Dritte Szene

[102] Troja, im Palast. Hektor und Andromache treten auf.


ANDROMACHE.

Wann war mein Gatte je so schlimm gelaunt,

Sein Ohr zu schließen einer Warnungsstimme?

Entwaffn', entwaffne dich, ficht heute nicht!

HEKTOR.

Du zwingst mich, hart zu sein; geh du hinein!

Bei allen ew'gen Göttern! Ich will kämpfen.

ANDROMACHE.

Mein Traum weissagt ein Unglück diesem Tag!

HEKTOR.

Nichts weiter, sag' ich! –


Kassandra kommt.


KASSANDRA.

Wo ist mein Bruder Hektor?

ANDROMACHE.

Bewaffnet, Schwester, und auf Blut gestellt.

Stimm' ein mit mir in lautem, heft'gen Flehn!

Beschwören wir ihn knieend! Denn mir träumte

Von blut'gem Wirrwarr, und die ganze Nacht

Sah ich Phantome nur und Mordgestalten.

KASSANDRA.

Oh, das trifft ein!

HEKTOR.

Laß die Trompete schallen!

KASSANDRA.

Kein Ton zum Angriff; Gott verhüt' es, Bruder!

HEKTOR.

Hinweg, die Götter hörten meinen Schwur.

KASSANDRA.

Taub sind die Götter raschen, tör'gen Eiden:

Das sind entweihte Spenden, mehr verhaßt

Als fleck'ge Lebern eines Opfertiers!

ANDROMACHE.

Oh, laß dir raten! Acht' es nicht für heilig,

Durch Rechttun schaden. Gleich erlaubt ja wär's,

Was wir als Dieb errungen, zu verschenken

Und aus barmherz'ger Liebe Raub begehn.

KASSANDRA.

Der gute Vorsatz leiht dem Eid die Kraft,

Nicht Eid auf jeden Vorsatz darf uns binden:

Entwaffne dich, mein Hektor! –

HEKTOR.

Laßt mich, Frau'n!

Denn meine Ehre trotzt des Schicksals Sturm.

Das Leben gilt uns teu'r; doch teurer Mut

Hält Her' um vieles teurer als das Leben.


Troilus kommt.

Nun, junger Mann, denkst du zu fechten heut?[102]

ANDROMACHE.

Kassandra, ruf den Vater, ihm zu raten!


Kassandra geht ab.


HEKTOR.

Nein, junger Troilus, leg' die Rüstung ab!

Heut hab' ich hohen Mut zur Ritterschaft! –


Laß wachsen erst die Sehnen stark und fest,

Und noch versuche nicht den Sturm der Schlacht!

Entwaffne dich, mein Knab', und glaub's dem Starken,

Heut schirmt er dich, sich selbst und Trojas Marken.

TROILUS.

Bruder, in deiner Großmut wohnt ein Fehl,

Der mehr dem Löwen ziemet als dem Mann.

HEKTOR.

Was für ein Fehl, mein Troilus? Schilt mich drum!

TROILUS.

Oft, wenn gefangne Griechen stürzten hin

Schon vor dem When und Sausen deines Schwerts,

Riefst du: steht auf, und lebt! –

HEKTOR.

So spielen Helden!

TROILUS.

So spielen Narr'n, beim Zeus! –

HEKTOR.

Wie das? Wie das?

TROILUS.

Um aller Götter willen,

Dies Klausner-Mitleid laß bei unsrer Mutter;

Und haben wir den Panzer umgeschnallt,

Dann schweb' auf unsern Schwertern gift'ge Rache,

Das Mitleid zügelnd, und mit Leid sie spornend.

HEKTOR.

Pfui, Wilder, pfui!

TROILUS.

Hektor, dann ist es Krieg!

HEKTOR.

Heut wünscht' ich, Troilus, du bliebest heim!

TROILUS.

Wer hielte mich zurück?

Nicht Schicksal, nicht Gehorsam, selbst nicht Mars,

Mit feur'gem Stab gebietend meinen Rückzug:

Nicht Hekuba noch Priam auf den Knie'n,

Mit Augen rot von bittrer Tränen Salz, –


Noch du, mein Bruder, mir mit tapferm Schwert

Entgegendrohend, sperrtest mir den Weg,

Als durch den Tod.


Kassandra kommt zurück mit Priamus.

KASSANDRA.

Leg' Hand an ihn, o Priam, halt' ihn fest:

Es ist dein Stab; verlierst du deine Stütze, –[103]

Auf ihn gelehnt, und Trojas Volk auf dich,

Sinkt alles hin mit eins.

PRIAMUS.

Bleib', Hektor, bleib';

Dein Weib sah Träume, deine Mutter Zeichen,

Kassandra weissagt Unglück, und ich selbst,

Wie ein Prophet in plötzlicher Verzückung,

Verkünde dir, der Tag ist vorbedeutend:

Drum kehr' zurück!

HEKTOR.

Äneas harrt im Feld;

Und manchem Griechen hab' ich's zugesagt,

Ins Angesicht des Ruhms, an diesem Morgen

Mich ihm zu stellen.

PRIAMUS.

Dennoch sollst du bleiben.

HEKTOR.

Ich darf mein Wort nicht brechen.

Ihr kennt mich pflichtgedenk; drum, teurer Herr,

Laßt mich die Ehrfurcht nicht verletzen; laßt

Auf Eu'r Geheiß und Wort dem Lauf mich folgen,

Den Ihr mir jetzt verweigert, hoher Fürst.

KASSANDRA.

Oh, Priam, gib nicht nach!

ANDROMACHE.

Tu's nicht, mein Vater!

HEKTOR.

Andromache, ich bin erzürnt auf dich.

Bei deiner Liebe fodr' ich's, geh hinein!


Andromache ab.


TROILUS.

Die abergläub'sche, tolle Träumerin

Schafft all die Angst.

KASSANDRA.

Leb wohl, mein teurer Hektor!

Sieh, wie du stirbst! Sieh, wie dein Aug' erbleicht!

Sieh, wie dein Blut aus vielen Wunden strömt!

Horch Trojas Wehruf, Hekubas Geheul,

Den lauten Jammerschrei Andromaches!

O sieh Verzweiflung, Wahnsinn, wild Entsetzen

Gleich tollen Larven durcheinander rennen

Und rufen: »Hektor! Hektor fiel! O Hektor!« –

TROILUS.

Hinweg! Hinweg!

KASSANDRA.

Leb wohl! Doch still! Nie sehen wir uns wieder;

Du täuschest dich und stürzest Troja nieder!


Sie geht ab.


HEKTOR.

Du staunst, o Herr, ob ihrem Weheruf![104]

Geh, sprich dem Volk Mut ein, wir woll'n zur Schlacht

Und tapfre Tat dir künden noch vor Nacht.

PRIAMUS.

Leb wohl! Die Götter leih'n dir ihren Schutz! –


Priamus und Hektor ab. Kriegslärm.


TROILUS.

Die Schlacht beginnt. Auf, Diomed, zum Reigen!

Und gölt's den Arm, der Ärmel wird mein eigen!


Pandarus kommt.


PANDARUS. Hört doch, mein bester Prinz, o hört doch!

TROILUS. Was gibt's?

PANDARUS. Hier ist ein Brief von dem armen Kinde.

TROILUS. Laß sehn! –

PANDARUS. Ein verwettertes Asthma, einverwettertes, niederträchtiges Asthma, setzt mir so zu, und obendrein das närrische Schicksal der Dirne, und bald das eine, und bald das andre, daß ich Euch nächster Tage drauf gehn werde. Und außerdem einen Fluß auf dem Auge, und solch ein Reißen im Gebein, daß mich wer behext haben muß, oder ich weiß nicht, was ich davon denken soll. – Was schreibt sie denn?

TROILUS.

Nur Wort' und Worte, aus dem Herzen nichts;


Zerreißt den Brief.


Die Wirklichkeit verfolgt ganz andern Weg.

Geh' Wind zum Wind; da dreht und wirbelt fort!

Mit Trug und Wort will sie mein Lieben krönen,

Und ihre Taten spart sie auf für jenen. –


Sie gehn ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 2, Berlin: Aufbau, 1975, S. 102-105.
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