Die Haselnüsse.

[74] Ein Mährchen.


Eine Frau hatte drei Töchter, die, als sie starb, noch sehr jung waren. Auf ihrem Todtenbette ermahnte die Sterbende sie zum Fleiße, zur Häuslichkeit, zur Eintracht. Sie versprachen ihr alles, was sie verlangte,[74] und folgten auch in der ersten Zeit ihren Verordnungen. Doch nicht lange, so vergaßen die beiden ältesten Schwestern der mütterlichen Lehren, wurden eitel, putzten sich den ganzen Tag, gingen spazieren und überließen die häuslichen Verrichtungen und Geschäfte der Jüngsten von ihnen. Elmine war gut und fleißig, und folgte den Ermahnungen der Mutter; so ward es ihr nicht lästig das Hauswesen zu besorgen und alles in Ordnung zu erhalten. Nur war sie betrübt, daß die Schwestern die schönsten Kleider und Sachen für sich behielten, und sie in grobem Zeuge sich kleiden und allein zu Hause bleiben mußte, wenn sie lustig umher zogen. Dazu ihr unfreundliches, hartes Betragen, gegen Elminen, die sie gar nicht liebten. Eines Abends kam eine alte, arme Frau zu ihnen, und bat um etwas Brod und ein Nachtlager. Die beiden Aeltesten wiesen sie hart zurück, Elmine aber bat für sie, und mit Mühe gelang es ihr, es dahin zu bringen, daß die Arme herein gelassen ward und etwas zu essen bekam. Sie theilte ihr Lager mit ihr, und als die Frau am andern Morgen das Hauß verließ, schenkte sie einer jeden eine Haselnuß. Verächtlich warfen die ältern Schwestern das armselige Geschenk auf die Erde, von der es die Alte schweigend aufnahm, und nun[75] Elminen alle drei Nüsse gab. Sie spöttelten noch lange darüber, und wünschten der Jüngern Glück zu dem unermeßlichen Geschenke. Nach einiger Zeit entstand eine Theurung, die so groß war, daß viele Leute aus Hunger starben, und viele in die äusserste Noth geriethen. Elmine spann so fleißig als möglich, es war aber Niemand da, der das Garn kaufen wollte, weil Niemand Geld hatte. Die ältern Schwestern hatten auch etwas gesponnen, und befahlen Elminen, alles vorräthige Garn weit, weit in eine ferne Stadt zu tragen, und dafür Brod heim zu holen. Sie machte sich auf den Weg dahin, und da sie hörte: die Königin kaufe gern sehr feines Garn, wie das ihrige auch wirklich war, so ging sie in den Pallast und bot es dort an, die Diener aber sprachen lachend, dein Garn ist zu grob; die Königin kauft nur solches, das so fein ist, daß hundert davon gewobene Ellen Leinwand in eine Haselnuß gehen. Betrübt kehrte Elmine zurück, und war schon am Thore der Stadt, als sie vor Hunger und Müdigkeit nicht weiter konnte. Da fiel es ihr ein, eine der Haselnüsse, die sie einst bekam, zu essen. Sie zog sie aus ihrer Tasche, öffnete sie, und siehe da, ihr entgegen quoll die schönste Leinwand, die so fein wie das Gewebe der Spinne und blendend weiß, wie frischgefallner Schnee,[76] war. Sie bedeckte sie mit ihrer Schürze, und durch die Freude gestärkt, kehrte sie ins Schloß zurück, mit ihrem Schatze. Die Königin, hoch erfreut über das köstliche Gewebe, gab ihr eine Menge von Goldstücken. Elmine kaufte sich so viel Brod, als sie nur tragen konnte, und kehrte zurück, reich beladen. Die Schwestern waren indessen fast vor Hunger gestorben, und schalten das arme Mädchen, daß es so lange ausgeblieben war; dann nahmen sie ihr alle Goldstücke weg und kauften sich schöne Sachen. Das Gold war nun fort, das Brod gegessen, und die Theurung noch groß. Elmine hatte bei der Königin eine Menge kleiner, schöner Hündchen gesehen, und es nachher den Schwestern erzählt. Nun verlangten diese, sie solle wieder nach der fernen Stadt gehen, und ihr kleines, weißes Hündchen, das sie sehr liebte, der Königin verkaufen. Die arme Elmine mußte gehorchen, und machte sich traurig mit ihrem kleinen Liebling auf den Weg. Bei ihrer Ankunft im Pallaste zeigte sie das Hündchen und bot es zum Verkauf an. Die Diener sprachen: die Königin hat viel schönere und kleinere Hündchen. Bringe eines, das so klein ist, daß es in einer Haselnuß Platz hat, so kauft sie es gewiß. Betrübt schlich sie fort, und kraftlos vor Hunger. Sie kam nicht weit, als[77] ihr die Nüsse einfielen. Sie öffnete eine derselben, und siehe da! ein Hündchen lag auf Baumwolle darin, und als sie es ans Ohr hielt, hörte sie es bellen. Sie wendete eiligst um und brachte der Königin die Nuß mit dem Inhalte. Diesesmal bekam sie noch weit mehr Gold, kaufte viel Brod, und kehrte heim. Die bösen, leichtsinnigen Schwestern nahmen ihr aber alles weg und vertändelten das viele Gold, so daß sie in Kurzem nichts mehr hatten. Als die Noth wieder sehr groß war, befahlen sie Elminen, abermals in die Stadt zu gehen, und da sie nichts anders hatte, sollte sie der Königin die Haselnuß anbieten. Traurig ging sie fort, und als sie bei ihrer Ankunft die Nuß zeigte, fragten die Diener sie, ob in derselben vielleicht ein ganzer Wald von Nußbäumen sei, denn ihre Königin hätte an einer Nuß nicht genug. Bestürzt über diesen Spott ging sie fort, als die Königin sie aus dem Fenster erblickte, und zurück rief. Sie zeigte ihr die Nuß und bat sie, sie ihr abzukaufen. Lächelnd sprach die Königin: mein Kind, ein Nußkern ist ein kleines Ding, doch ist er schön, so sollst du ein Goldstück dafür haben. Elmine öffnete sie geschwinde, und siehe, welch ein Wunder! Der Kern rollte auf die Erde, eine Menge anderer Kerne kamen aus ihm heraus, die alle Wurzel[78] faßten, schnell entstanden Bäumchen, dann große Nußbäume, die sich mit Blüthen bedeckten, die Blüthen verschwanden, und in einigen Minuten waren alle mit den herrlichsten Haselnüssen überdeckt. Erstaunt über das nie erhörte Wunder, blickten alle sprachlos hin; dann fragte die Königin, wo sie diese wundervolle Nuß bekommen? – Elmine erzählte ihre ganze Lebensgeschichte, und daß die Nüsse ein Geschenk von einer alten Frau wären. Die Königin verbot ihr zu ihren Schwestern heimzukehren; da aber Elmine sehr darum bat, erlaubt sie es ihr, ihnen Brod zu bringen. Das that sie auch sogleich; weil aber die bösen Furien damit nicht zufrieden, noch Gold verlangten, kehrte sie zur Königin heim, die ihr herrliche Geschenke machte, und sie bald so lieb gewann, daß sie sie, da sie selbst keine Töchter hatte, an Kindesstatt annahm. Die bösen Schwestern mußten nun selbst arbeiten, da Niemand es für sie that; aber träge, wie sie es waren, schien ihnen das kleinste Geschäft eine unerträgliche Last, und sie führten ein unzufriednes, trauriges Leben, in Mangel und Dürftigkeit, indeß ihre jüngere Schwester so glücklich war.

Quelle:
Karoline Stahl: Fabeln, Mährchen und Erzählungen für Kinder. Nürnberg 21821, S. 74-79.
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