Zweite Szene

[158] Roussillon.


Es treten auf die Gräfin und der Narr.


GRÄFIN. Alles hat sich zugetragen, wie ich's wünschte, außer daß er nicht mit ihr kommt.

NARR. Meiner Treu, ich denke, unser junger Herr ist ein sehr melancholischer Mann.

GRÄFIN. Und woran hast du das bemerkt?

NARR. Ei, er sieht auf seinen Stiefel und singt; zupft an der Krause und singt; tut Fragen und singt; stochert die Zähne und singt; ich kannte einen, der solchen Ansatz von Melancholie hatte und einen hübschen Meierhof für ein Singsang verkaufte.

GRÄFIN. Laß mich sehn, was er schreibt, und wann er zu kommen denkt. Sie öffnet einen Brief.

NARR. Ich frage nichts mehr nach Elsbeth, seit ich am Hofe gewesen bin. Unser alter Stockfisch und unsre Elsbeths auf dem Lande sind doch nichts gegen den alten Stockfisch und die Elsbeths am Hofe. Mein Cupido läßt die Flügel hängen, und ich fange an zu lieben, wie ein alter Mann das Geld liebt, ohne Appetit! –

GRÄFIN. Was sehe ich hier?

NARR. Grade was Ihr seht. Geht ab.

GRÄFIN liest. »Ich sende Euch eine Schwiegertochter; sie hat den König hergestellt, und mich zu Grunde gerichtet. Ich habe sie geheiratet, aber nicht die Vermählung vollzogen, und geschworen, dieses 'Nicht' ewig zu machen. Ihr werdet hören, ich sei davon gegangen; erfahrt es durch mich, eh' der Ruf es Euch meldet. Wenn die Welt breit genug ist, werde ich mich in weiter Entfernung halten.

Mit kindlicher Hochachtung Euer unglücklicher Sohn Bertram.« –[158]

Das ist nicht recht, unbänd'ger, rascher Knabe! –


Die Gunst zu meiden solches guten Herrn,

Und auf dein Haupt zu sammeln seinen Zorn,

Die Braut verstoßend, die so edel ist,

Daß Kaiser selbst sie nicht verschmähten! –


Der Narr kommt zurück.


NARR. Oh, gnädige Frau, draußen gibt's betrübte Neuigkeiten zwischen zwei Soldaten und der jungen Gräfin.

GRÄFIN. Was ist?

NARR. Freilich, etwas Trost ist in den Neuigkeiten, etwas Trost; Euer Sohn wird nicht so bald umkommen, als ich dachte.

GRÄFIN. Woran sollte er denn umkommen?

NARR. Das denke ich auch, gnädige Frau, wenn er davon läuft, wie ich höre, daß er tut: die Gefahr ist im Zusammenbleiben; denn dadurch gehn Kinder auf und Männer drauf. – Hier kommen welche, die Euch mehr sagen werden; ich meines Teils weiß nur, daß der junge Graf davon gegangen ist.


Helena und zwei Edelleute treten auf.


ERSTER EDELMANN.

Gott grüß' Euch, edle Gräfin!

HELENA.

O Gräfin, mein Gemahl ist hin, auf immer hin!

ZWEITER EDELMANN.

Sagt das nicht!

GRÄFIN.

Sei nur gefaßt! – Ich bitt' euch, liebe Herrn,

Mich traf so mancher Schlag von Freud' und Gram,

Daß beider plötzlich schreckende Erscheinung

Mich kaum entmutigt. Sagt, wo ist mein Sohn?

ZWEITER EDELMANN.

Er ging zum Dienst des Herzogs von Florenz;

Wir trafen ihn hinreisend, als wir kamen

Von dort; und wie der Hof uns nur entläßt,

Gehn wir dahin zurück.

HELENA. Seht diesen Brief! Das ist mein Reisepaß!

»Wenn du den Ring an meinem Finger erhalten kannst, der niemals davon kommen soll; und mir ein Kind zeigen, von deinem Schoß geboren, zu dem ich Vater bin; dann nenne mich Gemahl; aber dieses ›dann‹ ist so viel als ›nie‹.«

Das ist ein harter Spruch![159]

GRÄFIN.

Habt ihr den Brief gebracht, ihr Herrn?

ERSTER EDELMANN.

Ja, Gräfin;

Um solchen Inhalt reut uns unsre Müh'.

GRÄFIN.

Ich bitt' dich, Liebe, fasse bessern Mut!

Leg' nicht Beschlag auf alles Leid für dich,

Sonst raubst du meine Hälfte. Er war mein Sohn;

Allein ich wasch' ihn weg aus meinem Blut

Und nenne dich mein einzig Kind. Nach Florenz

Ist er gegangen?

ZWEITER EDELMANN.

Ja.

GRÄFIN.

Im Feld zu dienen?

ZWEITER EDELMANN.

Das ist sein edler Vorsatz; und gewiß,

Der Herzog wird ihm alle Her' erweisen,

Die ihm gebührt.

GRÄFIN.

Kehrt ihr dahin zurück?

ERSTER EDELMANN.

Ja, Gräfin, mit der Eile schnellstem Flug.

HELENA.

»Bis ich kein Weib hab', hab' ich nichts in Frankreich.«

's ist bitter!

GRÄFIN.

Schreibt er das?

HELENA.

Ja, gnäd'ge Frau.

ERSTER EDELMANN.

Vielleicht 'ne Kühnheit nur der Hand, von der

Sein Herz nichts weiß.

GRÄFIN.

Bis er kein Weib hat, hat er nichts in Frankreich?

Ich weiß in Frankreich nichts zu gut für ihn,

Als sie allein; und ihr gebührt ein Mann,

Dem zehn so rohe Knaben dienen sollten,

Sie stündlich Herrin nennend. Wer war mit ihm?

ERSTER EDELMANN.

Nur ein Bedienter, und ein Kavalier,

Den ich seit kurzem kenne.

GRÄFIN.

Ist's Parolles?

ERSTER EDELMANN.

Ja, gnäd'ge Frau.

GRÄFIN.

Ein sehr verrufner Bursch, und voller Bosheit;

Mein Sohn verdirbt sein gut geartet Herz

Durch seinen schlechten Rat.

ERSTER EDELMANN.

Recht, edle Gräfin.

Der Bursch hat viel zu viel von dem, was hindert,

Daß viel aus ihm je werde.

GRÄFIN.

Seid willkommen,[160]

Ihr Herrn! Ich bitt' euch, sagt doch meinem Sohn,

Es könn' ihm nie sein Schwert die Her' erringen,

Die er verliert; noch Weitres bitt' ich euch

Ihm schriftlich einzuhänd'gen.

ZWEITER EDELMANN.

Zählt auf uns,

Euch hierin wie im Wichtigsten zu dienen!

GRÄFIN.

Nicht dienen – wir wollen Freunde sein.

Wollt ihr nicht näher treten?


Die Gräfin und die beiden Edelleute gehn ab.


HELENA.

»Bis ich kein Weib hab', hab' ich nichts in Frankreich.«

Er hat in Frankreich nichts, bis er kein Weib hat!

Du sollst keins haben, Bertram, keins in Frankreich:

Dann hast du wieder alles. Armer Graf!

Bin ich's, die dich aus deiner Heimat jagt,

Der Glieder zarten Bau dem Zufall preis gibt

Des schonungslosen Kriegs? Bin ich's, die dich

Vertreibt vom lust'gen Hof, wo schöne Augen

Nach dir gezielt, und jetzt im Schuß zu stehn

Dampfender Feuerschlünd'? O bleir'ne Boten,

Die auf des Blitzes Hast verwundend fahren,

Fliegt andre Bahn; teilt die gleichgült'ge Luft,

Die singt, wenn ihr sie trefft! Nicht ihn berührt!

Wer nach ihm schießt, den hab' ich hingestellt.

Wer anlegt auf sein heldenmütig Herz,

Den hab' ich Meuchelmörderin gedungen;

Und töt' ich ihn nicht selbst, war ich doch Ursach',

Daß solcher Tod ihn traf. Viel besser wär's,

Den Löwen fänd' ich, wenn er schweifend brüllt

Im scharfen Drang des Hungers; besser wär's,

Daß alles Elend, das Natur umfaßt,

Mein würd' auf eins. Kehr' wieder, Roussillon,

Von dort, wo Her' aus der Gefahr sich meist

Nur Narben holt und alles oft verliert.

Ich geh': mein Bleiben hält von hier dich fern,

Und dazu blieb' ich? Nimmermehr! Ob auch

Des Paradieses Luft dies Haus umwehte

Und Engel drin mir dienten. Ich will gehn.[161]

Meld' ihm, Gerücht, mitleidig, daß ich floh,

Und tröst' ihn! Komm, o Nacht! Mit Tags Entweichen

Will ich, ein armer Dieb, von hier mich schleichen.


Ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 2, Berlin: Aufbau, 1975, S. 158-162.
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