Kasperles abenteuerliche Reise

[145] Herr Severin hatte inzwischen still den schwarzen Koffer in sein Turmzimmer hinaufgetragen, und oben hatte er Kasperle herausgelassen. Ganz verstört sah dieses sich um, und Herr Severin hatte ein wenig gelacht und gesagt: »Ja, Kasperle, du kleiner, dummer Schelm, diesmal wärst du beinahe erwischt worden!«

Ach ja, wirklich beinahe! Kasperle schlug das Herz laut, wenn es an das Geschrei dachte, das sich um es herum erhoben hatte.

Nach einer Stunde kam Meister Helmer. Der freute sich herzhaft, als er Kasperle unversehrt wiedersah, und er hätte es gern wieder zu sich genommen, aber er stimmte doch Herrn Severin zu, als der sagte: »Kasperle muß fort. Morgen verreise ich und nehme es mit in dem schwarzen Koffer. Und nun, Kasperle, spitze deine Ohren: »Es geht zurück ins Waldhaus! Ich weiß nun, wo es liegt, aber –«

Kasperle hatte gerade vor Freude einen Purzelbaum schlagen wollen, als es dies »Aber« zurückhielt. Ein wenig ängstlich sah es Herrn Severin an, und der sagte ernsthaft: »Ja, aber Kasperle, du mußt arg vernünftig sein, denn wir kommen an allerlei Orte, wo man dich kennt. In Waldrast soll ich nach der Orgel schauen, und – auf Schloß Hirschsprung erwartet mich der Herzog. Da mußt du dann immer im Koffer bleiben und darfst keine dummen Streiche machen. Wirst du das können?«

Kasperle seufzte schwer, doch dann versicherte es treuherzig, es wolle ganz ungeheuer folgsam sein. Ja, und dabei glitzerten seine Äuglein schon wieder sehr lustig, denn der Gedanke, so ungesehen ins Herzogsschloß und nach[145] Waldrast zu kommen, machte ihm großen Spaß. Viel lieber hätte es freilich Rosemarie und Michele wiedergesehen, und als es an diesem Abend mit Herrn Severin zusammensaß, erzählte es dem viel von den beiden, und der sagte: »Nun, wer weiß, vielleicht sehen wir sie noch. Auf einer Reise trifft man oft gar wunderlich mit den Menschen zusammen!«

Am nächsten Morgen, noch war die Sonne nicht recht aufgegangen, mußte Kasperle schon in den schwarzen Koffer steigen. Ein wenig eng ging es drin zu; denn das Werkzeug von Herrn Severin und sonst noch allerlei mußten auch hinein, und Herr Severin meinte, schwer sei das Kasperle schon, als er den Koffer aufhob. Dann ging es hinaus. Im bunten Garten stand Meister Helmer, und da ringsum kein Mensch zu sehen war, durfte Kasperle noch einmal aussteigen und die altbekannten Wege laufen. Wie schön war doch der Garten! Kasperle wurde das Herz schwer, als es an das Scheiden von Meister Helmer und seinen vielen Blumen ging. Doch Herr Severin trieb zum Aufbruch: gleich würde die Post vorbeikommen. Und Kasperle kroch wieder in seinen Koffer, und da kam schon mit Trara-trara die gelbe Postkutsche angefahren. Der schwarze Koffer wurde oben auf das Dach gestellt. Herr Severin stieg in den Wagen, und heidi!, los ging die Fahrt.

»Muß i denn, muß i denn zum Städtele hinaus«, blies der Postillion, und rissel, rassel fuhr der Wagen ins Land hinein.

Mittags kamen sie an ein Gasthaus, da hielt der Wagen. Die Gäste stiegen aus, und Herr Severin sagte, er müßte ein Zimmer haben und allein essen, dies halte er immer so. Potzhundert, dachte der Wirt, das ist aber ein Vornehmer! Und er ließ Herrn Severin das Essen in einem besonderen Zimmer auftragen. Da spazierte dann Kasperle aus seinem Koffer heraus, schmauste mit, und nachher wunderte[146] sich der Wirt über den gewaltigen Appetit, den der vornehme Herr gehabt hatte.

Und weiter ging die Fahrt, immer weiter. Endlich kam ein Wirtshaus mit einem feuerroten Ochsen im Wirtshausschild. Da stieg Herr Severin aus und sagte dem Postillion Lebewohl. Der meinte noch, nun müsse der Herr sich aber gewaltig abschleppen, denn Waldrast liege hoch in den Bergen, und der schwarze Koffer sei arg schwer.

»Wird nicht so schlimm sein«, meinte Herr Severin und schritt am Roten Ochsen vorbei auf schmalem Wiesenweg in den Wald hinein. Dort öffnete er den Koffer, und Kasperle durfte nun neben ihm herspazieren. Sie paßten beide freilich sehr auf, ob jemand käme, aber niemand begegnete ihnen auf dem Weg. Herr Severin stieg rasch bergan,[147] das Kasperle hielt tapfer Schritt, und nach etlichen Stunden schlüpfte es wieder in den schwarzen Koffer, denn die Turmspitze von Waldrast wurde sichtbar.

Kasperle zog in Waldrast ein. Niemand sah es, es selbst aber sah durch ein Guckloch allerlei, zuerst die Base Mummeline, die auf der Straße stand und auf ein paar Buben schalt. Und dann sah Kasperle das liebe Schulhaus, es sah Herrn Habermus, der kam, den fremden Künstler zu begrüßen. Kasperle hörte die gute, freundliche Stimme, und der Kasten wurde ihm drückend eng. Ganz bitter schwer war es ihm, daß es niemand guten Tag sagen durfte, und als Herr Severin etwas später im Wirtshaus den Koffer öffnete, fand es Kasperle klitschnaß von Tränen.

Herr Severin tröstete es, so gut er konnte; er zeigte Kasperle, daß sie gerade neben dem Schulhaus wohnten. Von seinem Fenster aus konnte Kasperle denen drüben in die Stube sehen, und gerade wollte es das tun, als die Base Mummeline ans Fenster trat. Hei, fuhr da Kasperle zurück! Ganz böse sah es gleich aus, und Herr Severin hob warnend den Finger: »Kasperle, Kasperle, mache keinen dummen Streich!«

Kasperle wollte das bestimmt nicht. Wenn nur die Base Mummeline nicht gewesen wäre! Aber allemal, wenn es ans Fenster trat, immer erschien sie drüben an den Schulhausfenstern. Kasperle kam gar nicht dazu, die Frau Lehrer und ihre Kinder zu sehen, und es hatte doch so große Sehnsucht nach ihnen.

Ja, als es gerade wieder einmal um die Ecke schauen wollte, öffnete drüben die Base die Türe und kam tripp, trapp ins Wirtshaus herüber. Die Wirtin war ihre Freundin, und Kasperle wußte auch, die war genauso neugierig wie die Base selbst. Es schlüpfte flink in den Koffer, und nach einem Weilchen kamen auch richtig die beiden Frauen in das Zimmer. Die Base Mummeline sah sich neugierig[148] darin um, und Kasperle hörte sie sagen: »Er hat alles in dem schwarzen Koffer.«

»Den machen wir auf«, tuschelte die Wirtin, und schon fingerten die beiden Frauen an dem Koffer herum. Nun wußte Kasperle wohl, so leicht bekam den niemand auf, aber ungemütlich war es ihm doch; es dachte: Ich verjage sie. Es steckte den Kopf in sein Rucksäcklein und blies und brummte plötzlich hinein, ganz schauerlich klang es, und die Frauen fielen beinahe um vor Schreck. »Uhuhuuuh!« tönte es, und die Base Mummeline jammerte: »Er hat den Teufel drin!«

Die Wirtin aber war beherzter: »Das muß ich sehen«, sagte sie und ging wieder auf den Koffer zu, aber noch war sie nicht dran, als die Tür aufgerissen wurde und Herr Severin ins Zimmer kam. Der hatte schon unten das Uhuhuuuh vernommen. Die beiden Neugierigen erschraken arg, doch die Base Mummeline faßte sich schnell und rief ganz streng: »Ihr habt einen Teufel im Koffer!«

»Ei, nur einen, der es auf Neugierige abgesehen hat«, sagte Herr Severin lachend. »Nehmt euch in acht, manchmal fährt er auch mit einem lauten Knall heraus.«[149]

»Huch!« kreischten die Frauen, und rumpel – pumpel rasten sie hinaus, die Treppe hinab, und Kasperle platzte bald vor Lachen in seinem Koffer. Herr Severin lachte mit, er meinte aber doch, es wäre gut, daß sie morgen schon weiterzögen. Kasperle dürfe die Leute nicht mehr schrecken, es könne ihm doch schlecht bekommen. Und am Abend schloß Herr Severin vorsichtig das Zimmer ab. Er ging noch in das Lehrerhaus hinüber und dachte, es sei schon am sichersten, das Kasperle einzuschließen. Aber auch am langweiligsten, dachte Kasperle. Das sah immer wieder geschwind einmal zum Fenster hinaus, und als draußen alles still geworden war, hockte es sich auf das Fensterbrett und blickte sehnsüchtig nach dem Schulhaus hinüber. Ach, nur einmal hineinsehen hätte es mögen! Gerade vor seinem Fenster stand ein dicker Holzapfelbaum. Wenn es an dem Baum hinabkletterte, dann – Aber da dachte es an Herrn Severins Verbot, auch lag unten ein Hund, und die Geschichte kam ihm etwas bänglich vor. Aber ein paar unreife Holzäpfel der Base Mummeline ins Zimmer werfen, das ginge vielleicht doch; so platsch ins offene Fenster hinein, das wäre doch ganz spaßig!

Die Base wurde immer fuchswild über so etwas. Kasperle kicherte leise vor sich hin, griff in die Äste und pflückte etliche Äpfel. Das Werfen konnte es gut, und so ging es, eins, zwei, drei!, wirklich glatt in der Base Stube hinein. Wohin die Äpfel fielen, das sah Kasperle nicht, aber ein arges Zetergeschrei hörte es; es klirrte etwas, und erschrocken rutschte Kasperle vom Fensterbrett herab. Drüben hatte es wohl ein Unheil angerichtet.

Der Lärm dauerte eine Weile an, dann wurde es still. Im Schulhaus saß die Base Mummeline im Ofenwinkel und heulte, und alle standen um sie herum und trösteten sie. Auch Herr Severin stand dabei, und der dachte immerzu: Kasperle, du bist doch ein arger Schelm! Die Base war in ihr Zimmer gekommen und hatte einen Wasserkrug in der[150] Hand, und just als sie an der Tür stand, kam es, eins, zwei, drei! Klirr, ging der Krug in Scherben, bums!, flog ein harter Apfel an der Base recht große Nase, klirr!, einer in den Spiegel, und da soll man nicht schreien und zetern! Die Base sah Herrn Severin schief an und schrie, der Herr werde schon wissen, woher die Äpfel kämen; mit seinem schwarzen Koffer sei das nicht richtig.

Da stellte sich Herr Severin ganz böse, und er sagte, die Base Mummeline möchte nur kommen, er wolle ihr schon den Inhalt des Koffers zeigen. Doch davon wollte die Base nichts wissen, ja, sie lief eiligst in ihr Zimmer und ging sehr geschwind in ihr Bett. Sie kroch tief unter ihre Decke, aber es flog nun kein Holzapfel mehr in ihre Stube.

Herr Severin aber nahm seine Geige und spielte darauf. Das klang fein und lieblich, und in Waldrast vergaßen sie darüber das Zubettgehen. Sie lauschten dem schönen Spiel und wünschten, der Geiger möchte noch lange im Dorfe bleiben. Doch kaum glitzerten am Morgen die ersten Sonnenstrahlen über den Spitzen der Berge, da zog Herr Severin mit seinem schwarzen Koffer von dannen.

»Das war ein Schlimmer«, sagte die Base Mummeline hinter ihm her, »man müßte seinen Koffer untersuchen.« Aber das glaubte ihr niemand, am wenigsten der Lehrer und seine Frau. Ja, der gute Herr Habermus fand die Geschichte mit den Holzäpfeln gar nicht wunderbar und gruselig, er sagte: »So etwas und noch mehr bringen auch die Waldraster Buben fertig. Wer weiß, wer es gewesen ist!«

An Kasperle dachte niemand. Das zog inzwischen vergnügt mit Herrn Severin den Weg entlang, den es vor etlichen Wochen in Angst gelaufen war. Im Walde war es still, und niemand begegnete den Wanderern. Sie schliefen auch im Walde und gelangten endlich an des Micheles Hüteplatz. »Michele ist nicht mehr da«, sagte Kasperle[151] traurig. Aber Michele war doch da. Der saß vor der Felsspalte und blies auf einer Flöte, die er sich selber gemacht hatte. Seine Ziegen weideten friedlich um ihn herum. Da erhob Kasperle laut seine Stimme, und Michele sah sich um, als erwache er aus einem Traum. Dann sprang er über Steingeröll und Wurzeln, toller als seine Ziegen, er packte Kasperles Hände und drehte den Freund im Kreise rundum. Er war ganz atemlos vor Freude und konnte erst gar nichts sagen. Kasperle mußte erzählen, und Herr Severin sprach auch ein Wörtlein dazu. So erfuhr Michele alles. Er selbst war geschwind mit seiner Erzählung fertig, er sagte nur: »Den Ziegen schmeckt's hier besser, darum bin ich heute mal hergezogen.«

»Das hat sich freilich gut getroffen.« Herr Severin sagte es, während er sacht an seiner Geige herumstimmte; er sah wohl des Micheles sehnsüchtigen Blick. »Da, nimm und spiel mir etwas vor!« sagte er plötzlich und reichte dem Buben die Geige hin.

Der erschrak ordentlich. Daheim der Schneider-Jakob, der im Dorf zum Tanz aufspielte, der hatte ihn freilich schon manchmal auf seiner Geige spielen lassen. Die sah aber anders aus als die des feinen fremden Herrn. Der Bub wagte kaum, sie recht anzufassen, doch als er sie hielt, kam die Lust zu spielen über ihn, und er strich zart mit dem Bogen über die Saiten hin.

Kasperle machte so große Augen, als es nur konnte, wie Michele spielte. Herr Severin hörte aber still zu, und als Michele verlegen innehielt, sagte er: »Im Herbst, wenn ich heimreise, dann will ich kommen und dich mit mir nehmen. Deiner Mutter will ich für etliche Jahre so viel geben, wie du als Ziegenhirt verdienst, du aber sollst bei mir lernen, was ein rechter Geiger braucht. Willst du?«

Hei, ob das Michele wollte! Er und Kasperle machten solche Freudensprünge, daß beinahe die Ziegen neidisch wurden, weil sie nicht so hoch hüpfen konnten. Und als[152] Herr Severin und Kasperle weiterzogen, blieb das Michele so glücklich zurück, als säße es mitten auf der Himmelswiese. Geiger sollte es werden, spielen dürfen, was ihm die Bäume vorrauschten und das Bächlein zuflüsterte! Er dachte: Das verdanke ich Kasperle, allein dem Kasperle! Und er ahnte nicht, daß Herr Severin bei Kasperles Erzählung gedacht hatte: Der Bube, der so arm ist und doch ein volles Geldsäcklein zurückweist, der gefällt mir. Kann er geigen, dann will ich ihm helfen, ein rechter Künstler zu werden.

Kasperle war purzelvergnügt über des Kameraden Glück. Es wollte vor lauter Freude singen, aber da sagte Herr Severin geschwind: »Sei still, sei still, sonst fangen die Bäume an zu schelten über dies Geschrei! Flink, schlüpfe lieber in den Koffer, sonst treffen wir gar noch einen Jäger, der dich erkennt!«

Da flitzte Kasperle sehr eilig in seinen Koffer, Herr Severin nahm ihn auf den Rücken und war heilfroh, als das Schloß vor ihm auftauchte. So ein richtiges lebendiges Kasperle zu schleppen, war wirklich nicht leicht!

Im Schloß wurde der fremde Künstler wohl empfangen. Nur wunderten sich alle über den großen schwarzen Koffer, den er bei sich hatte. »Darin ist ein seltenes Spielwerk«, sagte Herr Severin, »das muß ich immer bei mir führen.«

Und er verschloß sorgsam das Zimmer, auch mußte Kasperle noch tief ins Bett schlüpfen, damit es ja niemand zu sehen bekam. Das war langweilig; viel lieber hätte es im Schloß etwas herumgegeistert oder zugesehen, wie Herr Severin dem Spinett des Herzogs eine Seele gab.

Herr Severin saß in dem Saal, ganz allein, das hatte er so gewünscht, als sich sacht eine Türe auftat und ein kleines Mädchen hereinkam. Das ging ganz, ganz leise auf den Fußspitzen und lauschte andächtig, als der Künstler spielte. Herr Severin sah es an und dachte: Sie sieht doch[153] aus wie Rosemarie, von der das Kasperle erzählt hat! Da ließ er das Spinett singen, und er selbst sang halblaut dazu:


»Rosemarie, du kleine,

Rosemarie, du feine,

Jemand hat mir aufgetragen,

Schöne Grüße dir zu sagen.

Trallallala, trallallala!

Rosemarie, du kleine,

Rosemarie, du feine,

Sage mir, ob du wohl weißt,

Wie der kleine Schelm doch heißt?«


»Kasperle heißt er!« klang es lieblich neben ihm. Rosemarie stand am Spinett und sah Herrn Severin mit ihren großen Augen fragend an: »Wo ist Kasperle?«

»Du bist also wirklich Rosemarie«, sagte Herr Severin. »Kasperle kehrt wieder heim ins Waldhaus.«

Rosemarie lächelte glückselig und tippte mit feinem Fingerlein auf das Spinett, da klang es wie: »Grüße, Grüße, viele Grüße!«

»Ich werd' es bestellen, und wenn du schweigen kannst, kleine Rosemarie, dann wirst du auch noch einmal das Kasperle sehen.«

Rosemarie sah Herrn Severin ernsthaft an, sie legte ihr Fingerlein fest auf den roten Mund, und dann huschte sie geschwind aus dem Saal, denn jemand kam, im Nebenzimmer tönten Schritte.

Der Herzog war es, der wollte hören, ob das Spinett nun schon eine Seele habe, und dann wollte er wissen, was für ein seltenes Spielwerk der Künstler im schwarzen Koffer habe. Der Herr Herzog war nämlich etwas neugierig, und er war ganz enttäuscht, als Herr Severin sagte, dies dürfe er nicht zeigen, das Spielwerk gehöre nicht ihm, und er habe versprochen, es niemand zu zeigen.

Ich werde es schon sehen, dachte der Herzog und ging[154] brummelnd davon. Herr Severin bekam Angst. Wenn ein Herzog etwas wünscht, dann ist das so eine Sache. Wer konnte wissen, ob der nicht seinen Landjägern befahl: »Macht mir den Koffer einmal auf!« Sorgenvoll ging er durch die vielen Gänge, an vielen verschlossenen Türen vorbei nach seinem Zimmer, und dabei lief ihm eine kleine schwarze Katze über den Weg. Halt, dachte er, die kommt mir gerade recht, und er fing schnell das Kätzchen und nahm es mit.

In seinem Zimmer saß Kasperle verdrießlich wie einer, dem die Pfingstfreude verregnet ist. Sein Gesicht wurde aber gleich hell, als Herr Severin ihm von Rosemarie erzählte. »Gewiß hat sie der Herzog mit ihren Eltern eingeladen«, sagte Kasperle.

»Ja, mein Kasperle, jetzt könntest du auch dabeisein, wenn du nicht gar so unnütz und neugierig gewesen wärst. Aber nun mußt du in den Kamin kriechen, weit hinauf wie ein Schornsteinfeger.« Und Herr Severin erzählte Kasperle von des Herzogs Verlangen.

Da bekam aber Kasperle einen Schreck, denn vor dem Herzog hatte es die allergrößte Angst. Es kroch flink in den Kamin, das ging ganz gut, und Herr Severin steckte das schwarze Kätzlein in den Koffer. Kaum waren sie beide fertig, da kam ein Kammerherr, der sagte, er solle dem fremden Geiger das Schloß zeigen, der Herzog habe es befohlen. Und inzwischen will er in den schwarzen Koffer sehen, dachte Herr Severin und lachte heimlich.

Er hatte recht gehabt. Kaum waren die beiden aus dem Zimmer gegangen, als Kasperle Schritte hörte, Stimmen wurden laut, und es vernahm des Herzogs Befehl: »Öffnet den Koffer!«

Jemine, dachte Kasperle, wie schade, daß ein Kamin kein Guckloch hat! Es wollte versuchen, etwas zu sehen, und gerade war es bis ans Ofenloch herabgerutscht, als der Koffer aufging und die schwarze Katze fauchend heraussprang.[155] Ritsch, saß sie dem Herzog auf der Schulter, und ehe sie noch jemand fassen konnte, sprang sie zum Fenster hinaus.

»Prschiii!« Kasperle war Ruß in die Nase gekommen, es mußte laut niesen. »Hatzi, prschiii!« Und puh! quoll eine dicke schwarze Rußwolke aus dem Kamin, und der Herzog prustete, spuckte, nieste, und dann rannte er aus dem Zimmer, und seine Diener rannten ihm nach. Sie dachten alle, die schwarze Wolke sei aus dem Koffer gekommen, und der Herzog schimpfte, der Künstler sei ein Hexenmeister. Und schämen tat er sich auch.

Herr Severin lachte sehr, als er in sein Zimmer zurückkehrte und die Bescherung sah. Das Kasperle sah aus wie ein kleiner Schornsteinfeger, es gefiel sich selber gar nicht. Aber Herr Severin half ihm beim Waschen, da wurde es wieder blank und kroch vergnügt in seinen Koffer zurück. Danach ging Herr Severin zum Herzog und[156] sagte, er wolle fort, denn das seltene Spielwerk sei nun beinahe kaputt, und der Herzog seufzte sehr und bat Herrn Severin inständig, ihm abends noch etwas vorzuspielen. Der Geiger versprach das auch, doch bat er, es dürften keine Kinder dabeisein. »Ach«, rief der Herzog, »die gibt es ja gar nicht im Schloß! Nur die kleine Gräfin Rosemarie ist da, die stört doch nicht.«

»Doch, sie stört, sie muß ins Bett«, erklärte Herr Severin und tat ganz streng.

Da durfte Rosemarie abends nicht in den Saal kommen, um dem Spiel des fremden Künstlers zu lauschen. Aber alle Dienstboten standen hinter den Türen, und Herr Severin spielte so wundersam, daß der Herzog zu weinen anfing. Inzwischen aber saß Kasperle selig und vergnügt mit Rosemarie zusammen in einer winzigen Stube neben Herrn Severins Zimmer. Die wurde nie benutzt und war mehr eine Rumpelkammer, aber den beiden gefiel es ausgezeichnet darin. Der gute Herr Severin hatte Rosemarie gesagt, wo sie Kasperle finden würde. Kasperle erzählte Rosemarie alles, was es erlebt hatte, und dazwischen schmauste es Kuchen und Schokolade; dies hatte ihm Rosemarie mitgebracht. Rosemarie fürchtete sich nun nicht mehr vor Kasperle, und als das erzählte, wie es immer wieder hatte fliehen müssen, da weinte sie bittere Tränen. »Du armes, armes Kasperle!« sagte sie sanft. »Wie gut, daß du ins Waldhaus zurückkommst!« Dann drohte sie aber auch einmal ein wenig und schalt: »Ei, du Unnütz, du!« Und alle, die Kasperle geholfen hatten, vor allem das Michele, gewann Rosemarie gleich lieb. Das Michele wollte sie gern sehen. »Der muß auch mein Freund werden«, sagte sie. Niemand hatte gemerkt, daß sie noch nicht ins Bett gegangen war. Und nachher träumte sie von Kasperle, von Michele und von dem schönen, bunten Garten. Doch als sie aufwachte, da war Herr Severin mit Kasperle schon weitergezogen.[157]

Quelle:
Herold Verlag, Fellbach, 1985, S. 145-158.
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