Die grüne Farbe,

als mir solche von dem Herrn Forst-Conservateur v. Wildungen zu besingen aufgegeben war

[163] Die grüne Farbe soll ich singen,

Der jede Farbe weicht?

Wie könnte mir ein Lied gelingen,

Das deinem Liede gleicht?


Sie täglich reizender zu finden,

Durchstreifst Du Wald und Flur,

Tauchst Deinen Pinsel in die Tinten

Der göttlichen Natur;


Dir lächelt sie auf jedem Schritte,

Du grüssest sie entzückt,

Den Hut, nach edler Jägersitte,

Mit Braga's Laub geschmückt;


Du schlummerst selig an der Quelle

In neidenswerther Ruh;

Najaden weh'n aus jeder Welle

Dir sanfte Kühlung zu;
[164]

Dir lacht die grüne Flur entgegen,

Wenn noch der Städter träumt,

Und Dir auf thaubeträuften Wegen

Der Freuden-Nektar schäumt;


Dir lächelt freudig die Kamöne,

Wenn Du die Lyra schwingst,

O freudig sollen meine Töne

Das singen, was Du singst!


Doch kann ich nicht die Kränze malen,

Worin die Holde schwebt,

Die magisch uns aus Iris Stralen

Die schönsten Kränze webt;


Die Hoffnung, die am Zauberstabe,

Bis zum entfernten Belt,

Den Labyrinthen-Weg zum Grabe

Mit Rosenduft erhellt;


Sie flattert in des Knaben Kreisen,

Verschönt des Jünglings- Bahn,

Ja selbst den hochgepriessnen Weisen

Bethört ihr süsser Wahn!


Selbst, wenn uns nach den letzten Träumen

Des Orkus Nacht umhüllt;

Dann lächelt unter Edens Bäumen

Der Hoffnung goldnes Bild!
[165]

Dann winkt sie uns zu Stralenauen,

Nach Fluren, ewig grün,

Die schon erlosch'nen Blicke schauen

Nach dieser Göttin hin!


Drum soll sie hoch, die Holde, leben,

Die uns so lieblich blüht;

Ihr weih' ich diesen Saft der Reben,

Der im Pokale glüht!

Quelle:
Elise Sommer: Gedichte, Frankfurt a.M. 1813, S. 163-166.
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