Das gute Kind.

[175] Die kleine Nina war ein so gutes, freundliches Kind, daß jedermann sie herzlich lieb hatte. Wenn sie aß, sahe sie sich immer nach der kleinen Katze und dem Hündchen um, auch ihnen etwas mitzutheilen. Entstand unter den andern Kindern ein Streit, so sahe sie ängstlich zu, und wenn es nach ihrer Meinung zu arg wurde, und Einer dabei zu kurz kam, lief sie hin und[175] bat recht schön, und oft mit Thränen, sie möchten wieder gut sein. Wollte auch ihr jemand etwas wegnehmen, so fing sie deshalb keinen Zank an, sondern bat es ihr zu lassen, und weil sie sanft und gut war, thaten ihr auch die wildesten Kinder nichts zu leide. Sie klagte auch nie bei der Mutter die andern Geschwister an, dabei war sie so aufrichtig und ehrlich, daß, wenn sie einen kleinen Fehler begangen, sie ihn nie entschuldigte und wohl gar, wie manche Kinder, läugnete; sondern sie ging sogleich zu den Eltern und gestand ihn, und gelobte Besserung; sie hielt dann aber auch Wort und ließ es nicht bei dem bloßen Versprechen bleiben. So ward sie, als sie erwachsen war, ein liebenswürdiges und vortreffliches Frauenzimmer, welches den Eltern die größte Feude machte, und von Allen geliebt und geschätzt wurde.

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Karoline Stahl: Fabeln, Mährchen und Erzählungen für Kinder. Nürnberg 21821, S. 175-176.
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