Abendgemälde

[52] In den Aether hauch' ich meine Klagen,

Lauer Abendwinde Flügel tragen

Meine Seufzer durch den Hain;

Wehmuth lispelt in den Tannenzweigen,

Und der Trauerweiden Kronen neigen

Sich herab im Mondenschein.


Wehmuth wandelt auf des Seees Welle,

Rieselt im Geklüft der Felsenquelle,

Wo die Echo seufzend wallt.

Und die Eule spreitet ihre Flügel,

Und eilt rauschend über Thal und Hügel

In den dunkeln Eichenwald.


Dürres Ried und falbe Blätter knistern,

Und es regt sich überall ein Flüstern,

Und das Irrlicht zuckt empor;

Kalte Nebel, die so schaurig walten,

Bilden riesenhafte Nachtgestalten

Ueberm trüben Sumpf und Moor.
[53]

Hinter Wolken bergen sich die Sterne.

Klagetöne hallen aus der Ferne,

Schatten winken ernst und bleich;

Sind es ausgesandte stille Boten,

Die mir sinnig winken zu den Todten

In das stille Friedensreich?


Oder sind es Geister, die mir sagen:

Stille deines bangen Herzens Klagen,

Täuschung nur ist Erdenglück!

Seine schönsten Kränze, seine Kronen,

Die nur selten das Verdienst belohnen,

Fordert bald der Tod zurück!


Eins nur bleibet und kann nie veralten,

Nimmer gleichen falschen Truggestalten,

Und dies Eine wandelt nicht;

Nie wird sich's dem Thoren offenbaren,

Nur der Weise kann es treu bewahren,

Ewig stralt sein reines Licht!


In des Herzens stillem Heiligthume

Nur, entfaltet diese Himmels Blume

Ihrer Weihe hohe Kraft;

Nur am Quell, den reine Wünsch' umschweben,

Kann sich selig das Gemüth erheben,

Und der Geist, der Welten schafft!

Quelle:
Elise Sommer: Gedichte, Frankfurt a.M. 1813, S. 52-54.
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