Abendbilder

[152] Wie schön und erlabend

Beschleicht uns der Abend!

Nach drückender Schwüle

Umarmt uns die Kühle;

Die schmachtenden Blumen erheben

Die sinkenden Kelche zum Leben;

Es scherzen die gaukelnden Winde

Mit Blüthen der duftenden Linde!


Am Himmel dort glänzet

Diana, und kränzet

Die dämmernden Haine

Mit stralendem Scheine.

Sie küsset in magischen Reihen

Die silbernen Glocken des Maien,

Und hüpft mit dem leuchtenden Bogen

In blaue sanftfluthende Wogen!


Schon schimmern von ferne

Die goldenen Sterne;

Wie duften die Wälder!

Wie rauchen die Felder!

Hoch schweben im luft'gen Gefilde

Gestalten wie Nebelgebilde,

Bald wankend, dann wolkig sich hebend,

Wie Sylphen im Aether verschwebend!
[153]

So malen und weben

Im irrdischen Leben

Der Hoffnung Gebilde

Uns Rosengefilde.

Sie lindert die schmerzlichsten Wehen!

Sie stärkt uns im Kampfe; wir sehen

Das Ziel uns'res Strebens uns winken,

Wir haschen die Schatten – sie sinken!

Quelle:
Elise Sommer: Gedichte, Frankfurt a.M. 1813, S. 152-154.
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