8. Szene.

[85] Einige Bürger und Bauern. Fausts Vater. Vorige.


VOLK. Da ist er! Da ist er! – Ruhig da außen! Da ist er!

DOKTOR FAUST. Männer, was habt ihr vor?

VOLK. Das ganze Land ist aufgestanden und verlangt dich.

ALLE außen. Faust! Faust!

DOKTOR FAUST. Stille! Was wollt ihr von mir?

VOLK. Rat, Beistand! Du sollst dich an unsre Spitze stellen.

DOKTOR FAUST. Was? An die Spitze von Aufrührern?

VOLK. Aufrührer?

ANDERE STIMME. Was, Aufrührer? Wir sind keine Aufrührer. Wir fordern Gerechtigkeit!

VOLK. Gerechtigkeit! Gerechtigkeit!

DOKTOR FAUST. Was sind eure Beschwerden?

VOLK. Wir sind freie Deutsche und man hat uns als Sklaven verkauft. Wir sind freie Deutsche, und die Amtleute und Büttel pressen uns das letzte Mark ab; die Justiz wird verhandelt, der Arme gedrückt. Wir sind freie Deutsche und wollen Gerechtigkeit.

DOKTOR FAUST. Ich beklage euch; aber ich kann euch nicht helfen.[85]

VOLK. Du kannst, du mußt!

ANDERE STIMME. Er muß!

DOKTOR FAUST. Ich bin geschieden von den Menschen. Diese Hütte ist meine Welt.

VOLK. Du mußt! Du bist klug und kannst uns leiten.

DOKTOR FAUST. Laßt mich hier in Ruhe sterben!

VOLK. Du mußt, du bist unser Mitbürger.

DOKTOR FAUST. Das bin ich, aber auch Sohn und Gatte und Vater!

FAUSTS VATER, FAUSTS MUTTER, LIESE UND GÜRGEL UM IHN HER. Sohn! Lieber Hans! Vater! Bleib! –

VOLK. Führt ihn fort! Führt ihn fort! Gedränge um ihn.

DOKTOR FAUST. Gewalt? Nicht von der Stelle! Hier will ich sterben.

VOLK. Führt ihn fort!

DOKTOR FAUST. Ich bleibe hier! Hier bin ich gefesselt mit unauflöslichen Banden.

Einer vom Volk sich vordrängend. Laßt mich reden!

VOLK. Stille! Stille!

DIE STIMME. Faust! Du hast dein Dasein gewidmet der Weisheit. Beweis es! Der Zeitpunkt ist gekommen. Jammer und Aufruhr bedeckt das Land. Das Volk vertraut auf deine Einsicht. Rate ihm! – Willst du der Ruhe pflegen, indes deine Mitbürger ihr Leben wagen für ihre Freiheit? Willst du dem Strome der Empörung den zügellosen, verwüstenden Lauf lassen? Nur deine Weisheit kann ihm Ordnung geben, zum Glück des Lands!

DOKTOR FAUST. Ha!

STIMME. Oder sollen die Greuel regelloser Volkswut die Schatten der Tausende, die unter ihrem ungeleiteten Rachschwert fallen, einst dich als ihren Mörder anklagen?

DOKTOR FAUST. O weh mir!

STIMME. Du bist Bürger! Deine Pflicht ist, das Vaterland zu retten! Erfülle sie![86]

DOKTOR FAUST. Daß ich's vermöchte!

STIMME. Du bist ein Deutscher! Die Freiheit Deutschlands gilt's, und du säumst? Rastlos rangst du nach Unsterblichkeit; die Bürgerkrone erwartet den Retter des Vaterlands. Willst du eine glänzende Laufbahn als ein feiger Weichling beschließen? Bedeckt von Schande und Verwünschungen deiner Mitbürger? Deutschland soll wahrhaft frei werden; du der Stifter des jungen Freistaats! Und du wankst noch?

DOKTOR FAUST. Ich bin entschlossen, aber hört mich!

VOLK. Heraus mit ihm! Heraus! – Faust! Es lebe Faust!

FAUSTS VATER. Sohn, was willst du tun?

FAUSTS MUTTER. Um Gottes willen, bleib!

LIESE. Hans, ich überleb' es nicht.

VOLK. Faust! Es lebe Faust, der Retter des Vaterlands!

DOKTOR FAUST Fausts Vater, Fausts Mutter, Liese und Gürgeln umarmend. Vater! Mutter! Weib! Sohn! Diese glühenden Tränen mögen euch sagen, was mich's kostet.

FAUSTS VATER, FAUSTS MUTTER, LIESE. Um Gottes willen, bleib!

DOKTOR FAUST. Ich kann nicht! Ich bin ein Bürger Deutschlands und muß!

VOLK. Hinaus mit ihm, hinaus!

DOKTOR FAUST. Ich komme! – Zu Fausts Vater. Mein eisernes Schicksal ruft mich! – Bald, tot oder lebend, bin ich wieder in euren Armen! Stürzt mit dem Gedränge ab.

VOLK. Es lebe Faust! Es lebe Faust! Fausts Mutter und Liese hängen sich vergebens an ihn.

FAUSTS MUTTER. O mein Sohn! Verzweifelnd die Hände ringend.

LIESE. Mein Hans! Verzweifelnd die Hände ringend.

FAUSTS VATER. Mutter, warum ließt du ihn doch studieren![87]


Quelle:
Soden, Julius von: Doktor Faust. Neustadt a.d. Aisch 1931, S. 85-88.
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