünschen

Erstickt, fing an mein welsches Hirn zu wirken

In Eurer schweren Luft, höchst niederträchtig,

Doch herrlich meinem Nutzen. Und, in Kürze:

Durchaus gelang mein Kunststück, daß ich kehrte

Mit Scheinbeweisen, g'nug, um toll zu machen

Den edlen Leonatus, schwer verwundend

Sein fest Vertraun in ihrer Tugend Ruhm,

Durch die und jene Zeichen: ich beschrieb

Gemälde, Tepp'che, zeigt' ihr Armband ihm

(O List, die mir's gewann!), und nannt' ein heimlich

Merkmal an ihrem Leib. Er mußte glauben,

Vernichtet sei'n die Pflichten ihrer Keuschheit,

Und ich Besitzergreifer. Nun hierauf –

Mich dünkt, ich seh' ihn jetzt –

POSTHUMUS hervortretend.

Ja, also ist's,

Du welscher Teufel! – Weh! weh mir leichtgläub'gem Toren!

Ausbünd'gem Mörder, Dieb, ja alles, was

Nur Bösewichter schimpft der Vorzeit, Gegenwart

Und Zukunft! – Gebe Strick mir, Messer, Gift

Ein biedrer Richter! König, sende fort

Nach ausgesuchten Foltern: ich bin der,

Der alles, was die Welt verabscheut, adelt,

Da weit verworfner ich! Ich bin der Posthumus,

Der dir dein Kind erschlug! – O nein, ich lüge bübisch:

Der einem schuft'gern Buben als ich selbst,

'nem kirchenräuberischen Dieb den Mord befahl; –

Der Tugend Tempel war sie, nein, die Tugend selbst.

Wirf Stein' und Kot auf mich, und spei' mich an;

Laß hetzend auf mich los der Straßen Hunde,

Geschimpft sei jeder Bube Posthumus,

Und jede andre Büberei sei Ruhm! –

O Imogen![485]

Mein Weib, mein Leben, meine Königin!

O Imogen! Imogen!

IMOGEN.

Still, Herr, hört –

POSTHUMUS.

Ist hier ein Schauspiel? Du vorwitz'ger Page,

Da liegt deine Rolle!


Er schlägt sie, sie fällt hin.


PISANIO.

Helft, ihr Herrn!

Helft mein und eurer Fürstin! – Posthumus!

Erst jetzt erschlugst du Imogen: – helft, helft!

O teure Fürstin!

CYMBELINE.

Dreht die Welt sich um?

POSTHUMUS.

Wie kommt der Schwindel mir?

PISANIO.

Erwacht, Prinzessin!

CYMBELINE.

Ist dies, so wollen mich die Götter töten

Mit Todesfreuden!

PISANIO.

Wie geht es, Fürstin?

IMOGEN.

Geh mir aus den Augen,

Du gabst mir Gift. Fort, du heimtück'scher Mensch!

Und atme nicht, wo Fürsten sind!

CYMBELINE.

Es ist

Die Stimme Imogens!

PISANIO.

Gebieterin,

Zerschmettern mich der Götter Donnerkeil',

Wenn ich das Fläschchen nicht, das ich Euch gab,

Für heilsam hielt: mir gab's die Königin.

CYMBELINE.

Noch etwas Neues?

IMOGEN.

Mir war's Gift.

CORNELIUS.

O Himmel!

Eins, was die Kön'gin noch gestand, vergaß ich,

Das rettet deine Ehre: »Gab Pisanio«,

Sprach sie, »das Fläschchen seiner Herrin, das

Ich als Arznei ihm schenkt', ist sie bedient,

Wie Ratten man bedient.«

CYMBELINE.

Wie das, Cornelius?

CORNELIUS.

Die Königin, mein Fürst, drang oft in mich,

Ihr Gift zu mischen; Trieb nach Wissenschaft

Gab sie stets vor und sprach, sie wolle töten[486]

Nur niedrige Geschöpf', als Katzen, Hunde,

Die man nicht schont; ich, fürchtend, daß ihr Anschlag

Auf Größres ziele, mischt' ihr einen Trank,

Der, eingenommen, augenblicklich hemmt

Die Lebensgeister; doch nach kurzer Zeit

Erwachen alle Kräfte der Natur

Zum vor'gen Dienst. – Habt Ihr davon genommen?

IMOGEN.

Gewiß; denn ich war tot.

BELLARIUS.

Seht, meine Söhne,

Daher der Irrtum.

GUIDERIUS.

Ja, es ist Fidelio.

IMOGEN.

Wirfst du so weg dein angetrautes Weib?

Denk', daß du auf 'nem Felsen stehst, und wirf

Mich wieder fort!


Sie umarmt Posthumus.


POSTHUMUS.

Häng' hier als Frucht, mein Leben,

Bis der Baum stirbt!

CYMBELINE.

Wie nun, mein Fleisch, mein Kind,

Machst du zum Gaffer mich in diesem Spiel?

Hast du kein Wort für mich?

IMOGEN vor ihm knieend.

Herr, Euren Segen!

BELLARIUS.

Daß ihr den Jüngling liebtet, tadl' ich nicht;

Ihr hattet Grund.

CYMBELINE.

Sei dieser Tränenguß

Geweihtes Wasser dir! O Imogen,

Tot ist die Mutter.

IMOGEN.

Es tut mir weh, mein Vater.

CYMBELINE.

Oh, sie war bös', und ihre Schuld allein

Ist's, daß wir so uns wiedersehn. Ihr Sohn

Ist fort, wir wissen nicht, wohin.

PISANIO.

Mein König,

Jetzt, frei von Furcht, verhehl' ich nichts. Prinz Cloten

Kam, als die Fürstin man vermißt, zu mir

Mit bloßem Schwert, und schäumt' vor Wut und schwur.

Entdeckt' ich ihm nicht gleich, wohin sie floh,

So wär's im Augenblick mein Tod. Durch Zufall

Hatt' ich 'nen falschen Brief von meinem Herrn

In meiner Tasche: dieser gab ihm an,

Bei Milford in den Bergen sie zu suchen;[487]

Dahin, voll Wut, in meines Herren Kleidern,

Die er von mir erzwang, ging er in Eil',

Mit bösem Vorsatz; meiner Herrin Ehre

Schwur er zu rauben. Was aus ihm geworden,

Erfuhr ich nicht.

GUIDERIUS.

So schließ' ich die Erzählung:

Ich hab' ihn dort erschlagen.

CYMBELINE.

Gott verhüt' es,

Daß deinen edlen Taten meine Zunge

Ein hartes Urteil sprechen soll; ich bitte,

Verleugn' es, tapfrer Jüngling!

GUIDERIUS.

Ich sagt' es, und ich tat's.

CYMBELINE.

Er war ein Prinz.

GUIDERIUS.

Ein sehr unhöflicher: wie er mich schmähte,

Das war nicht prinzlich; denn er reizte mich

Mit Worten; brüllte so das Meer mich an,

Ich böt' ihm Trotz; den Kopf schlug ich ihm ab,

Und freue mich, daß er nicht hier kann stehn,

Von meinem dies erzählen.

CYMBELINE.

Ich klag' um dich:

Dein eignes Wort verdammt dich, das Gesetz

Heißt Tod: du stirbst!

IMOGEN.

Den Leichnam ohne Haupt

Hielt ich für meinen Gatten.

CYMBELINE.

Bindet ihn,

Führt den Verbrecher fort!

BELLARIUS.

Halt' ein, Herr König:

Weit besser ist der Mann als der Erschlagne,

Er ist so viel als du; und hat um dich

Wohl mehr verdient als eine Bande Clotens,

Die keine Narbe wagten. Laßt die Arm' ihm frei,

Sie sind für Bande nicht.

CYMBELINE.

Ha! Alter Krieger,

Willst du noch ungelohnt Verdienst dir rauben

Und unsern Zorn erregen? So viel wär' er,

Als selber wir?

ARVIRAGUS.

Darin ging er zu weit.

CYMBELINE.

Er stirbt dafür![488]

BELLARIUS.

Wir sterben alle drei:

Erst zeig' ich's, zwei von uns sind ganz so vornehm,

Wie ich gesagt. – Geliebte Söhn', ich muß

Ein Wort enträtseln, das gefährlich mir,

Doch glücklich ist für euch.

ARVIRAGUS.

Was Euch gefährlich,

Ist's uns.

GUIDERIUS.

Und unsers, Euer Glück.

BELLARIUS.

Wohlan! –

Du hatt'st, o König, einen Untertan,

Er hieß Bellarius.

CYMBELINE.

Was von ihm? Verbannt

Ward der Verräter.

BELLARIUS.

Er ist's, der dies Alter

Erreicht hat; freilich, ein verbannter Mann:

Weshalb Verräter, weiß ich nicht.

CYMBELINE.

Fort mit ihm,

Die ganze Welt soll ihn nicht retten.

BELLARIUS.

Nicht zu hitzig:

Erst zahle mir die Kost für deine Söhne;

Und alles sei verfallen gleich, wie ich's

Empfangen habe!

CYMBELINE.

Kost für meine Söhne?

BELLARIUS.

Ich bin zu kühn und dreist. Hier knie' ich nieder,

Und steh' nicht auf, eh' ich die Söhn' erhoben;

Dann schone nicht den Alten! Großer König,

Die beiden edeln Knaben, die mich Vater

Genannt, sich meine Söhne, sind nicht mein;

Sie sind die Sprossen deines Stamms, mein Lehnsherr,

Und Blut von deinem Blut.

CYMBELINE.

Wie, mir entsprossen?

BELLARIUS.

Wie deinem Vater du. Ich, alter Morgan,

Bin der Bellarius, den du einst verbannt:

Dein Will' allein war meine Sünd' und Strafe;

Dies mein Verrat; daß ich so dulden mußte,

War mein Verbrechen. Diese edeln Prinzen –

Sie sind es wahrlich! – hab' ich auferzogen

Seit zwanzig Jahren: und ihr Wissen ist,[489]

Wie ich es lehren konnte; meine Bildung

Kennt Ihr. Euriphile, die Wärterin,

Die für den Raub ich freite, stahl die Kinder

Nach meinem Bann; ich reizte sie dazu,

Da ich vorher die Straf' empfing für das,

Was ich nachher verübt; für Treu geschlagen,

Ward ich dadurch Verräter; ihr Verlust,

Je mehr von Euch gefühlt, entsprach so mehr

Der Absicht meines Raubs. Huldreicher Herr,

Nimm deine Söhne hier, verlier' ich auch

Die holdesten Gefährten von der Welt: –

Des Himmels vollster Segen tau' herab

Auf ihre Häupter! Denn sie sind es wert,

Den Himmel auszuschmücken mit Gestirnen.

CYMBELINE.

Du weinst und redest. Was ihr drei im Kriege

Vollbracht, ist Wunder mehr als dein Erzählen;

Geraubt sind meine Kinder: sind es diese,

Kann ich mir nicht zwei beßre Söhne wünschen.

BELLARIUS.

Geduld ein Weilchen! –

Der Jüngling, den ich Polydor genannt,

Ist Prinz Guiderius, Euer edler Sohn;

Mein Cadwal, dieser Jüngling, Arviragus,

Eu'r jüngster Prinz; er war in einen Mantel

Gehüllt, künstlich gewebt von eigner Hand

Der Kön'gin, seiner Mutter, den, als Merkmal,

Ich leicht dir zeigen kann.

CYMBELINE.

Guiderius hatte

Ein Mal am Hals, so wie ein blut'ger Stern:

Es war ein seltsam Zeichen.

BELLARIUS.

Dieser trägt

Noch jenen Stempel der Natur an sich;

Sie gab ihm dies aus weiser Vorsicht mit,

Sein Zeugnis jetzt zu sein.

CYMBELINE.

Bin ich so Mutter

Von dreien Kindern? Nie war eine Mutter

So froh nach der Geburt. – O seid gesegnet,

Daß, wie ihr seltsam eurem Kreis entwicht,[490]

Ihr jetzt drin herrschen mögt! – O Imogen!

Dadurch hast du ein Königreich verloren.

IMOGEN.

Mein Vater, nein; zwei Welten so gewonnen. –

Oh, liebste Brüder, trafen wir uns so?

Sagt künftig nie, daß ich nicht wahrer spreche:

Ihr hießt mich Bruder, und ich war nur Schwester;

Ich nannt' euch Brüder, die ihr wirklich waret.

CYMBELINE.

Habt ihr euch schon gesehn?

ARVIRAGUS.

Ja, teurer König,

GUIDERIUS.

Und liebten uns beim ersten Blick, beharrten

Im Lieben, bis wir ihn gestorben wähnten.

CORNELIUS.

Vom Trank der Königin.

CYMBELINE.

O Wunder des Instinkts!

Wann fass' ich's ganz? Die rohe Abkürzung

Ist so seltsam verzweigt, daß jedes einzeln

Sich glänzend hebt. – Wie, wo habt ihr gelebt?

Und wie kamst in den Dienst des Römers du?

Wie fandst du, wie verließest du die Brüder?

Weshalb entflohst vom Hof du, und wohin?

Auch was euch alle drei zur Schlacht getrieben,

Und wie viel andres noch muß ich erfragen;

Die Nebensachen all', wie sich's begeben,

Glücklich und seltsam; doch nicht Zeit noch Ort

Paßt für so lange Fragartikel. Seht,

Es ankert Posthumus auf Imogen;

Und sie, wie Wetterleuchten, wirft ihr Auge

Auf ihn, die Brüder, mich, den Gatten, schießend

Auf jeglichen den Freudenblitz; in jedem spricht

Entzücken anders. Gehn wir denn von hier,

Und fülle Weihrauchduft die Tempelhallen! –

Du bist mein Bruder; der sollst du mir bleiben.

IMOGEN.

Ihr seid mein Vater auch, erquicktet mich,

Um dieses Heil zu sehn.

CYMBELINE.

Es jauchzt nun alles,

Nur die in Ketten nicht: sie mögen auch

Sich freuen unsrer Milde!

IMOGEN.

Euch, Gebieter,

Will ich doch helfen noch.[491]

LUCIUS.

Seid denn beglückt?

CYMBELINE.

Der tapfre Krieger, den wir noch vermissen,

Er hätte diesen Kreis geziert; dann wäre

Die Dankbarkeit des Königs nicht verkürzt.

POSTHUMUS.

Mein Fürst,

Der Krieger, der mit diesen dreien kämpfte

In armer Tracht, wie sie der Absicht ziemte,

Die damals ich verfolgte, – der bin ich.

Sprich, Jachimo, du lagst vor mir am Boden,

Erschlagen konnt' ich dich.

JACHIMO vor ihm knieend.

Hier lieg' ich wieder,

Doch des Gewissens Druck beugt jetzt mein Knie,

Wie damals deine Kraft. Nimm hin mein Leben,

Das ich so oft verwirkt: doch erst den Ring,

Und hier das Armband der getreusten Fürstin,

Die jemals Liebe schwur.

POSTHUMUS.

Knie' nicht vor mir:

Die Macht, die ich besitz', ist dich verschonen;

Und meine Rache, dir verzeihen. Lebe,

Sei besser gegen andre!

CYMBELINE.

Edler Spruch!

Es soll uns Großmut unser Eidam lehren:

Verzeihung allen!

ARVIRAGUS.

Herr, Ihr halfet uns,

Als wenn Ihr wirklich unser Bruder wäret;

Wir freun uns, daß Ihr's seid.

POSTHUMUS.

Eu'r Knecht, ihr Prinzen. – Edler Herr von Rom,

Ruft Euren Zeichendeuter: Als ich schlief,

Schien mir's, daß Jupiter auf seinem Adler

Sich mir genaht mit andern Geistgestalten

Von meinem Haus; als ich erwachte, fand ich

Dies Täfelchen auf meiner Brust; die Schrift

Ist dunkeln Sinnes, so daß ich sie nicht

Mir deuten kann: laßt seine Kunst ihn zeigen!

LUCIUS.

Philarmonus –

WAHRSAGER.

Hier, Herr!

LUCIUS.

Lies und erkläre![492]

WAHRSAGER liest. »Wenn eines Löwen Junges, sich selbst unbekannt, ohne Suchen findet, und umarmt wird von einem Stück zarter Luft; und wenn von einer stattlichen Zeder Äste abgehauen sind, die, nachdem sie manches Jahr tot gelegen haben, sich wieder neu beleben, mit dem alten Stamm vereinen und frisch empor wachsen; dann wird Posthumus' Leiden geendigt, Britannien beglückt und in Frieden und Fülle blühend.«

Du, Leonatus, bist des Löwen Junges;

So wird dein Name treu und recht erklärt,

Da Leo-natus ganz dasselbe deutet;

Das Stück der zarten Luft, dein edles Kind,

Wir nennen's mollis aer; mollis aer

Bedeutet mulier: mulier nun, erklär' ich,

Ist dies standhafte Weib, die eben jetzt,

Buchstäblich nach den Worten des Orakels,

Euch unerkannt und ungesucht umschloß

Als zarte Luft.

CYMBELINE.

Ein Schein, doch von Bedeutung.

WAHRSAGER.

Die Zeder, königlicher Cymbeline,

Bist du, und deine abgehaunen Zweige

Sind deine Söhne, die Bellarius stahl:

Seit lange tot geglaubt, und neu belebt,

Vereint der mächt'gen Zeder, deren Zweige

Britannien Fried' und Überfluß verheißen.

CYMBELINE.

Wohl!

Beginnen wir mit Frieden! – Cajus Lucius,

Zwar Sieger, unterwerfen wir uns Cäsarn

So wie dem röm'schen Reiche, und versprechen,

Tribut zu zahlen, wie bisher, wovon

Die böse Königin uns abgeraten;

Die Rache der gerechten Götter fiel

Mit schwerer Hand auf sie und ihren Sohn.

WAHRSAGER.

Der Himmelsmächte Finger stimmt die Saiten

Zur Harmonie des Friedens. Das Gesicht,

Das ich dem Lucius offenbart', eh' noch

Die kaum erkühlte Schlacht begann, erfüllt

Sich diesen Augenblick. Der röm'sche Adler,[493]

Der, hohen Flugs, von Süd nach Westen schwebte,

Ward kleiner stets, bis er im Sonnenstrahl

Verschwand: dies zeigt, daß unser Fürstenadler,

Der große Cäsar, sich in Liebe wieder

Mit Cymbeline, dem strahlenden, vereint,

Der hier im Westen glänzt.

CYMBELINE.

Preis sei den Göttern!

Es wirble Rauch empor zu ihrem Sitz

Aus heil'gen Tempeln! Ruft den Frieden aus

All unsern Untertanen! Ziehn wir heim:

Ein römisch und ein britisch Banner wehe

Freundlich vereint: so gehn wir durch Luds Stadt;

Und in dem Tempel Jupiters beschwören

Den Frieden wir, besiegeln ihn mit Festen.

Brecht auf! – Nie hatt' ein Krieg, eh' noch die Hände

Vom Blut sich wuschen, solch ein schönes Ende.


Alle gehn mit Musik und in einem feierlichen Marsche ab.[494]

Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 2, Berlin: Aufbau, 1975.
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Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten

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Anders als in seinen früheren, naturalistischen Stücken, widmet sich Schnitzler in seinem einsamen Weg dem sozialpsychologischen Problem menschlicher Kommunikation. Die Schicksale der Familie des Kunstprofessors Wegrat, des alten Malers Julian Fichtner und des sterbenskranken Dichters Stephan von Sala sind in Wien um 1900 tragisch miteinander verwoben und enden schließlich alle in der Einsamkeit.

70 Seiten, 4.80 Euro

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Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

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Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

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