Eilftes Kapitel.

[242] Die Wohlthat ist eine stattliche Pflanze;

ihre seltenste Blüthe aber ist: Dankbarkeit.

Pers. Sittenspruch.


Allgemach war die Zeit eingetreten, in welcher, nach den Berichten alter Schriftsteller, die Deutschen zu rasen pflegten, vorsätzlich, sich in Gespenster vermummten, und allen Muthwillen für erlaubt hielten; die Fastnachtzeit nämlich – das dreitägige Fest, das einer langen dauernden Reihe von Tagen der Betrübniß und des Fastens vorausgeht. Diese fröhliche Zeit, sehnlichst herangewünscht von allen Ständen, setzte in Costnitz alle Hände in Thätigkeit, alle Sinne in Arbeit. Der Ernst und die wichtige Förmlichkeit der Kirchenversammlung, deren Beschlüsse eine allgemeine Sittenverbesserung bezwecken sollten, setzten dieser Volkslust wenig oder gar keine Schranken entgegen, und der Kaiser Sigismund, ein gar kurzweiliger, freundlicher Herr, dem Minne- und Larvenspiel nicht abhold, vermehrte die allgemeine Ergötzlichkeit durch den eifrigen Antheil, den er daran nahm. – »Man muß dem Volke seine Spiele nicht nehmen;« sprach er zu den strengen Sittenrichtern, die ihn gern vermocht hätten, aus Rücksicht für das[242] Concilium die Fastnachtslust zu beschränken: »Schwerlich würdet Ihr uns wehren wollen, an unsrer Hofstatt das Fest zu begehen; allein wir mögen in solcher Zeit keine Freude genießen, an der nicht Alles, das uns umgibt, Theil nehmen könnte. Die Herren aus Wälschland und Frankreich mögen sehen, daß unsre deutsche Nation ein lustig Volk ist, und ein Oberhaupt hat, das Kurzweil und Schimpf in Ehren liebt. Darum wollen wir befehlen, daß man jetzo jubilire, wie sonst, denn des Herzens Fröhlichkeit gefällt dem Herrn im Himmel, und darf demnach sich vor seinen Statthaltern auf Erden nicht scheu verkriechen.« – Des Kaisers Wille geschah dießmal ohne fernere Widerrede, und der Fastnachtsonntag trat einher in Prunk und lustigen Glanz gehüllt, wie ein Fürst der Freuden. Alle Geschäfte blieben liegen, und nach Außen in das herrliche Frostwetter drängte sich Alles, was deutsches, nordgewohntes Blut in den Adern trug, und nicht blos aus den Fenstern der geheizten Gemächer die Ergötzlichkeit mit ansehen wollte, wie die Wälschen thaten. Dagobert blieb nicht dahinten. Der geistliche Rock wurde in den Schrank gehängt, das enge Röcklein wieder hervorsucht, und, das Symbolum der Fastnacht, den grünen Tannenzweig auf dem Hute, suchte der Neffe den Oheim auf, den er, an Husten und Schnupfen und Gichtbeschwerden laborirend, im Sorgenstühle antraf. – »Sieh da!« rief der Prälat mit schlecht verborgnem Verdrusse: »sieh da, wieder ein Faschingsgesicht, dem man es ansieht, wie es nur auf die Kirchenglocke lauert, die das Zeichen geben[243] soll, zu dem gräulichen Tollmannswesen! Gleich wie die blinden Heiden ihre Bacchanalien feierten in Rausch und Unzucht, also siehet man heutzutage die Christen in den Schlamm der Abscheulichkeit stürzen, um sich auf vierzig Tage satt darinnen zu schlemmen! O du verlorner Sohn Absalom! Deine Mutter hat es noch dereinst am jüngsten Tage zu verantworten, daß sie Dich zur Kirche bestimmt hat.« –

»Ihr habt völlig Recht, lieber Ohm,« versetzte Dagobert: »ich bin selbst dieser Meinung. Laßt uns indessen nicht grollen, nicht hadern an diesen Freudentagen, Fastnacht kömmt nur einmal im Jahre .. 's thut mir leid, daß Euch das Zipperlein an die Stube fesselt. Ich hätte Euch so gerne Euere ehemaligen Landsleute in ihrer Glorie von Fröhlichkeit gezeigt.« – »Ja, eine Glorie ist's,« antwortete der Prälat: »eine Glorie von Flammen aus dem höllischen Pfuhl gewebt. O, ihr Deutsche, ihr Deutsche! Wohl dem, der sich lossagen kann von Eurer Gemeinschaft.« –

»Spricht lieb Mühmlein desgleichen?« fragte Dagobert die lächelnde Fiorilla. Diese aber schüttelte schelmisch mit dem Kopf, und erwiederte: »Ich müßte lügen, Vetter. Gestern erst, da zufällig der Kaiser mit seinem Gefolge unter unsers Hauses Fenstern vorbeiging, lernte ich Eure Landgenossen auf's Neue bewundern. Welche kräftige Gestalten, welch edler Wuchs, welch stolze Haltung! Stark von Brust und Schultern, aufgerichtet das Haupt, umwallt von krausem Goldhaar, kann dieses Volk das schönste genannt werden von allen Reichen der Welt.«[244]

»Wie das plaudert! wie das schnappert! unedle Sinnenlust!« eiferte der argwöhnische Prälat aus seinem Sessel. Dagobert küßte aber die Sprecherin auf die Stirne. –

»Ich bringe Euch den Dank meines Volks;« sagte er verbindlich: »Ich darf doch darauf rechnen, Euch zum mindesten in das Festgewühl der belobten Landsleute führen zu dürfen?« Entschuldigend und versagend zeigte Fiorilla auf den leidenden Oheim, dem dagegen die Röthe des Ärgers auf die Wange, stieg. »Hebe Dich weg, Versucher!« rief er zornmüthig: »Entführe nicht dem Kranken die Pflegerin. Geh zu Wallraden. Dort ist Dein Platz. Sie magst Du führen, wohin Du willst.« –

»Ach, Oheim!« entgegnete Dagobert mit schalkhafter Betrübniß: »Die Fastnacht zwischen Wallraden und mir ist schon vorbei. Sie hat bessere Gesellschaft, denn die Meine.«

»Hm!« meinte der Prälat, die Nase rümpfend: »Die ist nicht schwer zu finden. Doch .... ein Wort im Vertrauen.« – Er zog den Neffen bei dem Arme sich näher, und Fiorilla entfernte sich auf seinen Wink. – »Warum kommst Du gar nicht mehr zu Wallraden?« fragte Monsignore: »Ich bat Dich doch, Deinen Einfluß für einen ihrer Freier zu verwenden.« – »Ohm!« antwortete Dagobert: »Ich sagte es Euch: Mein Einfluß ist aus, und dann bin ich ein schlechter Freiwerber.« – »Du weißt also gar nicht, wie sich die Sachen gestaltet haben?« fuhr der Prälat fort: »Wallrade hat mir selbst vertraut, daß unser allergnädigster Herr, der Kaiser selbst, ein[245] huldvolles Auge auf sie geworfen. Das geschah am verwichnen Sonntag, bei dem großen Tanzfeste, das des Kaisers Majestät in ihrer Freigebigkeit veranstaltet.« –

»Der gute Herr ist der Minne Freund;« schaltete Dagobert ein: »Was soll aber daraus folgen?« – »Blödsichtiger!« schalt der Oheim! »Daraus folgt, daß mein, Dein und Wallraden's Waizen blüht, wenn des Kaisers Neigung begünstigt wird.« – »Wie so denn?« fragte der Neffe mit großen Augen. – »Verwünschter deutscher Querkopf!« fuhr der Prälat fort: »Wallradens zeitliches Glück, eine herrliche Pfründe für Dich, köstliche Privilegien für mich und mein Stift, eine Bischofsmütze vielleicht .... begreifst Du nun?« – »Ich würde das Alles begreifen,« versetzte Dagobert bedächtig, »wenn Wallrade von Sigmund geehlicht werden könnte. Ihr vergeßt aber, guter Ohm, daß meine Schwester nur eines Altbürgers Tochter, – daß der Kaiser bereits vermählt. Wie räumt sich also, was Ihr sagt?«

Der Prälat spielte ungeduldig mit dem Kreuze auf seiner Brust. »So alt schon,« sprach er, »und noch nicht klüger? Ein Weltkind, und unbefangener als ein Klosterbruder, der nie aus der Zelle kam? Wie räumt sich denn das? Siehst Du denn nicht ein, daß eines Kaisers, eines verliebten Kaisers Leidenschaft sich nicht an Ring und Priestersegen bindet? daß es unendlich vortheilhafter ist, auf kurze Zeit seine Freundin, als auf ewig seine Gattin zu seyn? Sigismund hat ein weiches, gottesfürchtiges Herz; er liebt es, Alles um sich her zufrieden zu sehen, und beginnt unstreitig bei den Blutsfreunden[246] seiner Huldin, wenn sie vorsichtig einwilligen, ihren Bruder- und Oheimsnamen als Schild zu Schutz und Trutz vor die verschwiegne Minne halten, und durch solche Wache den Kaiser beglücken, bis dieser die Geliebte – der Sache ein Ende zu machen – einem reichen Magnaten als Gattin schenkt. Nun bin ich Dir doch klar genug gewesen, einfältiger junger Mensch?« –

»Weiß es Gott;« versetzte Dagobert, sich langsam von dem Oheim losmachend: »Klarer ist das ABC nicht, aber ich bin ein ungelehriger, fauler Schüler, der es mit Vorsatz in derlei Dingen nicht einmal bis zu den Buchstaben bringen will; ein Trotzkopf von Bruder, der einer Wallrade nicht einmal dann etwas verdanken möchte, wenn es mit Ehren geschehen könnte, geschweige hier, wo es sich um eine Sünde handelt, die bei uns zu Frankfurt, – an Bürgersleuten wenigstens – mit Ruthenstreichen, mit Schande und Tod bestraft wird. Wallrade thue, was sie vor Gott – thut Ihr, was Ihr vor eurem Gewissen verantworten mögt; ... mich laßt aus dem Spiele. Ich bin zu deutsch, zu dumm, wenn Ihr wollt, um Eure Würfel zu führen. Gute Besserung, Oheim!« –

»Was habt Ihr denn, Dagobert?« fragte Fiorilla stutzend, da er mit flammenden Gesichte aus der Stube trat: »Diese Röthe auf Eurem Gesichte« .... »Ich schäme mich, Base;« antwortete der Jüngling: »Der Ohm war so gütig, mich mit seinen Sittenlehren bekannt zu machen, und ich stehe weiter hinter ihm, als ich gedacht. Ich eile, mich zu zerstreuen.« – »Glücklicher!« seufzte Fiorilla: »ich muß das Haus[247] hüten, und sehe nichts von all den Herrlichkeiten, die sich draußen vorbereiten.« – »Ihr sollt wenigstens durch meinen Mund erfahren, was sich Alles begab;« erwiederte Dagobert: »so Ihr mir erlaubt, in der zehnten Stunde ungefähr unter Euer Fenster zu kommen, und ein Viertelstündchen mit Euch zu kosen; denn des Ohms Haus betrete ich vor der Hand nicht mehr.« – »Nicht?« rief Fiorilla erschrocken: »Was ist geschehen?« – »Fiorilla!« ließ sich der Prälat im Gemache vernehmen. – »Ihr sollt Alles wissen,« flüsterte Dagobert. »Um die zehnte Stunde?« – Fiorilla nickte mit dem Haupte, und verschwand.

Euern Auftrag habe ich erfüllt, so gut es in meinen Kräften stand, sprach Gerhard von Hülshofen zu Dagobert, als sie in der Herberge zusammengekommen waren. Die schönsten Mummenkleider, die der eisgraue Schneider Welsner hatte, stehen Euch zu Diensten, und Ihr habt unter Dreien die Wahl bis zur Mittagsstunde. Schaut, da bringt mein Vollbrecht just den Bündel in's Haus. Auf Eurer Kammer wollen wir dessen Inhalt belugen. –

Gerhard, um seinen Geschmack in's beste Licht zu setzen, pries nun, eine Larvenkleidung nach der andern auseinander breitend vor den Blicken des Wählers, die Vorzüge einer Jeden mit behaglicher Lust. – »Seht einmal diesen wilden Mann!« sprach er wohlgefällig lächelnd: »Neu, wie er von der Nadel kömmt. Schöne gelbe Leinwand, zierliche Schnürlöcher und feine venedische Seidenschnur! Müßte Eurer schönen Gestalt stehen, wie angegossen. Das Visir dazu ist[248] sorgfältig gemacht und aufgeputzt mit den übermäßigen Augenbraunen, Bart und Haarhaube von schwarzgefärbten Werg. Der Blätterkranz und Laubgürtel, die Keule und die ungeschlachten Geisschuhe – Alles liegt dabei, und kann nicht schöner seyn. In dieser Mummerei werdet ihr allenthalben ein willkommner Faschingsgast seyn, und müßt Euch nur von Fackeln entfernt halten, denn das am Kleide verschwendete Werg und Harz versteht keinen Scherz, und man hat Beispiele, daß Leute jämmerlich verbrannt sind in solcher gräßlich schönen Haut.« – Betrachtet ferner diesen Schalksnarren, und sagt mir, ob auch ein schönerer Pickelhäring noch vorgekommen? Blitzt nicht auf Wams, Kappe und Unterkleid Grün, Roth, Gelb und Blau durcheinander, als hätte unser Herrgott seinen Regenbogen Stückweise darauf geklebt? Wie gefällt Euch der prahlende Hahnenlamm an der Gugelmütze? Was sagt Ihr zu den stattlichen Eselsohren, die an derselben emporragen? Zu den zierlichen Glocken, an Ohren, Kamm, Gürtel, Schienbein, Ellbogen, Knie, ja sogar an den hochgekrümmten Schuhspitzen? Was haltet Ihr von der lustigen Fratze, die dazu gehört, mit der knotigen Nase und dem flatternden Spitzbart? Seht, Halskragen, Kolbe, und Ruthe sind nicht vergessen! – Beide Anzüge jedoch verdunkelt der, der uns noch zu besehen bleibt. Der wilde Jäger, den ich jetzt vor Eure Augen lege, ist das Schönste, das aus Welsner's Werkstatt hervorging; so niedlich und zierlich, als ob es ein Materinger von Nürnberg1 zum Meisterstück bestimmt[249] hätte. Grün, wie der lustige Wald das Gewand; golden wie funkelnder Sonnenschein die Verbrämung, roth wie das Nordlicht der flatternde Mantel. Wie die Mähne des Pferdes fallen die pechschwarzen Haare aus dem Spitzhute, an dem die Hahnenfeder des Jägers Wachsamkeit bezeichnet. Das Jagdmesser blinkt von hellem Beschläge und Elfenbein, der kurze Spieß scheint seine Schärfe in's Mondlicht getaucht zu haben ......

»Genug, genug, guter Freund,« unterbrach ihn, vor Lachen beinahe erstickend, Dagobert. »Du bist begeistert von dem Jägerskleide, so daß mir bedünkt, als hättest Du selbst nicht übel Lust, es zum Bestellerlohn für dich zu fordern.«

»Wo denkt ihr hin, Junkherr?« fragte Gerhard, mit begehrlichen Augen das Gewand musternd: »Meiner Treu, .... hätte ich auch die Lust, so hätte ich doch nicht die volle Tasche, die zu solchem Spaß gehört. 'S ist ein erbärmlich Leben hier. Ein einzig Stechen hat bis jetzt der Kaiser angestellt, ein Ringelrennen, auf dem ich wohl den Preis errang; aber – wie bald war die geringe Gabe in den Wind gegangen. Meine Hoffnung ist der Frühling, in dem das lustige Ritterspiel wieder beginnt in voller Pracht. Bis dahin muß ich mich dünken und vergnügt seyn mit der Atzung, die mir meine Herren von Frankfurt hier im Engel verabreichen.«

»Armer Schelm!« versetzte Dagobert: »Solche Entsagung fällt Dir schwer. Eine Fastnacht sollte vorübergehen, ohne daß Du darauf der vornehmste Narr gewesen? Nimmermehr. Es bleibt dabei, Du[250] nimmst den wilden Jäger, den ich bezahle, und dessen Seckel ich versehen will, damit seine Kehle nicht trocken bleibe, und ich ... je nun, ich stecke mich in den Pickelhäring; denn zu dem, was ich vorhabe, brauche ich eine Larve, die nicht die Einzige ihres Schlags im Gewühle sey, und einen Begleiter, herzhaft wie der wilde Jäger, unter dessen Mantel wohl neben dem Jagdmesser eine Raufklinge Platz hat.«

»Hoho! was spracht Ihr da?« rief Gerhard vergnügt, und umarmte in seines Herzens Freude den jungen Gönner: »Larvenspuck, Silber in der Tasche, Weinlust und zum Beschluß eine Rauferei? Ihr macht überselig!« – »Und verlange nichts dafür, als Verschwiegenheit;« erwiederte Dagobert: »Verschwiegenheit und Aufsparung Deiner Freude bis zum Faschingdienstag. Schlendre bis dahin umher, in welcher Maske Dir's gefällt; den Jäger hebe aber auf, sonst erfährt man vor der Zeit aus Deinem sprachseligen Munde, daß Du dahinter steckst.«

»Ich bin ja kein altes Spittelweib,« lachte Gerhard zuversichtlich: »indessen: Euer Wille geschehe. Mein Freund, der Mundkoch aus dem Bischofshofe hat mir den langen Christoph versprochen, um mich darein zu vermummen, und ich will mir's gefallen lassen, bis zum Dienstage den Heiligen vorzustellen. Was ist's aber eigentlich, das ihr vorhabt, liebes Fröschlein?«

»Hätte ich Lust, Dir's mitzutheilen,« versetzte Dagobert: »so wüßtest Du's bereits. Verstanden?«

Gerhard zuckte mit Zweifelhaftem Gesichte die Achseln, wollte reden, schlug sich aber auf den Mund,[251] und empfahl sich durch einen stummen Bückling dem jungen Manne zu fernerm Wohlwollen. – »Geh hin, altes Sieb,« sprach Dagobert, ihm auf die Schultern klopfend: »Deiner Faust und Deinem guten Willen vertraue ich gern; keineswegs aber Deiner plauderhaften Zunge, die im Trunk und Aberwitz Dein eigen Seelenheil an den Teufel zu verschwatzen im Stande wäre.«

»Nachdem der Dicke hinweggegangen, um sich in den großen Christoph zu verwandeln, setzte sich Dagobert gedankenvoll an den Tisch, stützte den Kopf in die Hand, und überlegte, was zentnerschwer auf seinem Herzen lastete.« Sein tiefes Nachsinnen löste sich endlich in ein unzusammenhängendes Selbstgespräch auf. »Wird es gelingen?« fragte er sich leise und scheu, als ob er die zuhorchenden Mauern zu fürchten hätte: »Lieber Gott! wird es denn erfüllt werden, was von drei redlichen Männern beschlossen wurde? .... Wenn es Tugend ist, das Recht von dem Joche einer meineidigen Gewalt zu befreien, dann muß ja auch der Segen von oben uns beschirmen. – Wehe unsrer Zeit, daß wir im Verborgnen schleichen müssen, das Gute zu thun. – Darf ich aber auch ganz ruhig seyn? Sündige ich nicht wider mein Gewissen und den Stand, den ich erwählen muß? Nicht gegen meines fürstlichen Freundes, des Herzogs, Ansichten und Glauben? O nein, gewiß nicht! mein Herz ist ruhig, und Friedrich würde an meinem Platze dasselbe thun. Fort, zu ihm, um aus seinem geraden und klaren Blicke Festigkeit[252] zu saugen und Beharrlichkeit zu dem Werke, eines Mannes, eines deutschen vor Allen würdig!«

Da er in des Herzogs Hof eintrat, schallte ihm das frohe Getümmel der zahlreichen Dienstleute entgegen, an welche die Freigebigkeit des Fürsten so eben zum Eintritt der Fastnacht einen verschwenderischen Vespertrunk gespendet hatte. In Küche, Vorplatz und den untern Gemächern des Hauses lagen und saßen die Zechenden umher, und ließen sich den Seewein munden, der in Strömen aus den aufgepflanzten Fässern floß. Treppen und Vorgemächer des Oberstocks waren leer von Dienern. Dagobert, ein gewöhnter Gast, schritt keck auf des Herzogs Zimmer zu, da gewahrte er in der Ecke der Trabantenkammer einen Menschen, den einzigen hier athmenden. Der erste Blick auf den Wartenden ließ den Juden nicht verkennen, so wie dessen langer schwarzseidner Rock mit gelbem Futter und Aufschlag den Reichen ankündigte. Der Jude, ein zerfetztes, bleiches Gesicht, näherte sich demüthig dem stutzenden Jüngling. »Guter, junger Herr,« sprach er: »seit länger denn einer Stunde warte ich hier auf die Gnade, vor den glorreichen Herzog gelassen zu werden. Die Diener sind nicht zu meinen Diensten, obgleich ich wurde hieher beschieden, und ich bin nicht genug frech, um zu dringen ohne Ansage in das Gemach des vornehmen Fürsten von Tyrol. Eurer Huld, edelgesinnter Herr Ritter, empfehle ich mich; man gelangt ja durch Fürsprache in den Himmel, warum nicht durch ein gutes Wort vor einen Fürsten. Ihr seyd einer von dessen Vertrauten; das[253] sagt Euer Gang und Eure Unbefangenheit; macht mich durch Eure Gnade zu Eurem Schuldner.« –

»Überflüssiges Geschmeichel!« brummte Dagobert: »Du willst, ich soll dem Herzog Deine Anwesenheit melden. Wie nenn' ich Dich?«

»Vor den Gewaltigen haben wir keinen Namen als den des Knechts;« antwortete der Jude! »Sagt nur, ich sey der Wechsler, der gestern beschieden wurde.«

Dagobert zuckte die Achseln, und ging zum Herzoge hinein. Der Harrende zählte indessen zum zehntenmale die Steine, mit welchen der Boden des Gemachs geplattet war. Bald kam jedoch der junge Mann wieder heraus. »Geh hinein, Jude!« sprach er kurz, und schob den in Danksagungen und Verbeugungen Zögernden in die Thüre, die er, draußen verbleibend, hinter ihm schloß. – Der Herzog saß am obern Ende des Gemachs auf einem Polstersessel, schien gerade von einem kleinen Schlummer erwacht zu seyn, und kraute seinem Jagdhunde hinter den Ohren. Die Bücklinge, mit denen der Eintretende den Kopf beinahe zur Erde neigte, machten einen mißfälligen Eindruck auf den Fürsten. – »Laß die Possen!« sprach er hart: »Ich verlange die Ehrfurcht eines Menschen, nicht eines Hundes. So sehr ich Dir Dank weiß, daß Du mich nicht in meinem Vesperschlafe gestört hast, so wenig billige ich solche Kriecherei.« – Er winkte ihm näher zu kommen, in einer Entfernung von sechs Schritten jedoch stehen zu bleiben. – »Du nennst Dich Ben David?« begann er nun: »Der geehrte Altbürger zur Hofstatt[254] hat Dich mir sehr empfohlen in dem Schreiben, das Du mir gestern überreichen ließest. Wir wollen sehen, ob Du das Vertrauen verdienst, das ich Dir gerne schenken möchte.«

»Es kömmt ja nur an auf die Probe;« erwiederte Ben David ehrfurchtsvoll: »unser Volk hat immer geehrt und geliebt den Stamm der Habsburger, den Erlauchten, Weitgepriesenen.«

»Schweig!« herrschte ihm der Fürst zu: »Ich hasse die Speichelleckerei zu der Deine Glaubensgenossen so viele Anlage haben. Gerade und offen in's Gesicht; hinterm Rücken kein Haarbreit anders; so sey der Unterthan gegen seinen Herrn, der Geringe gegen den Hohen. Ich wette, diese schmutzige Glattzüngigkeit ist Dir nicht einmal Ernst, denn Dein abscheulich Antlitz wird noch häßlicher durch das erheuchelte Grinsen.«

Ben David zuckte schweigend die Achseln, und verbeugte sich. Der Herzog blickte ihn scharf an, und schlug alsdann erstaunt die Hände zusammen. »Jesus Christus!« rief er: »Wer hat Dich denn also zugerichtet, Jude, daß Dein Gesicht aussieht wie ein zerfetzter und kümmerlich zusammengenähter Turnierhandschuh? Das nenne ich eine Narbe, wie man sie nur auf dem besten Schlachtfelde holen kann, obschon Du sie da nicht holtest.«

»Ach, gnädigster Herr,« erwiederte Ben David mit bewegter Stimme: »auf dem ehrenvollsten habe ich diese Narbe erhalten; im Kampfe für meine Söhne, und Ihr, großmüthigster Fürst,« hier warf sich der Jude weinend zu Friedrichs Füßen; »Ihr müßtet[255] mich an diesem Denkzeichen erkennen, wenn ein Sohn Israels werth wäre der Erinnerung.«

Der Herzog stand betroffen auf, und musterte mit durchdringendem Auge den Knieenden, der also fortfuhr: »O gewiß, gewiß, Ihr entsinnt Euch noch des Reichstags, der vor achtzehn Jahren beiläufig zu Frankfurt gehalten wurde, mit ungeheurer Pracht und großem Zulauf von Fürsten und Gewaltigen, unter denen jedoch hervorglänzte wie der Stern des Morgens der Herzog Leopold von Österreich.«

»Ob ich mich dessen entsinne?« fragte Friedrich mit leuchtendem Blicke: »Österreich glänzte da wie die Sonne selbst, nicht wie der Stern, den sie verscheucht. Steh auf; rede – wie kömmst Du mit Leopold zusammen?«

»Des Herzogs Haus war offen wie das Haus eines Vaters seinen Söhnen;« fuhr Ben David fort: »um Gott und um Ehre wurde daselbst gespeist der Hungrige, getränkt der Durstige.« Zwei Judenknaben wollten auch mit ansehen die Pracht des herzoglichen Hofstaats. Ach, sie wußten nicht, daß wo der christliche Bettler Zutritt hat, derselbe dem Juden doch verboten ist. Neugierig durchstreiften sie den Hof, die weitläufigen Ställe. Dem Einen von ihnen fällt ein köstlich Sattelzeug in die Augen, mit vergoldeten Buckeln, der Andre greift es kindisch bewundernd an mit den Händen; ein Sattelknecht sieht's und ruft: »Diebe!« »Unter den Fäusten des Trosses büßen die Kinder ihre unschuldige Neugier. Vergebens flehen sie an ihre Peiniger! Sie schreien auf zu dem hochgelobten Gott und zu ihrem Vater. Der[256] Zufall will, daß dieser vorbeigeht an den offnen Thoren, hört das Gejammer, hineinsieht in den Hof und erkennt seine eignen, gemarterten Söhne. Die Angst jagt ihn unter die rohen Pferdeknechte; ihre Grausamkeit stößt ihn zurück. Mit der Gewalt der Verzweiflung will er entreißen sein Blut der Gefahr, und der Hieb eines scharfen Schneidmessers wirft mich mit blutendem Gesichte zu Boden, denn ich, ich Herr, war der Vater der armen Kleinen.«

»Still! still!« rief der Herzog, auf dem Antlitz die edle Scham zeigend, welche eine gute That darauf malt: »Ich weiß bereits .... steh' auf; ich entsinne mich schon.«

»Vor der Herrlichkeit Gottes liege ich nicht aufrichtiger im Gebete, als hier vor Euch in Dankbarkeit!« sprach Ben David weiter, und große Thränentropfen fielen in seinen Bart: »Ihr habt mich und die Söhne gerettet, edler Herzog, damals in der Jugendblüthe. Ihr habt mir gesendet Euern Arzt, der mich heilte; Ihr habt getröstet mein klagend Weib; Ihr habt beschenkt meine Kinder. Ihr habt Euch nicht geschämt, herabzusteigen in eines armen Juden Hütte, zu sehen unsre Armuth, unsre Leiden.« »Gott!« spracht Ihr beim Scheiden halb vor Euch hin: »kann man denn Menschen so in den Staub treten?« und eine Handvoll Gold ließt Ihr auf meinem Schmerzenslager zurück. »Herr! Mensch unter'm Herzogshute! Aus Euerm Beispiele hab ich gelernt, daß es gibt edle Christen. Herr! von Euch habe ich ererbt Vertrauen auf die dunkle Vorsehung; Herr! Euer Gold hat mir gebracht Segen, hat mich[257] gemacht reich, und bei dem Haupte meines Vaters gelobe ich's Euch: Euer ist auch Alles, was mein ist auf der Erde.«

Ben David schwieg erschöpft, und küßte des Herzogs Stiefel, daß Friedrich empört zurücktrat, und halb gerührt, halb unmuthig ausrief: »So steh doch auf, aberwitziger Ebräer! Du wirst mich böse machen mit dem übertriebnen Gewäsche. So seyd Ihr aber, leichtsinniges Volk. Dem Erlöser sangt ihr Hosianna, und habt ihn dann getödtet.«

Ben David richtete sich langsam und bekümmert auf. »Gnädigster Herzog,« sprach er, gänzlich ablenkend: »mein Vater, der seine hundert Jahre zählt, hat viel des Guten gethan auf der Welt, und keinen Lohn davon getragen, als ein schneeweißes Haupt und schwache Glieder. Belohnt mich an seiner Statt, edler Fürst, oder sorgt, daß der Kaiser es thue.«

Der Herzog sah ihn befremdet an. »Wie soll ich das verstehen?« fragte er: »Wie käme denn ich, wie der Kaiser dazu, Dich zu belohnen für die guten Thaten, die vielleicht Dein Vater verrichtet hat?«

Lächelnd schwieg Ben David eine Weile, trat dann in die vorige ehrfurchtsvolle Entfernung, und versetzte: »Euer Wort ist Wahrheit, Herr, aber ... wenn Ihr nicht an mir das Gute vergelten wollt, das mein Vater vor fünfzig Jahren that, warum laßt Ihr mir entgelten, was mein Volk vor anderthalbtausen Jahren Böses gethan? –«

Friedrich warf bei der unvermutheten Wendung den Kopf zurück, hielt aber an sich, biß sich in die Lippen, und bezwang seinen gereizten Stolz männlich[258] und edel, wie es einem klugen und rechtlichen Fürsten geziemt, wenn die Wahrheit sein Vorurtheil besiegt. »Was ist aus Deinen Söhnen geworden?« begann er leutseliger, als zuvor. Ben David legte die Linke auf die Brust, und seufzte. »Sie haben mir viel Herzeleid. gemacht;« sprach er. »Der ältere lebt und ist doch gestorben für mich. Ich werde ihn nicht wiedersehen im Wohnort der Gerechten. Mein Bechor hat sich gerissen los von den Seinen, aus einem Sohn der Gebote ist er geworden ein Abtrünniger, ein Anhänger derjenigen, die sein Volk unterdrücken!«

»Ich verstehe;« erwiederte Herzog Friedrich: »er ist klüger gewesen als Du, und ist, ein Reuiger, in den Schooß unsrer Kirche eingegangen. Ich muß ihn um dessentwillen loben. Es ist besser ein schlechter Christ seyn, als der beste Jude.« – »Als Ihr sprecht von Essen und Trinken und Bequemlichkeit, gebe ich's zu;« versetzte Ben David ernst: »der heilige Gott möge ihm verzeihen. So viel ich weiß, lehrt er jetzt die hebräische Sprache zu Heidelberg an der hohen Schule.« – »Wohl ihm;« setzte der Herzog hinzu: »was geschah aber mit dem Jüngsten?« – »Auf seinem Gedächtnisse sey der Friede!« murmelte der Vater mit zum Himmel gerichtetem Blicke: »Er sitzt oben in der Herrlichkeit Gottes; vor vier Jahren wurde er zu Budweis erschlagen, da die Christen eine Judenhetze hielten daselbst.«

Friedrich war betroffen. »Ein erbärmlich Schicksal!« sprach er, und wandte sich zum Fenster, um den Ausdruck der Rührung auf seinem Gesichte zu[259] verbergen. – Ben David trocknete eine Zähre von der vernarbten Wange, und fragte unterthänig, mit welchen Diensten er dem Herzoge aufzuwarten vermöge. – »Ich werde vielleicht bald fünf- bis sechstausend Mark Silbers benöthigt seyn;« antwortete Friedrich, ohne seine Stellung zu ändern, denn seine Bewegung war noch nicht vorüber: »ich habe meine Gründe, warum ich dieses Geld nicht von meinen Rechneimeistern eintreibe; denn ich verlange strenge Verschwiegenheit. Kannst Du die Summe schaffen, sobald ich sie zu fordern veranlaßt seyn könnte?«

»Zu jeder Stunde soll sie liegen bereit;« versicherte Ben David ohne Bedenken.

»Wie hältst Du's mit Zinsen und Verschreibung oder Pfandschaft?« fuhr Friedrich wie oben fort.

»Von Euch nehme ich nicht Zinsen;« entgegnete der Jude ruhig: »Euer Wort ist das beste Pfand; und eine Schrift begehre ich nicht, seitdem Kaiser Wenzel uns gezwungen hat, alle Schuldbriefe edler Herren unentgeldlich auszuliefern.«

»Was soll das, Jude?« fragte der Herzog heftig sich umdrehend: »Was nimmst Du Dir heraus? Ein Herzog in Österreich wird sich von einem Kammerknechte keinen Zins schenken lassen, und kein Darlehen empfangen ohne Brief und Siegel auszustellen, gleichsam als wär es eine Gabe. Oder hältst Du mich, den Habsburger, fähig, von der Armseligkeit, die damals der Luxemburger gegen Euch ausgeübt, Vortheil zu ziehen?«

»Ich will doch umkommen auf der Stelle, wenn ich Euch, gnädigster Herzog, habe beleidigen wollen;«[260] betheuerte der Jude: »nur so viel wollte ich sagen, daß Euer ist meine Habe und mein Leben, daß ich Euch weihe meine Dankbarkeit und den Segen mit dem mich hat überschüttet der Gott Israel.«

»Schweig, Hebräer!« rief Herzog Friedrich, sich aufgebracht stellend: »Lege ein andermal Deine Worte auf die Wage, und bedenke, daß ich kein Kohljunker bin, dessen Dürftigkeit sich von Dir etwas gefallen lassen muß. Geh heim; es wird schon dunkel, und es ist keine Ehre dabei, mit Deinesgleichen zu solcher Stunde zu verkehren. Mache Deinen Überschlag an Zinsen, an vollwichtigen Zinsen, hörst Du? Herzog Friedrich will keinen Dienst umsonst und mäkelt nicht um einen Heller. Halte Dich sodann bereit sammt Deinem Gelde, wann die Zeit kömmt, da ich es gebrauche.« – Mit dem stolzen Wesen, das dem Herzog so wohl stand, verabschiedete er den Juden, der sich in gewohnter Demuth und Unterwürfigkeit davon machte. Dagobert trat ein, den schweren vergoldeten Leuchter in der Hand, dessen drei flammende Kerzen das Dunkel des Winterabends aus dem Gemache bannten. –

»Ich fürchtete schon, Ew. fürstl. Gnaden hätte sich in geheime Kabale und Sterndeuterei mit dem Juden eingelassen;« sprach der junge Mann lächelnd: »die Unterredung wollte kein Ende nehmen.« – »Haltet es dem Zufall zu Gute,« versetzte der Herzog herablassend; »wenn heute der neue Bund vor der Thüre harren mußte, während ich dem alten Gehör gab. Man beschäftigt sich ja manchmal mit Pflanzen, die im Schlamme wachsen, und diese – wahrlich –[261] hat nicht die übelsten Eigenschaften. Dem häßlichen Gesichte wäre es beinahe gelungen, mein Herz zu rühren, das sonst geharnischt ist wie eine Fechterfaust. Weg damit. Wie kömmt's aber, guter Freund, daß ich Euch bei mir sehe, heute am ersten Faschingstage? Rollt das junge Blut wieder langsamer, als es sollte? Wollt Ihr den Graubart spielen, während Alles sich in jugendlicher Lust ergötzt? Wißt Ihr nicht, daß es heute auf dem Tanzhause munter hergeht? daß der Kaiser selbst sich in die Freude mischen, daß er Ketten, Ringe austheilen wird an die Schönsten, die das Fest verherrlichen? Geht dorthin. Eurer wartet daselbst mehr Vergnügen, als bei mir und meinem steifen Waldmann. Oder, kann ich Euch in etwas dienen? Fordert.« – »Erlaubt, daß ich einige Augenblicke um Euch seyn darf;« bat Dagobert mit aufrichtiger Anhänglichkeit: »Euer Anschauen wird mich endlich zum Manne machen.« – »Greift Euern Jahren ja nicht vor;« erwiederte Friedrich: »sie sind die schönsten, die es gibt, und den vollen Keim des Mannes tragt Ihr in der Brust; des Mannes wie ich ihn liebe: gerade, frei, froh und eisenhart.« –

»Warum darf ich bei Euch nicht Ritterschaft lernen, gnädigster Herr;« klagte Dagobert. »Wenn ich Euch so kräftig vor mir stehen sehe, gepanzert gegen alle Widerwärtigkeit, umgeben von Ehre, Glück und Stärke, da pocht mir das Herz vor Unmuth, daß ich in die Kutte kriechen, und kein Ritter werden soll, wie Ihr es seyd?« – »Ihr wart ja nicht Eures Schicksals eigner Schmid;« versetzte der Herzog[262] achselzuckend: »der Mutter Gelübde ist der Planet, dem Ihr gehorchen müßt. Das tröste Euch. Horch!« setzte er bei, zum Fenster eilend: »Warum wird denn da unten auf der Gasse so lärmend gepaukt und schalmeit?« –

In der That zog eine Bande von Zinkenbläsern, Stoßpfeifern und Paukern vorüber. Eine Menge Fackelträger folgte ihnen; in ihrer Mitte der Kaiser zu Fuße, umgeben von angesehenen Frauen der Stadt, mit ihnen freudiglich dahertanzend unter einem unbändigen Zulauf von Larven und Fastnachtsnarren und kreischendem Pöbel!

»Jesus Christus!« begann der Herzog, unmuthig mit dem Fuße stampfend: »Mein alter kahlköpfiger Lehrer hat mir Vieles von einem alten Kaiser zu Rom erzählt, der seine Würde so sehr vergessen hat, daß er auf einer Bühne vor allem Volk getanzt und den Gaukelspieler gemacht. Unsre kaiserliche Majestät ist das leibhaftige Konterfei des blutgierigen Thoren zu Rom. Er schleppt seine Würde im Staube nach sich, wie einen unbequemen abgetragnen Reitermantel. Pfui! daß die Ausländer solche Narreteien sehen müssen!« – »Der Geist des Unmuths kommt über Euch;« erinnerte ihn Dagobert bescheiden: »laßt Euch doch des Kaisers Thun nicht zu Herzen gehen!« – »Seht Ihr, junger Gesell, wie übel es um meinen Seelenpanzer steht?« rief der Herzog: »Der feige Lützelburger trifft mit seiner Pritsche allemal die Blöse. Ich sitze auf des heiligen römischen Reichs Fürstenbank, meine Vorfahren saßen glorreich und würdevoll auf dem deutschen Throne, den Habsburg[263] auch jetzo mit größrer Ehre füllen würde, als die Luxemburger es im Stande sind. Ich darf, ich muß mich ereifern über die sträfliche Unbesonnenheit, die also zur Schau getragen wird. Ist das ein Betragen, eines Kaisers würdig? Und dieser Faschingsheld will die Christenheit und ihre Kirche zu beßrer Zucht und Ordnung bringen? Von diesem tanz- und minnelustigen Herrn muß der Statthalter Gottes sich in's Joch der Knechtschaft beugen lassen? Nimmermehr! – Doch was rede ich da?« unterbrach er sich: »Guter Dagobert; Ihr müßt mir meine Laune nicht anrechnen, mich nicht für einen Zanksüchtigen halten. Es thut wehe, eine ganze muthige Nation unter der Sohle eines Gauklers zu sehen. Glaubt mir, der ganze Stamm verdient kein beßres Lob, als ich ihm beilege. Der Vater Karl, in dem nicht Geist, nicht Muth, nicht Adel wohnte, sondern hölzerne Förmlichkeit allein, hat in seinen Söhnen nichts Treffliches hinterlassen. Niemand hatte wohl triftigere Ursache bei der Krönung den seltsamen Eid zu leisten: mit Gottes Hülfe nüchtern zu seyn und zu leben, als Kaiser Wenzel; niemand hat aber je einen Schwur schneller gebrochen als Er, den seine Völlerei und Zuchtlosigkeit um des Reichs Krone brachte. Sigmund ist jedoch um nichts besser: feig, wollüstig, eitel und prunksüchtig ersetzt er den Mangel an Trinklust durch Tücke und unkaiserliche Doppelzüngigkeit. Er haßt mich leidenschaftlich, in höherm Grade, als ich ihn verachte, aber er streichelt meine Wange mit der Sammetpfote einer falschen Katze. Noch diesen Morgen drückte er mich an die[264] Brust, nannte mich seinen liebsten Vetter, und heute Abend – ich schwör's – nennt er mich im Kreise seiner Speichellecker nach seiner Gewohnheit den Herzog der Flaschenträger, und den Erzpaschaler; obgleich ich für meine Person das heutige Fest, des Conciliums würdiger begehe, als Er.«

Der Herzog, der diese lange Erläuterung seiner innersten Gedanken mit steigendem Feuer herausgesprudelt hatte, schwieg, um Athem zu schöpfen; warf sich in seinen Stuhl, klopfte seinem alten Rüden die Ohren, und Dagobert, in gerathenem Schweigen verharrend, erwartete wie gewöhnlich die Beurlaubung, die nach ähnlichem Sturme nie auszubleiben pflegte. Wider Vermuthen wurde jedoch des Herzogs Stimmung gemäßigter, seine finstre Miene freundlicher. Das unmuthige. »Hm!« das zu wiederholten malen seinen Lippen entschlüpft war, verwandelte sich in das Trillern eines Tyroler Verglieds, das der Fürst besonders liebte, und das er oft gebrauchte, um sich in Heiterkeit zu versetzen. Mit einemmale schwieg er, heftete den Blick auf Dagobert, lächelte, und sprach in beßrer Laune: »Ei, mein werther Jungherr! Ihr steht an der Thüre, wie einer der in unhochzeitlichem Kleide zum Feste gekommen ist. Gefällt es Euch, meine heutige Einsamkeit durch einiges Gesprächsel zu beleben, so tretet näher. Setzt Euch zu mir.« – Er wies auf einen Schemel, der unweit von ihm stand. – So freundlich war der Herzog noch nie gewesen. Der Erlaubniß, sich zu setzen, durften überhaupt gar Wenige in seinem Gemache sich rühmen, und Dagobert war sie noch nicht[265] zu Theil geworden. Geschmeichelt von der Herablassung des Gönners, gehorchte er gerne, und der Letztere hob bald also zu sprechen an: »Vielleicht habe ich Euch in des Kaisers Person beleidigt? Sagt es offen heraus, und Euch soll's nicht gegolten haben. Stellt Euch nicht so befremdet. Oder hättet Ihr in der That Eure zeitlichen Hoffnungen nicht auf Sigmund gebaut, der – ich weiß es – um Eurer Schwester Gunst wirbt? Euer Ohm hat schon hie und da ein Wörtlein fallen lassen; hat schon dem heiligen Vater, zu dessen Sache er stand, halb und halb entsagt, um von dem im Augenblick überwiegenden Kaiser desto eher den rothen Hut zu gewinnen. So redet doch auch Ihr.«

Dagobert stand bekränkt auf, und neigte sich ernst. »Des Vaters Bruder handle wie's ihm recht dünkt; die Schwester desgleichen. Ich werde nie durch Unehre steigen wollen. Ihr habt mich hochgeehrt, gnädigster Herr, und mich erniedrigt im selben Augenblicke. Ich verdiene Euer Mißtrauen nicht. Zählt Ihr mich zu den Abenteurern, die Hand und Herz dahin lenken, wo der Vortheil am schwersten zieht, so muß es Euch befremden, mich an Eurer Seite, und nicht zu Sigmund's Füßen zu sehen.«

»Wackrer Junge!« rief Friedrich zufrieden lächelnd, und die Hand nach ihm ausstreckend: »Laßt mich Eure Hand schütteln! Ich habe mich nicht in Euch getäuscht. Ehre und Treue am Guten; das ist Euer Wahlspruch. Wie Ihr, redet nur die Wahrheit, und was wir am meisten an dem Manne lieben, den wir uns zum Freund verbinden wollen, ist[266] eben Wahrheit. Ich diene Euch auch damit. Wallradens Betragen, das den schwachen Herrscher in's Netz der Minne zu ziehen bemüht ist, hat, wie es zu gehen pflegt, mancherlei Eindruck gemacht. Die Verdorbenen ihres und unsers Geschlechts beneiden sie und den Kaiser. Die Sittlichern – die kleinere Zahl – verachtet sie deßhalb; diejenigen aber, die sich in ihre Reize vergafften, und durch ihre Lockungen ermuthigt worden waren, sind zur Verzweiflung, oder zur Wuth gebracht. An der Spitze der Erstern steht der Herr von Königseck, ein eitler Lasse, wie nur je deutscher Boden Einen trug. An der Spitze der Letztern befindet sich der Graf von Montfort. Die Verzweiflung des weibischen Hageprunks wäre zu belachen; die Wuth des kühnen Montfort ist es nicht. Er hat mir seinen Kummer vertraut, denn ich begünstigte sein Werben um Wallraden. Er hat mir betheuert, seine Geduld werde bald erschöpft, seine Eifersucht bald auf's Höchste gestiegen seyn. Warnt Eure Schwester. Die Drohungen des Königseckers mag sie verspotten; Montfort's Rache naht aber heimlich und schweigend, wie das Unglück selbst. Wallrade sey auf ihrer Hut.«

»Sie maßte sich stets an, die Klügere zu seyn;« versicherte Dagobert: »ohne meiner Mannheit zu vergeben, darf ich die Übermüthige nicht warnen. Auf meinen Arm mag sie eher rechnen, wenn der Zufall mich einst zu ihrem Beistand auffordern sollte, obgleich sie es nicht verdient.«

»Warum müßt Ihr in's Kloster wandern?« fragte der Herzog theilnehmend: »Ihr habt Anlagen[267] genug zum biedersten Rittersmann. Wille und That sind bei Euch Eins und Dasselbe. Ich habe heute einen weißen Raben gefunden, einen dankbaren Juden nämlich. Laßt mich in Euch das gleichseltne Kleinod finden, einen treuen Freund, wie ihn ein Fürst so selten hat, von verschwiegnem Mund, bereitwilligem Arm und redlichem Herzen.«

»Mein gnädigster Herr!« rief Dagobert überrascht von so viel Zuneigung, und wollte Friedrichs Hand küssen. Der Herzog zog sie aber zurück. »Keine Umstände!« sprach er ernst: »Wäre ich Euresgleichen, ich nähme Euch in meine Arme. Dieses ziemt mir nun freilich nicht, da Gott einen Fürsten aus mir gemacht hat, und Schranken müssen einmal seyn auf Erden. Aber die Hände dürfen sich zwei Biedermänner wohl schütteln, wenn auch der Eine einen Herzogshut, der Andre ein einfach Piret trägt, wenn auch der Eine in des Lebens Herbst, der Andre erst in dessen Frühling tritt.« Er stand auf, und schüttelte traulich Dagobert's Hand. »Fürwahr!« fuhr er fort: »diese Hand werde ich früher gebrauchen, als Ihr wohl denkt, und auch den Kopf, meine ich; wenn Ihr anders nichts dagegen habt.«

»O sprecht, mein Herzog!« bat Dagobert ungestüm: »Was kann ich thun, um Euer Vertrauen zu verdienen? Redet; auf der Stelle sey's vollbracht.« – Der Herzog legte den Finger auf den Mund. »Noch ist's nicht an der Zeit!« begann er: »doch die Zeit wird kommen: verlaßt Euch darauf. Noch darf ich nicht reden, sondern nur lauernd harren, bis geschehen muß, was noch jetzt ein Geheimniß[268] ist. Gelt, ein schmachvoll Jahrhundert, in dem sogar ein Fürst wie ein gefährlicher Verbrecher heimlich thun muß, indem das Recht auf leisen Socken schleichen muß; während der Schelm ohne Scheu so viel Lärm macht, als ihm beliebt. Aber das Gute und Rechte thun, wenn es auch verboten ist durch schmähliche Gewalt, ist löblich, und in solchem Falle sind alle Mittel, sofern sie nicht Sünde sind, dem ehrlichen Zwecke gerecht.« »Ist das Euer aufrichtig Glaubensbekenntniß?« fragte Dagobert den Herzog rasch und kühn. – »Mein aufrichtigstes;« entgegnete dieser, und fügte abbrechend bei: »des Besten mich zu Euch versehend, entlasse ich Euch.«

»Und stark auf's Neue in Geist und Kraft scheide ich von Euch, edler Herzog,« antwortete Dagobert, zufrieden von seinem erhabnen Freunde gehend.

Fußnoten

1 Kandidat der Meisterschaft im Schneiderhandwerk.


Quelle:
Carl Spindler: Der Jude. 3 Bände, Band 1, Stuttgart 1827, S. 269.
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