An ein Maienblümchen

[113] Vor allen Blumen, die so schön

Auf Florens bunten Beeten stehn,

Wähl' ich, o Maienblümchen! dich

Zum kleinen Busenstrauß für mich.


Dein kleines Klöckchen, zart und weiß,

Gepflegt von keines Gärtners Fleiß,

Erzog die gütige Natur

Auf grüner buntbeblümter Flur.


Du blüh'st in hohem Gras versteckt,

Von seidnen Blättern überdeckt,

Und würzest mild mit süßem Duft

Die junge, reine Frühlingsluft.


Du trägst der Unschuld Feierkleid,

Bist ihr, der Göttlichen, geweiht,

Die den, dem sie im Busen lebt,

Hoch über diese Welt erhebt.
[114]

Verblühe, liebes Blümchen, hier,

Und hauche süße Düfte mir,

Und male meinem nassen Blick'

Der sanften Unschuld hohes Glück!

Quelle:
Elise Sommer: Poetische Versuche, Marburg 1806, S. 113-115.
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