1


[778] Von schönsten Wesen wünschen wir Vermehrung,

Damit der Schönheit Ros' unsterblich sei,

Und, wenn das Reife stirbt durch Zeitverheerung,

Sein Bild in zarten Erben sich erneu'.

Doch du, in eigner Augen Schein begnügt,

Nährst mit selbstwesentlichem Stoff dein Feuer,

Machst Hungersnot wo Überfülle liegt,

Dir selber Feind, des holden Ichs Bedräuer!

Der jungen Tage frische Zierde du

Und einz'ger Herold bunter Frühlingszeit,

Begräbst in eigner Knospe deine Ruh,

Vergeudest kargend, zarte Selbstigkeit!

Hab Mitleid mit der Welt! Verschling' aus Gier

Ihr Pflichtteil nicht in deinem Grab und dir.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 2, Berlin: Aufbau, 1975, S. 778-779.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Sonette
The Sonnets/ Die Sonette [Zweisprachig]
The Sonnets / Die Sonette: Englisch/Deutsch
Sonette. Engl./Dt. Übersetzt von Tieck, Regis, u.a., Einleitung von Hanno Helbling.
Die Sonette: Zweisprachige Ausgabe
Shakespeares Sonette