26. Der Kobold auf der Hochzeit.

[30] Mündlich aus Gutenberg.


Will man einen Kobold beschwören, so braucht man nur, wenn man ihn durch die Luft ziehen sieht, das Innere der Mütze nach außen zu kehren: dann muß er herab kommen und thun was man von ihm fordert. Dies wußte ein Bauer in Gutenberg und beschwur auf diese Weise einen Kobold zu sich, der mit Mehl, Reiß, Kaffee, Zucker und dergleichen schwer[30] beladen hoch über ihm hinfliegen wollte. Als der Kobold vor ihm stand, bat er den Bauer freundlich, er möchte ihn doch frei lassen. »Ich habe einem Mädchen viele Jahre gedient« sagte er, »und morgen hält sie Hochzeit und hat mir versprochen, wenn ich Alles, was sie zum Hochzeitsschmause braucht, richtig bringe, soll ich am Abend mit ihr tanzen, und das möcht ich so gern. Und wenn du mich frei läßt, sollst du mit zum Hochzeitsschmaus und Tanz geladen werden; du mußt nur Abends hinkommen und durchs Fenster sehen.« Das ließ sich der Bauer gefallen: er drehte seine Mütze wieder zurecht, und alsbald flog der Kobold davon. Am andern Morgen aber machte sich der Bauer auf und wanderte nach dem Dorfe, wo die Hochzeit war; und als es Abend wurde, kam er an und stellte sich an ein Fenster des Zimmers, in welchem die Brautleute mit vielen Gästen versammelt waren. Und er sah wie der Kobold in einem langen, weiten, grünen Gewande mit der Braut den Vortanz hielt, und wenn sie bei dem Fenster vorbei walzten, klopfte er jedesmal leise an die Scheiben. Als der erste Tanz vorüber war, sah er daß der Kobold heimlich mit dem Brautvater sprach, und sogleich kam dieser heraus und führte den Bauer mit vielen Ehren in das Zimmer und gab ihm bei Tisch einen guten Platz; und so hielt der Bauer eine fröhliche Mahlzeit und tanzte mit bis zum lichten Morgen.

Quelle:
Emil Sommer: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Sachsen und Thüringen 1. Halle 1846, S. 30-31.
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