Zweite Szene

[582] Vor dem Palast.


Autolycus und ein Edelmann treten auf.


AUTOLYCUS. Ich bitte Euch, Herr, waret Ihr gegenwärtig bei dieser Erzählung?

ERSTER EDELMANN. Ich war bei dem Öffnen des Bündels, und hörte den Bericht des alten Schäfers, wie er ihn fand. Darauf,[582] nach einem kurzen Staunen, hieß man uns alle das Zimmer verlassen; nur das, dünkt mich, hörte ich den Schäfer noch sagen, er habe das Kind gefunden.

AUTOLYCUS. Ich möchte gern den Ausgang wissen.

ERSTER EDELMANN. Ich mache nur einen unvollständigen Bericht von der Sache; – aber die Verwandlung, die ich an dem König und Camillo bemerkte, war Zeichen einer großen Verwund'rung; sie schienen fast, so starrten sie einander an, ihre Augenlider zu zersprengen; es war Sprache in ihrem Verstummen, und Rede selbst in ihrer Gebärde; sie sahen aus, als wenn sie von einer neu entstandenen oder untergegangenen Welt gehört hätten: solche Verzückung des Staunens war an ihnen sichtbar; doch die klügsten Zuschauer, die nichts wußten, als was sie sahen, konnten nicht sagen, ob der Anlaß Freude oder Schmerz war: aber der höchste Grad des einen oder des andern mußte es sein.


Ein zweiter Edelmann tritt auf.


Da kommt ein Herr, der vielleicht mehr weiß. Was gibt's, Rogero?

ZWEITER EDELMANN. Nichts als Freudenfeuer: das Orakel ist erfüllt; des Königs Tochter gefunden. So viel wunderbare Dinge sind in dieser Stunde zum Vorschein gekommen, daß es nicht Balladenmacher genug gibt, sie zu besingen.


Ein dritter Edelmann tritt auf.


Da kommt der Paulina Haushofmeister, der kann Euch mehr erzählen. – Wie steht es nun, Herr? Diese Neuigkeit, die man als wirklich bekräftigt, sieht einem alten Märchen so ähnlich, daß ihre Wahrhaftigkeit sehr verdächtig scheint. Hat der König seine Erbin gefunden?

DRITTER EDELMANN. Ganz gewiß, wenn die Wahrheit je durch Umstände bewiesen ward: Ihr möchtet schwören, das zu sehen, was Ihr hört, – solch eine Übereinstimmung ist in den Beweisen. Der Mantel der Königin Hermione – ihr Juwel, das sie um den Hals zu tragen pflegte – des Antigonus Briefe, dabei gefunden, in denen sie seine Handschrift erkennen – die Majestät des Mädchens, in der Ähnlichkeit mit der Mutter[583] – der Ausdruck von Adel, welcher zeigt, wie Natur höher steht als Erziehung – und viele andre Zeugnisse bekunden sie, mit der allergrößeten Sicherheit, als des Königs Tochter. Sahet Ihr die Zusammenkunft der beiden Könige?

ZWEITER EDELMANN. Nein.

DRITTER EDELMANN. Dann habt Ihr einen Anblick verloren, den man gesehen haben muß, den man nicht beschreiben kann. Da hättet Ihr sehen können, wie eine Freude die andre krönte; so, auf solche Weise, daß es schien, der Schmerz weinte, weil er sie verlassen sollte; denn ihre Freude watete in Tränen. Da war ein Augenaufschlagen, ein Händeemporwerfen, und die Angesichter in einer solchen Verzücktheit, daß man sie nur noch an ihren Kleidern und nicht an ihren Zügen erkennen mochte. Unser König, als wenn er aus sich selbst vor Freude über seine gefundene Tochter stürzen wollte, als wäre diese Freude plötzlich ein Unglück geworden, schreit: »Oh, deine Mutter! deine Mutter!« Dann bittet er Böhmen um Vergebung; dann umarmt er seinen Eidam, dann wieder zerdrückt er fast seine Tochter mit Umhalsungen; nun dankt er dem alten Schäfer, der dabei steht wie ein altes verwittertes Brunnenbild von manches Königs Regierung her. Ich hörte noch nie von einer solchen Zusammenkunft. die jede Erzählung, welche ihr folgen möchte, lähmt und die Beschreibung vernichtet, die sie zeichnen will.

ZWEITER EDELMANN. Doch, bitte, was ward aus Antigonus, der das Kind von hier fort brachte?

DRITTER EDELMANN. Immer wie ein altes Märchen, das noch vieles vorzutragen hat, wenn auch der Glaube schliefe und kein Ohr es hörte: Er wurde von einem Bären zerrissen: dies bestätigt der Sohn des Schäfers, den nicht nur seine Einfalt, die groß scheint, rechtfertigt, sondern auch ein Schnupftuch und Ringe vom Manne, die Paulina erkennt.

ERSTER EDELMANN. Was wurde aus seinem Schiffe und seinem Gefolge?

DRITTER EDELMANN. Gescheitert, in demselben Augenblick, da ihr Herr ums Leben kam, und im Angesichte des Schäfers: so daß alle Werkzeuge, welche zur Aussetzung des Kindes beitrugen, gerade da unter gingen, als das Kind gerettet[584] ward. Aber, ach, der edle Kampf, den Schmerz und Freude in Paulina kämpften! Ein Auge senkte sich um den Verlust des Gatten, indem das andre sich erhob, weil das Orakel nun erfüllt war; sie hob die Prinzessin von der Erde auf, und schloß sie so fest in ihre Umarmung, als wollte sie sie an ihr Herz heften, damit sie nur nicht von neuem verloren gehen möchte.

ERSTER EDELMANM. Die Hoheit dieser Szene verdiente Könige und Fürsten als Zuschauer, denn von solchen ward sie gespielt.

DRITTER EDELMANN. Einer der rührendsten Züge von allen, und der auch nach meinen Augen angelte (das Wasser bekam er, aber nicht den Fisch), war, wie bei der Erzählung von der Königin Tode, mit der Art, wie sie unterlag (wundervoll erzählt und vom König betrauert), wie da starres Hinhören seine Tochter durchbohrte: bis, von einem Zeichen des Schmerzes zum andern, sie endlich, mit einem »Ach!« möchte ich doch sagen, Tränen blutete; denn, das weiß ich gewiß, mein Herz weinte Blut. Wer am meisten Stein war, veränderte jetzt die Farbe; einige taumelten ohnmächtig, alle waren tief betrübt: hätte die ganze Welt dies anschauen können, der Jammer hätte alle Völker ergriffen.

ERSTER EDELMANN. Sind sie zum Hof zurückgekehrt?

DRITTER EDELMANN. Nein, da die Prinzessin von der Statue ihrer Mutter hörte, welche in Paulinas Verwahrung ist, – ein Werk, woran schon seit vielen Jahren gearbeitet ward, und das jetzt kürzlich erst vollendet ist, durch Julio Romano, den großen italienischen Meister, der, wenn er selbst Ewigkeit hätte und seinen Werken Odem einhauchen könnte, die Natur um ihre Kunden brächte, so vollkommen ist er ihr Nachäffer: er hat die Hermione so der Hermione gleich gemacht, daß, wie man sagt, man mit ihr sprechen und Antwort erwarten möchte: dorthin, mit aller Gier der Liebe, sind sie jetzt gegangen, und dort wollen sie zu Nacht essen.

ERSTER EDELMANN. Ich dachte es wohl, daß sie dort etwas Wichtiges vor habe, denn seit Hermiones Tode hat sie ganz geheim das entlegene Haus täglich zwei- oder dreimal besucht.[585] Wollen wir hin und durch unsre Gegenwart an der Freude teil nehmen?

ZWEITER EDELMANN. Wer möchte weg bleiben, der die Wohltat des Zutritts genießen darf? Mit jedem Augenwink kann irgendeine neue Freude geboren werden: und unsere Abwesenheit verkümmert uns das Mitwissen. Laßt uns gehn!


Die drei Edelleute gehn ab.


AUTOLYCUS. Jetzt nun, klebte nicht der Makel meines vorigen Lebens an mir, würde Beförderung auf mich niederregnen. Ich brachte den alten Mann und seinen Sohn auf das Schiff des Prinzen, sagte ihm, daß ich von einem Bündel hörte, und ich weiß nicht, was alles: aber er, eben zu besorgt um die Schäferstochter, dafür hielt er sie noch, welche anfing, sehr seekrank zu werden, und er nur um weniges besser, weil der Sturm dauerte, konnte die Entdeckung des Geheimnisses nicht anhören. Aber das ist alles eins für mich: wäre ich auch der Ausfinder der Sache gewesen, würde es doch nicht meinen übrigen Verunglimpfungen den schlechten Geschmack genommen haben.


Der alte und der junge Schäfer treten auf.


Hier kommen die, denen ich Gutes tat gegen meinen Willen, und sie erscheinen schon in den Blüten ihres Glücks.

DER ALTE SCHÄFER. Nun, Junge, ich werde keine Kinder mehr bekommen; aber deine Söhne und Töchter werden alle als Edelleute geboren sein.

DER JUNGE SCHÄFER. Gott grüß' Euch, Herr: Ihr wolltet Euch neulich nicht mit mir schlagen, weil ich kein geborner Edelmann war: seht Ihr diese Kleider? Sprecht, daß Ihr sie nicht seht, und haltet mich noch immer für keinen gebornen Edelmann: Ihr dürftet wohl gar sagen, diese Putzsachen wären keine gebornen Edelleute. Straft mich jetzt einmal Lügen, so sollt Ihr erfahren, ob ich ein geborner Edelmann bin.

AUTOLYCUS. Herr, ich weiß, daß Ihr jetzt ein geborner Edelmann seid.

DER JUNGE SCHÄFER. Ja, und das bin ich immer gewesen, seit vier Stunden.[586]

DER ALTE SCHÄFER. Ich auch, Junge.

DER JUNGE SCHÄFER. Ja, Ihr auch: – aber ich war ein Edelmann geboren vor meinem Vater: denn der Sohn des Königs nahm mich bei der Hand und nannte mich Bruder; und dann nannten die beiden Könige meinen Vater Bruder; und dann nannten der Prinz, mein Bruder, und die Prinzeß, meine Schwester, meinen Vater Vater, und da weinten wir: und das waren die ersten Edelmannstränen, die wir vergossen.

DER ALTE SCHÄFER. Gott schenke uns langes Leben, Sohn, damit wir noch viele vergießen!

DER JUNGE SCHÄFER. Ja; sonst wäre es ein wahres Unglück, da wir in so despektablem Zustande sind.

AUTOLYCUS. Ich bitte Euch demütig, Herr, mir alles zu verzeihen, was ich gegen Euer Gnaden gefehlt habe, und ein gutes Wort für mich bei dem Prinzen, meinem Herrn, einzulegen.

DER ALTE SCHÄFER. Ich bitte dich, Sohn, tue das, denn wir müssen edel sein, da wir nun Edelleute sind.

DER JUNGE SCHÄFER. Willst du deinen Lebenswandel bessern?

AUTOLYCUS. Ja, wenn Euer Gnaden erlauben.

DER JUNGE SCHÄFER. Gib mir die Hand: ich will dem Prinzen schwören, daß du ein ehrlicher und aufrichtiger Mensch bist, wie nur einer in Böhmen.

DER ALTE SCHÄFER. Sagen kannst du das, aber nicht schwören.

DER JUNGE SCHÄFER. Nicht schwören, da ich nun ein Edelmann bin? Bauern und Bürger mögen's sagen, ich will es beschwören.

DER ALTE SCHÄFER. Wenn's aber falsch wäre, Sohn?

DER JUNGE SCHÄFER. Wenn es noch so falsch ist, ein echter Edelmann kann es beschwören, zum Besten seines Freundes: – und ich will dem Prinzen schwören, daß du dich wie ein herzhafter Kerl betragen und dich nicht betrinken wirst; obwohl ich weiß, daß du dich nicht wie ein herzhafter Kerl betragen, und dich wohl betrinken wirst; aber ich will es doch beschwören – und ich wollte, du möchtest dich wie ein herzhafter Kerl betragen.

AUTOLYCUS. Ich will es werden, Herr, aus allen Kräften.

DER JUNGE SCHÄFER. Ja, werde nur auf jeden Fall ein wackrer[587] Kerl; wenn ich mich nicht verwundre, wie du das Herz hast, dich zu betrinken, da du kein herzhafter Kerl bist, so traue mir nie wieder! – Horch! Der König und die Prinzen, unsre Verwandtschaft, gehn zu dem Bilde der Königin. Komm, folge uns: wir wollen deine guten Herren sein.


Sie gehn ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 2, Berlin: Aufbau, 1975, S. 582-588.
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