Zweite Szene

[231] Ebendaselbst.


Es treten auf Armado und Motte.


ARMADO. Was bedeutet es, Kind, wenn ein Mann von hohem Geist schwermütig wird? –

MOTTE. Eine große Vorbedeutung, Herr, daß er melancholisch aussehn wird.

ARMADO. Nein, Melancholie ist ja damit eins und dasselbe, teures Pfropfreis![231]

MOTTE. Nein, nein, o bei Leibe, nein! –

ARMADO. Wie unterscheidest du wohl Schwermut und Melancholie, mein zarter Juvenil? –

MOTTE. Durch eine faßliche Demonstration ihrer Wirkungen, mein zäher Sennor.

ARMADO. Warum zäher Sennor? Warum zäher Sennor? –

MOTTE. Warum zarter Juvenil? Warum zarter Juvenil? –

ARMADO. Ich wähle dieses »zarter Juvenil« als ein kongruentes Epitheton, anfügsam deinen jungen Tagen, welche wir treffend nennen: zart.

MOTTE. Und ich »zäher Sennor«, als einen passenden Titel für Eure alten Jahre, welche wir mit Recht nennen: zäh.

ARMADO. Artig und geschickt.

MOTTE. Wie meint Ihr, Herr: ich artig und meine Rede geschickt? oder ich geschickt und meine Rede artig?

ARMADO. Du artig, weil klein.

MOTTE. Kleinartig, weil klein. Und warum geschickt?

ARMADO. Und deshalb geschickt, weil schnell.

MOTTE. Sprecht Ihr dies zu meinem Lobe, Herr?

ARMADO. Zu deinem verdienten Lobe.

MOTTE. Ich will einen Aal mit demselben Lobe loben.

ARMADO. Wie? daß ein Aal sinnreich ist?

MOTTE. Daß ein Aal schnell ist.

ARMADO. Ich sage, du bist schnell im Antworten, du erhitzest mein Blut, –

MOTTE. Nun habe ich meine Antwort, Herr.

ARMADO. Ich liebe nicht, gekreuzt zu sein.

MOTTE beiseit. Umgekehrt, ihn lieben die Kreuzer nicht.

ARMADO. Ich habe versprochen, drei Jahre mit dem Herzoge zu studieren.

MOTTE. Das könnt Ihr in einer Stunde tun

ARMADO. Unmöglich! –

MOTTE. Wie viel ist eins dreimal genommen?

ARMADO. Ich bin schwach im Rechnen; es ziemt dem Geiste eines Bierzapfers.

MOTTE. Ihr seid ein Edelmann und ein Spieler, Herr.

ARMADO. Ich gestehe beides: beides ist der Firnis eines vollendeten Mannes.[232]

MOTTE. So wißt Ihr denn auch sicherlich, auf wie viel sich die hohe Summe von Daus und As beläuft.

ARMADO. Sie beläuft sich auf eins mehr denn zwei.

MOTTE. Und das nennt der gemeine Pöbel drei.

ARMADO. Recht!

MOTTE. Nun, ist denn das so mühsames Studium? Drei waren hier ausstudiert, eh' Ihr dreimal mit den Augen blinzt: und wie leicht man das Wort Jahre zu dem Wort drei fügen und drei Jahre in zwei Worten studieren kann, das zählt Euch das Kunstpferd vor.

ARMADO. Eine hübsche Figur! –

MOTTE beiseit. Hübscher als Eure kann sie leicht sein!

ARMADO. Ich will überdem gestehn, daß ich in Liebe bin; und welcherleigestalt es niedrig ist für einen Soldaten, zu lieben, also auch bin ich in Liebe eines niedrigen Mägdleins. Wenn mein Schwert zu ziehen gegen den Kummer der Leidenschaft mich befreien könnte von dieser gottvergeßnen Gesinnung, so würde ich das Verlangen gefangen nehmen und es einem französischen Hofmann gegen ein neu ersonnenes Kompliment auswechseln. Ich halte es für schimpflich zu seufzen; mich dünkt, ich sollte dem Cupido abschwören. Sprich mir Trost ein, Kind: welche große Männer sind in Liebe gewesen? –

MOTTE. Herkules, Herr.

ARMADO. Holdseliger Herkules! Mehr Auktoritäten, teurer Knabe, nenne ihrer mehr; und, mein holdseliges Kind, lasse sie Männer von gutem Ruf und stattlichem Betragen sein.

MOTTE. Simson, Herr: der war ein Mann von gutem Betragen, großem Betragen, denn er trug die Stadttore auf seinem Rücken wie ein Lastträger; und der war in Liebe.

ARMADO. O wohlgefügter Simson! Stämmig gegliederter Simson! Ich übertreffe dich mit meinem Rapier so sehr, als du mich im Tortragen übertrafest. Auch ich bin in Liebe. Wer war Simsons Geliebte, mein teurer Motte?

MOTTE. Ein Weib, Herr.

ARMADO. Von welcher Komplexion?

MOTTE. Von allen vieren, oder dreien, oder zweien; oder von einer unter den vieren.[233]

ARMADO. Sage mir ausdrücklich, von welcher Komplexion? –

MOTTE. Von der meergrünen, Herr.

ARMADO. Ist das eine der vier Komplexionen? –

MOTTE. So wie ich gelesen habe, Herr, und noch dazu die beste.

ARMADO. Grün, in der Tat, ist die Farbe der Liebenden; aber eine Geliebte von der Farbe zu haben, dazu, dünkt mich, hatte Simson nur wenig Ursache. Ohne Zweifel hatte er wegen ihres Witzes Zärtlichkeit für sie?

MOTTE. So ist es, Herr, denn sie hatte einen grünen Witz.

ARMADO. Meine Geliebte ist höchst makellos rot und weiß.

MOTTE. Höchst makelvolle Gedanken, Herr, sind unter dieser Farbe maskiert.

ARMADO. Erkläre, erkläre dich, wohlgezogenes Kindlein!

MOTTE. Meines Vaters Witz und meiner Mutter Zunge, steht mir bei! –

ARMADO. Anmutige Anrufung für ein Kind; sehr artig und pathetisch!

MOTTE.

Wenn rot und weiß die Mädchen blühn,

Hat Sünde nie ein Zeichen;

Sonst macht ein Fehltritt sie erglühn,

Die Furcht wie Schnee erbleichen.


Was Schuld sei oder Schrecken nur,

Wer möcht' es unterscheiden,

Wenn ihre Wange von Natur

Die Farbe trägt der beiden?


Ein gefährlicher Reim, Herr, gegen Weiß und Rot! –

ARMADO. Gibt's nicht eine Ballade, Kind, vom König und der Bettlerin?

MOTTE. Vor einigen Menschenaltern hatte sich die Welt mit einer solchen Ballade versündigt; aber ich glaube, man findet sie jetzt nicht mehr, oder wenn sie noch da wäre, sind weder Text noch Melodie zu gebrauchen.

ARMADO. Ich will diesen Gegenstand von neuem bearbeiten lassen, damit ich ein Beispiel habe für meine Abirrung an einem erhabenen Vorgänger. Knabe, ich liebe das Landmädchen,[234] welches ich im Park mit dem vernunftbegabten Tiere Schädel ergriff; sie kann Ansprüche machen ...

MOTTE beiseit. Aufs Zuchthaus; und mit alle dem auf einen bessern Liebhaber als meinen Herrn.

ARMADO. Singe, Knabe: mein Gemüte wird schwermütig vor Liebe.

MOTTE beiseit. Und das ist ein großes Wunder, da Ihr ein leichtfertiges Mädchen liebt.

ARMADO. Singe, sage ich.

MOTTE. Geduld, bis die Gesellschaft fort ist.


Dumm, Schädel und Jacquenette treten auf.

DUMM. Herr, des Herzogs Wille ist, daß Ihr Schädel in Sicherheit bringt; Ihr sollt ihm keine Freude, aber auch kein Leid verursachen; aber fasten soll er, drei Tage in der Woche lang. Diese Jungfer muß ich in den Park bringen unter die Milchmädchen. Lebt wohl!

ARMADO. Ich verrate mich selbst durch Erröten. – Mädchen! –

JACQUENETTE. Männel!

ARMADO. Ich will dich in deinem Milchkeller besuchen.

JACQUENETTE. Krumm um die Ecke! –

ARMADO. Ich weiß, wo er gelegen ist.

JACQUENETTE. Herrje, wie klug er ist! –

ARMADO. Ich will dir Wunder sagen.

JACQUENETTE. Ja, Plunder! –

ARMADO. Ich liebe dich! –

JACQUENETTE. Das sind alte Kalender.

ARMADO. Und so gehab' dich wohl!

JACQUENETTE. Prost die Mahlzeit!

DUMM. Komm, Jacquenetta, fort! –


Dumm und Jacquenette gehn ab.


ARMADO. Bösewicht, du sollst fasten für deine Vergehungen, bevor dir verziehen wird.

SCHÄDEL. Gut, Herr; ich hoffe, wenn ich's tue, werde ich's mit vollem Magen tun.

ARMADO. Du sollst schwer bestraft werden.

SCHÄDEL. So bin ich Euch mehr verbunden als Eure Leute, denn die werden nur leicht belohnt.[235]

ARMADO. Hinweg mit diesem Bösewicht, sperrt ihn ein! –

MOTTE. Komm, du übertretender Sklav', komm! –

SCHÄDEL. Faßt mich nur nicht an! Ich will gefaßt sein, zu fasten, wenn Ihr mich loslaßt.

MOTTE. Los und gefaßt zugleich? Mein Freund, du mußt ins Gefängnis.

SCHÄDEL. Gut! Wenn ich je die fröhlichen Tage der Verzweiflung wiedersehe, die ich gesehn habe, so sollen gewisse Leute sehn, –

MOTTE. Was sollen gewisse Leute sehn? –

SCHÄDEL. Nichts, gar nichts, Junker Motte, als was sie erblicken werden. Es schickt sich für Gefangne nicht, in ihren Reden still zu schweigen, und deswegen will ich nichts sagen. Gott sei's gedankt, ich habe nicht mehr Geduld als andre Leute; und darum kann ich ruhig sein.


Motte und Schädel ab.


ARMADO. Ja, ich verehre selbst den Boden (welcher niedrig), wo ihr Schuh (welcher niedriger) – geführt von ihrem Fuß (welcher am niedrigsten) – einhertritt. Ich werde meineidig (welches doch ein großer Beweis von Treulosigkeit), wenn ich liebe: und wie kann das echtes Lieben sein, welches mit Untreue begonnen wird? Liebe ist ein Kobold; Liebe ist ein Teufel; es gibt keinen bösen Engel, als die Liebe. Dennoch ward Simson so versucht, und er besaß eine ausnehmende Stärke; dennoch ward Salomo so verführt, und er besaß einen ziemlichen Verstand. Cupidos Pfeil ist zu stark für Herkules' Keule; wie sollte er dann nicht meiner spanischen Klinge überlegen sein? Der erste und zweite Ausfoderungsgrund können mir nicht helfen: den passado achtet er nicht, das duello erkennt er nicht an. Sein Schimpf ist, Knabe genannt zu werden; sein Triumph dagegen, Männer zu unterjochen. Fahr' hin, Tapferkeit! – Roste, meine Klinge! – Schweige, Trommel! Denn euer Gebieter ist in Liebe; ja, er liebet. Hilf mir irgendein improvisierender Gott des Reims; denn zweifelsohne wird aus mir ein Sonettendichter. Erfinde, Witz; schreibe, Feder; denn ich bin gestimmt für ganze Bände in Folio. Er geht ab.[236]


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 1, Berlin: Aufbau, 1975, S. 231-237.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Liebes Leid und Lust
Shakespeare's dramatische Werke, Band 8: Die beiden Veroneser. Coriolanus. Liebes Leid und Lust
Shakespeare, William: Shakespeare's dramatische Werke / Die Comödie der Irrungen. - Die beiden Veroneser. - Coriolanus. Liebes Leid und Lust
Shakespeares dramatische Werke - Siebter Band: Der Widerspenstigen Zähmung, Viel Lärm um Nichts, Die Comödie der Irrungen, Achter Band: Die beiden Veroneser, Coriolanus, Liebes Leid und Lust
Shakespeare's Dramatische Werke: Einleitungen. Viel Lärmen Um Nichts. Die Comödie Der Irrungen. Die Beiden Veroneser. Coriolanus / Uebersetzt Von Dorothea Tieck. Liebes Leid Und Lust (German Edition)

Buchempfehlung

Hume, David

Untersuchung in Betreff des menschlichen Verstandes

Untersuchung in Betreff des menschlichen Verstandes

Hume hielt diesen Text für die einzig adäquate Darstellung seiner theoretischen Philosophie.

122 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon