Vierundsiebenzigstes Kapitel.

[112] Unter den mancherlei übeln Folgen des Utrechter Friedens war auch die, daß er meinem Onkel Toby um ein Haar die Belagerungen ganz und gar verleidet hätte; und wenn sich auch nachher die Lust daran bei ihm wieder einstellte, so hinterließ doch Utrecht in seinem Herzen eine tiefere Narbe als Calais in Maria's. Bis an sein Lebensende konnte er den Namen Utrecht nicht nennen hören, oder eine Nachricht aus der Utrechter Zeitung lesen, ohne tief aufzuseufzen, als ob das Herz ihm brechen wollte.

Mein Vater, der ein großer Ursachen-Schnüffler und deshalb eine gefährliche Person zum Nebenansitzen war, denn gewöhnlich wußte er, man mochte lachen oder weinen, die Ursache davon viel besser als man selbst, – pflegte meinen Onkel Toby bei solchen Gelegenheiten auf eine Weise zu trösten, die deutlich genug zeigte, daß seiner Meinung nach mein Onkel bei der[112] ganzen Sache nichts so sehr beklage, als daß sein Steckenpferd darunter leiden müsse. – Gieb Dich zufrieden, Bruder Toby, sagte er dann, mit Gottes Hülfe wird schon bald wieder ein Krieg ausbrechen; und kommt's dazu, so mögen sich die kriegführenden Mächte auf den Kopf stellen, wir wollen auch dabei sein. Denn das sollen sie wohl bleiben lassen, lieber Toby, setzte er hinzu, Länder ohne Festungen und Festungen ohne Belagerungen zu nehmen.

Diesen Hieb auf sein Steckenpferd ertrug mein Onkel Toby nie mit Gleichmuth; er hielt ihn für unedel, um so mehr, da er zwar auf das Pferd gestührt wurde, aber den Reiter traf, und noch dazu an der verwundbarsten Stelle. Darum legte er bei solchen Gelegenheiten gewöhnlich seine Pfeife auf den Tisch, um sich lebhafter, als es sonst seine Art war, zu vertheidigen.

Ich erzählte dem Leser vor zwei Jahren, daß es meinem Onkel an Beredsamkeit gefehlt hätte, und gab an derselben Stelle sogleich ein Beispiel vom Gegentheil. Ich wiederhole die Bemerkung und lasse ihr die Thatsache nochmals widersprechen. Es fehlte ihm an Beredsamkeit, das ist wahr, es wurde ihm nicht leicht, längere Reden zu halten, und aller Redeschmuck war ihm zuwider; aber es gab Gelegenheiten, wo der Strom über die Ufer brach und dann so ganz gewaltig dahinrollte, daß mein Onkel Toby an einigen Stellen es füglich mit Tertullian aufnehmen konnte, an andern, meiner Meinung nach, ihn weit übertraf.

Ueber eine dieser Prodomo-Reden, welche mein Onkel Toby eines Abends vor Yorick und meinem Vater hielt, war Letzterer so entzückt, daß er sie vor dem Schlafengehen niederschrieb.

Ich war so glücklich, dieselbe unter meines Vaters Papieren zu finden; hier und da hat mein Vater eigene Bemerkungen eingestreut, die zwischen Klammern () stehen. Sie ist überschrieben:


»Meines Bruder Toby's Rechtfertigung seiner Grundsätze, die ihn bei seinem Wunsche hinsichtlich der Fortsetzung des Krieges leiten.«
[113]

Ich habe diese Rede wohl hundertmal gelesen, und ich halte sie für eine so vortreffliche Vertheidigung, für einen so schönen Beweis des ritterlichen Sinnes und der biedern Denkungsart meines Onkels Toby, daß ich sie Wort für Wort, wie ich sie gefunden, (nebst den Bemerkungen) hierher setze.

Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 2, Leipzig, Wien [o. J.], S. 112-114.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Tristram Shandy
Leben und Meinungen von Tristram Shandy, Gentleman
Leben und Meinungen von Tristram Shandy, Gentleman: (Reihe Reclam)
Tristram Shandy
Leben und Meinungen von Tristram Shandy Gentleman (insel taschenbuch)
Leben und Meinungen von Tristram Shandy Gentleman (insel taschenbuch)