Siebenundachtzigstes Kapitel.

[254] Erwägt man alle diese gelehrten Dinge über Nasen, welche meinen Vater fortwährend beschäftigten, erwägt man ferner die mancherlei Familienvorurtheile und die zehn Dekaden ähnlicher Erzählungen, die jenen noch zur Hülfe kamen, so war es wohl kaum möglich – Sagen Sie, war's eine wirkliche Nase? – so war es wohl kaum möglich, daß ein Mann von meines Vaters erregbarem Gefühl dieses Mißgeschick im untern – oder eigentlich im obern Stock – in einer andern Position ertragen sollte, als in der von mir geschilderten.

Da bleibt Einem wohl nichts Anderes übrig, als sich ein Dutzend Mal aufs Bett zu schmeißen; nur stelle man vorher einen Spiegel auf den Stuhl neben dem Bette – Aber war des Fremden Nase eine wirkliche oder eine falsche?

Wenn ich Ihnen das vorher sagen wollte, Madame, so hieße das die beste Geschichte von der Welt verhunzen, und das ist die zehnte aus der zehnten Dekade, die, welche auf jene folgt.

Diese Erzählung, ruft Slawkenbergius etwas frohlockend aus, habe ich mir für den Schluß des ganzen Werkes aufgespart, denn das weiß ich, habe ich sie erzählt und hat mein Leser sie durchgelesen, so wird es für unsbeide gerade Zeit sein, das Buch zuzumachen; denn ich kenne keine Geschichte, fährt er fort, die nach ihr noch gefallen könnte.

– Und wirklich, es ist eine Geschichte, die ihres Gleichen sucht.

Sie fängt mit der ersten Zusammenkunft im Gasthaus zu[254] Lyon an, in dem Augenblick, wo Fernandez aus dem Zimmer gegangen ist und den verbindlichen Fremden mit Julia allein gelassen hat, und trägt die Ueberschrift:


Die Verstrickungen Diego's und Julia's.


Beim Himmel! Slawkenbergius! Du bist ein sonderbares Wesen! Was Du für einen närrischen Einblick in die Windungen des weiblichen Herzens gewährst! Wie man so etwas übersetzen kann, – ah! pah! gefielen diese Erzählungen in Slawkenbergius' Art mit ihrer trefflichen Moral dem Publikum, so sollten ein paar Bände bald übersetzt sein! – sonst aber, wie man so etwas in unsere gute ehrliche Sprache übersetzen kann, das begreife ich schier nicht. An einigen Stellen müßte man einen sechsten Sinn haben, um es ganz gut zu machen. Was versteht er z.B. unter der lodernden Augapfelei eines leisen, heimlichen, unterdrückten Plauderns, fünf Töne unter dem natürlichen Sprechton, – was, wie Sie wissen, Madame, nicht viel mehr als ein Geflüster sein wird. – Sobald ich die Worte aussprach, fühlte ich eine Art Erschütterung in der Gegend der Herzstränge. Das Gehirn gab kein Zeichen. – Herz und Gehirn verstehen sich oft nicht. – Ich fühlte, als ob ich es verstünde. Ich dachte nichts. – Die Erregung mußte doch aber eine Ursache haben. Ich weiß nicht, was ich daraus machen, wie ich es zusammenreimen soll! – Wär's vielleicht das, Ew. Wohlgeboren? Wenn die Stimme nur ein Geflüster ist, so zwingt sie die Augen, sich auf sechs Zoll einander zu nähern; aber ist es nicht gefährlich, sich in die Augäpfel zu sehen? Kann doch nicht vermieden werden, – denn beim Blicken nach der Zimmerdecke würden die beiden Kinne unvermeidlich aneinander stoßen, und sähe Eins in des Andern Schooß, so kämen die Stirnen in unmittelbare Berührung, womit dann die Unterhaltung sogleich zu Ende wäre, – ich meine der empfindsame Theil derselben. – Das Uebrige, Madame, ist nicht werth, daß wir uns dabei aufhalten.

Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 1, Leipzig, Wien [o. J.], S. 254-255.
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