Dritte Szene

[596] [Straße.]


Holzapfel, Schlehwein und Wache treten auf.


HOLZAPFEL. Seid ihr fromme, ehrliche Leute und getreu?

SCHLEHWEIN. Ja; sonst wär's schade drum, wenn sie nicht die ewige Salvation litten, an Leib und Seele.

HOLZAPFEL. Nein, das wäre noch viel zu wenig Strafe für sie, wenn sie nur irgend eine Legitimität an sich hätten, da sie doch zu des Prinzen Wache inkommodiert sind.

SCHLEHWEIN. Richtig. Teilt ihnen jetzt ihr Kommando aus, Nachbar Holzapfel.

HOLZAPFEL. Erstens also. Wer meint Ihr, der die meiste Unkapazität hätte, Konstabel zu sein? –

ERSTE WACHE. Veit Haberkuchen, Herr, oder Görge Steinkohle, denn sie können lesen und schreiben.

HOLZAPFEL. Kommt her, Nachbar Steinkohle! Gott hat Euch mit einem guten Namen gesegnet. Ein Mann von guter Physiognomik sein, ist ein Geschenk des Glücks; aber die Schreibe- und Lesekunst kommt von der Natur.

ZWEITE WACHE. Und beides, Herr Konstabel –

HOLZAPFEL. Habt Ihr, ich weiß, daß Ihr das sagen wolltet. Also dann, was Eure Physiognomik betrifft, seht, da gebt Gott die Ehre und macht nicht viel Rühmens davon; und Eure Schreibe- und Lesekunst, damit könnt Ihr Euch sehn lassen, wo kein Mensch solche Dummheiten nötig hat. Man[596] hält Euch hier für den allerstupidsten Menschen, um Konstabel bei unsrer Wache zu sein; darum sollt Ihr die Laterne halten. So lautet Eure Vorschrift: Ihr sollt alle Fragebunten irritieren: Ihr seid dazu da, daß Ihr allen und jeden zuruft: »Halt! in des Prinzen Namen.«

ZWEITE WACHE. Aber wenn nun einer nicht halten will?

HOLZAPFEL. Nun, seht Ihr, da kümmert Euch nicht um ihn, laßt ihn laufen, ruft sogleich die übrige Wache zusammen, und dankt Gott, daß Ihr den Schelm los seid.

SCHLEHWEIN. Wenn man ihn angerufen hat, und er will nicht stehn, so ist er keiner von des Prinzen Untertanen.

HOLZAPFEL. Richtig. Und mit solchen, die nicht des Prinzen Untertanen sind, sollen sie sich gar nicht abgeben. Dann sollt Ihr auch keinen Lärm auf der Straße machen, denn daß eine Wache auf dem Posten Toleranz und Spektakel treibt, kann gar nicht geduldet werden.

ZWEITE WACHE. Wir wollen lieber schlafen als schwatzen; wir wissen schon, was sich für eine Wache gehört.

HOLZAPFEL. Recht. Ihr sprecht wie ein alter und tranquiler Wächter; denn ich sehe auch nicht, was im Schlafen für Sünde sein sollte. Nur nehmt euch in acht, daß sie euch eure Piken nicht stehlen. Ferner! Ihr sollt in allen Bierschenken einkehren, und den Besoffenen sollt Ihr befehlen, zu Bett zu gehn. –

ZWEITE WACHE. Aber wenn sie nun nicht wollen? –

HOLZAPFEL. Nun, seht Ihr, da laßt sie sitzen, bis sie wieder nüchtern sind. Und wenn sie Euch dann keine bessere Antwort geben, da könnt Ihr ihnen sagen, sie wären nicht die Leute, für die Ihr sie gehalten habt.

ZWEITE WACHE. Gut, Herr.

HOLZAPFEL. Wenn Ihr einem Diebe begegnet, so könnt Ihr ihn kraft Eures Amts in Verdacht haben, daß er kein ehrlicher Mann sei; und was dergleichen Leute betrifft, seht Ihr, je weniger Ihr mit ihnen zu verkehren oder zu schaffen habt, je besser ist's für Eure Repetition.

ZWEITE WACHE. Wenn wir's aber von ihm wissen, daß er ein Dieb ist, sollen wir ihn da nicht festhalten?

HOLZAPFEL. Freilich, kraft Eures Amts könnt Ihr's tun; aber[597] ich denke, wer Pech angreift, besudelt sich: der friedfertigste Weg ist immer, wenn Ihr einen Dieb fangt, laßt ihn zeigen, was er kann, und sich aus Eurer Gesellschaft wegstehlen.

SCHLEHWEIN. Ihr habt doch immer für einen sanftmütigen Mann gegolten, Kamerad.

HOLZAPFEL. Das ist wahr, mit meinem Willen möcht' ich keinen Hund hängen, wieviel mehr denn einen Menschen, der nur einige Redlichkeit im Leibe hat.

SCHLEHWEIN. Wenn Ihr ein Kind in der Nacht weinen hört, so müßt Ihr der Amme rufen, daß sie's stillt.

ZWEITE WACHE. Wenn aber die Amme schläft und uns nicht hört?

HOLZAPFEL. Nun, so zieht in Frieden weiter und laßt das Kind sie mit dem Schreien wecken. Denn wenn das Schaf sein Lamm nicht hören will, das da bäh schreit, so wird's auch keinem Kalbe antworten, wenn's blökt.

SCHLEHWEIN. Das ist sehr wahr.

HOLZAPFEL. Dies ist das Ende Eurer Destruktion: Ihr, Konstabel, sollt jetzt den Prinzen in eigner Person presentieren: wenn Ihr dem Prinzen in der Nacht begegnet, könnt Ihr ihn stehen heißen.

SCHLEHWEIN. Nein, mein' Seel', das kann er doch wohl nicht.

HOLZAPFEL. Fünf Schillinge gegen einen: jedermann, der die Konstipation dieser Bürgerwache kennt, muß sagen, er kann ihn stehn heißen: aber zum Henker, versteht sich, wenn der Prinz Lust hat: denn freilich, die Wache darf niemand beleidigen, und es ist doch eine Beleidigung, jemand gegen seinen Willen stehn zu heißen.

SCHLEHWEIN. Sapperment, das denk' ich auch.

HOLZAPFEL. Ha, ha, ha! – Nun, Leute, gute Nacht! Sollte irgendeine Sache von Wichtigkeit passieren, so ruft nach mir. Nehmt Euren und Eures Kameraden Verstand zusammen, und so schlaft wohl! Kommt, Nachbar!

ZWEITE WACHE. Nun, Leute, wir wissen jetzt, was unsres Amtes ist: kommt und setzt euch mit auf die Kirchenbank bis um zwei Uhr, und dann zu Bett!

HOLZAPFEL. Noch ein Wort, ehrliche Nachbarn! Ich bitte euch,[598] wacht doch vor Signor Leonatos Türe, denn weil's da morgen eine Hochzeit gibt, so wird heut abend viel Spektakel sein. Gott befohlen! Nun, gute Addition! das bitte ich euch.


Holzapfel und Schlehwein ab.


Borachio und Konrad kommen.

BORACHIO. He, Konrad!

ERSTE WACHE. Still! Rührt Euch nicht! –

BORACHIO. Konrad, sag' ich!

KONRAD. Hier, Mensch! ich bin an deinem Ellbogen.

BORACHIO. Zum Henker, mein Ellbogen juckte mir auch, ich wußte wohl, daß das die Krätze bedeuten würde.

KONRAD. Die Antwort darauf will ich dir schuldig bleiben; nun nur weiter in deiner Geschichte.

BORACHIO. Stelle dich nur hart unter dieses Vordach, denn es fängt an zu regnen; und nun will ich dir, wie ein redlicher Trunkenbold, alles offenbaren.

ERSTE WACHE. Irgendeine Verräterei, Leute! Steht aber stockstill!

BORACHIO. Wisse also, ich habe tausend Dukaten von Don Juan verdient.

KONRAD. Ist's möglich, daß eine Schurkerei so teuer sein kann?

BORACHIO. Du solltest lieber fragen, ob's möglich sei, daß ein Schurke so reich sein könne: denn wenn die reichen Schurken der armen bedürfen, so können die armen fodern, was sie wollen.

KONRAD. Das wundert mich.

BORACHIO. Man sieht wohl, du bist noch kein Eingeweihter, du solltest doch wissen, daß die Mode eines Mantels, eines Wamses oder eines Huts für einen Mann so viel als nichts ist.

KONRAD. Nun ja, es ist die Kleidung.

BORACHIO. Ich meine aber die Mode.

KONRAD. Ja doch, die Mode ist die Mode.

BORACHIO. Ach was, das heißt ebenso viel als ein Narr ist ein Narr. Aber siehst du denn nicht, was für ein mißgestalter Schelm diese Mode ist?

ERSTE WACHE. Ei! den Herrn Mißgestalt kenne ich: der hat nun an die sieben Jahr das Schelmenhandwerk mitgemacht[599] und geht jetzt herum wie ein vornehmer Herr; ich besinne mich auf seinen Namen.

BORACHIO. Hörtest du nicht eben jemand?

KONRAD. Nein, es war die Fahne auf dem Hause.

BORACHIO. Siehst du nicht, sag' ich, was für ein mißgestalter Schelm diese Mode ist? Wie schwindligt er alle das hitzige, junge Blut zwischen vierzehn und fünfunddreißig herumdreht? Bald stutzt er sie dir zu, wie Pharaos Soldaten auf den schwarzgeräucherten Bildern, bald wie die Priester des Bel zu Babel auf den alten Kirchenfenstern, bald wie den kahlgeschornen Herkules auf den braunen, wurmstichigen Tapeten, wo sein Hosenlatz so groß ist als seine Keule.

KONRAD. Kann sein, ich sehe auch, daß die Mode mehr Kleider aufträgt als der Mensch. Aber hat sie dich denn nicht auch schwindligt gemacht, daß du von deiner Erzählung abgekommen bist, um mir von der Mode vorzufaseln?

BORACHIO. Nicht so sehr, als du denkst. Wisse also, daß ich diese Nacht mit Margareten, Fräulein Heros Kammermädchen, unter Heros Namen ein Liebesgespräch geführt; daß sie sich aus ihres Fräuleins Fenster zu mir heruntergeneigt und mir tausendmal gute Nacht gewünscht hat: oh, ich erzähle dir die Geschichte erbärmlich: – ich hätte vorher sagen sollen, wie der Prinz, Claudio und mein Herr, gekörnt, gestellt und geprellt von meinem Herrn Don Juan, von weitem im Garten diese zärtliche Zusammenkunft mit ansahen.

KONRAD. Hielten sie denn Margarete für Hero?

BORACHIO. Zwei von ihnen taten's, der Prinz und Claudio; aber mein Herr, der Teufel, wußte wohl, daß es Margarete sei. Teils seine Schwüre, mit denen er sie vorher berückt hatte, teils die dunkle Nacht, die sie täuschte, vor allem aber meine künstliche Schelmerei, die alle Verleumdung des Don Juan bekräftigte, brachten's so weit, daß Claudio wütend davon ging und schwur, er wolle morgen, wie es verabredet war, in der Kirche mit ihr zusammen kommen, sie dann vor der ganzen Versammlung durch die Entdeckung von dem, was er in der Nacht gesehn, beschimpfen und sie ohne Gemahl nach Hause schicken.[600]

ERSTE WACHE. Wir befehlen Euch in des Prinzen Namen, steht!

ZWEITE WACHE. Ruft den eigentlichen Herrn Konstabel; wir haben hier das allergefährlichste Stück von liederlicher Wirtschaft dekoffriert, das jemals im Lande vorgefallen ist.

ERSTE WACHE. Und ein Herr Mißgestalt ist mit im Spiel, ich kenne ihn, er trägt eine Locke.

KONRAD. Liebe Herren. ....

ZWEITE WACHE. Ihr sollt uns den Herrn Mißgestalt herbeischaffen, das werden wir euch wohl zeigen.

KONRAD. Meine Herren –

ERSTE WACHE. Stillgeschwiegen! Ihr sollt wissen, daß wir euch gehorchen, mit euch zu gehn.

BORACHIO. Wir werden da in eine recht bequeme Situation kommen, wenn sie uns erst auf ihre Piken genommen haben.

KONRAD. O ja, eine recht pikante Situation. Kommt, wir wollen mit euch gehn.


Alle ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 1, Berlin: Aufbau, 1975, S. 596-601.
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