Bilder der Melancholie

[78] Der Abend sinkt hernieder,

Die Silberwolke thaut;

Stumm sind des Haines Lieder,

Der Berge Blau ergraut;

Bewegt vom Abendwinde,

Wiegt sich der Blüthenzweig

Der hohen duft'gen Linde

Im mondbeglänzten Teich.


Laut stürzt die Felsenquelle,

Von Silberstaub beschäumt,

Hin in des Stromes Welle,

Vom Abendroth besäumt!

Dumpf hallt aus öder Ferne,

Des Uhus wildes Schreyn,

Bleich flimmern Mond und Sterne

Auf dunkelm Kirchhofshain.


Der Tag, im Nebelschleier

Der Dämm'rung eingehüllt,

Malt mir mit ernster Feier,

Melancholie! dein Bild,

Wie schwebt so matt und traurig

Der blasse Mond empor,

Wie tönt so ernst und schaurig

Der Unke Ruf im Moor!
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Wie melancholisch flüstert

Der kleinen Grille Lied,

In banger Stille knistert

Das falbe, dürre Ried.

Ich seh', gestimmt zur Trauer,

Dort blaue Flämmchen wehn,

Und Geister an der Mauer

Im Leichgewande stehn.


Hier, wo mich ernster Schauer

Mit kalter Hand ergreift,

Und jedes Bild die Trauer

Der bangen Seele häuft,

Hier schwinden wie Atome,

Vor meines Geistes Blick,

Die täuschenden Phantome

In ihre Nacht zurück!


Das Schlummer-Grab der Müden

Ruft laut und wahr mir zu:

»Hier herrschet ew'ger Frieden

Und nie gestörte Ruh!«

Hier seh' ich klar und helle

Die Welt, ihr Schattenglück; –

Zu seines Urstoffs Quelle

Sehnt sich der Geist zurück!

Quelle:
Elise Sommer: Gedichte, Frankfurt a.M. 1813, S. 78-80.
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