Zweite Szene

[772] Ein Zimmer in Olivias Hause. Junker Tobias, Junker Christoph und Fabio treten auf.


JUNKER CHRISTOPH. Nein, wahrhaftig, ich bleibe keine Minute länger.

JUNKER TOBIAS. Deinen Grund, lieber Ingrimm! sag deinen Grund!

FABIO. Ihr müßt durchaus Euren Grund angeben, Junker Christoph.

JUNKER CHRISTOPH. Ei, ich sah Eure Nichte mit des Grafen Diener freundlicher tun, als sie jemals gegen mich gewesen ist; drunten im Garten sah ich's.

JUNKER TOBIAS. Sah sie dich derweil auch, alter Knabe? Sag mir das!

JUNKER CHRISTOPH. So deutlich, wie ich Euch jetzt sehe.

FABIO. Das war ein großer Beweis ihrer Liebe zu Euch.

JUNKER CHRISTOPH. Wetter! wollt Ihr einen Esel aus mir machen?

FABIO. Ich will es in bester Form beweisen, Herr, auf den Eid des Urteils und der Vernunft.

JUNKER TOBIAS. Und die sind Obergeschworne gewesen, ehe noch Noah ein Schiffer ward.

FABIO. Sie tat mit dem jungen Menschen vor Euern Augen[772] schön, bloß um Euch aufzubringen, um Eure Murmeltierstapferkeit zu erwecken, um Euer Herz mit Feuer und Schwefel zu füllen. Da hättet Ihr Euch herbeimachen sollen; da hättet Ihr den jungen Menschen, mit den vortrefflichsten Späßen, funkelnagelneu von der Münze, stumm ängstigen sollen. Dies wurde von Eurer Seite erwartet, und dies wurde vereitelt. Ihr habt die doppelte Vergoldung dieser Gelegenheit von der Zeit abwaschen lassen, und seid in der Meinung des gnädigen Fräuleins nordwärts gesegelt, wo Ihr nun wie ein Eiszapfen am Bart eines Holländers hängen werdet, wenn Ihr es nicht durch irgendeinen preiswürdigen Streich der Tapferkeit oder Politik wieder gut macht.

JUNKER CHRISTOPH. Soll's auf irgendeine Art sein, so muß es durch Tapferkeit geschehn; denn Politik hasse ich; ich wäre eben so gern ein Pietist als ein Politikus.

JUNKER TOBIAS. Wohlan denn, baun wir dein Glück auf den Grund der Tapferkeit! Fodre mir den Burschen des Grafen auf den Degen heraus; verwunde ihn an eilf Stellen; meine Nichte wird sich's merken, und sei versichert, daß kein Liebesmäkler in der Welt einen Mann den Frauen kräftiger empfehlen kann, als der Ruf der Tapferkeit.

FABIO. Es ist kein andres Mittel übrig, Junker Christoph.

JUNKER CHRISTOPH. Will einer von euch eine Ausfoderung zu ihm tragen?

JUNKER TOBIAS. Geh, schreib' in einer martialischen Hand; sei verwegen und kurz! Gleichviel wie witzig, wenn es nur beredt und voll Erfindung ist. Mach' ihn mit aller Freiheit der Feder herunter; wenn du ihn ein halb dutzendmal duzest, so kann es nicht schaden; und so viel Lügen als auf dem Papier liegen können, schreib' sie auf! Geh, mach' dich dran! Laß Galle genug in deiner Tinte sein, wenn du auch mit einem Gänsekiel schreibst, es tut nichts. Mach' dich dran!

JUNKER CHRISTOPH. Wo soll ich euch treffen?

JUNKER TOBIAS. Wir wollen dich auf deinem cubiculo abrufen. Geh nur!


Junker Christoph ab.


FABIO. Das ist Euch ein teures Männchen, Junker.[773]

JUNKER TOBIAS. Ich bin ihm auch teuer gewesen, Junge! auf ein paar Tausend, drüber oder drunter.

FABIO. Wir werden einen kostbaren Brief von ihm bekommen, aber Ihr werdet ihn nicht übergeben.

JUNKER TOBIAS. Nein, das könnt Ihr glauben. Aber vor allen Dingen treibt den jungen Menschen an, sich zu stellen! Ich denke, man brächte sie nicht an einander, wenn man auch Ochsen vorspannte. Was den Junker betrifft, wenn der geöffnet würde, und Ihr fändet so viel Blut in seiner Leber, als eine Mücke auf dem Schwanze davon tragen kann, so wollt' ich das übrige Gerippe aufzehren.

FABIO. Und sein Gegner, der junge Mensch, verkündigt auch eben nicht viel Grausamkeit mit seinem Gesicht.


Maria kommt.


JUNKER TOBIAS. Seht, da kommt unser kleiner Zeisig.

MARIA. Wollt ihr Milzweh haben und euch Seitenstechen lachen, so kommt mit mir! Der Pinsel Malvolio ist ein Heide geworden, ein rechter Renegat. Denn kein Christ, der durch den wahren Glauben selig zu werden hofft, glaubt jemals einen solchen Haufen abgeschmacktes Zeug. Er geht in gelben Strümpfen.

JUNKER TOBIAS. Und die Kniegürtel kreuzweise?

MARIA. Ganz abscheulich, wie ein Schulmeister. – Ich bin ihm nachgeschlichen wie ein Dieb: er richtet sich nach jedem Punkte des Briefs, den ich fallen ließ, um ihn zu betrügen. Er lächelt mehr Linien in sein Gesicht hinein, als auf der neuen Weltkarte mit beiden Indien stehn. Ihr könnt euch so was nicht vorstellen; ich kann mich kaum halten, daß ich ihm nicht etwas an den Kopf werfe. Ich weiß, das Fräulein wird ihm Ohrfeigen geben; und wenn sie es tut, so wird er lächeln und es für eine große Gunst halten.

JUNKER TOBIAS. Komm, führ' uns hin, führ' uns hin, wo er ist.


Alle ab.[774]


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 1, Berlin: Aufbau, 1975, S. 772-775.
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