4. Noht prüfet die Liebe

[67] 1.

Solt' ich den Tod nicht frölich leiden?

Rosille weint ob meinem Scheiden/

sie liebt mich/ da die Seel' entfährt

und in die fernen Felder kehrt.


2.

In Noht und Jammer sehen trübe:

hieran erkennt man wahre Liebe/

die mit in Freuden lustig war/

traurt nu bey meines Bettes Bahr.


3.

Ihr Wolken-bruch der Trähnen-güsse

macht über meinem Körper Flüsse/

dem Körper/ der sein Blüht verläßt/

und iezt den Athem auß sich bläst.


4.

Die Lieb' ist schlecht und kaum zu nennen:

Nur lieben weil die Augen brennen/[67]

weil noch die Stirn ermuntert sieht

und alles Rosenfärbig blüht.


5.

Ich lieg' allhier auff so viel Wochen/

mein Leib ist lauter dürre Knochen/

der Lippen Purpur blässet weiß/

der arme Band ist Todten-eyß.


6.

Ich bin nicht mehr ein Mensch zu nennen

mich meiden alle/ die mich kennen/

Rosille bleibt bey mir und wacht

so manche/ manche/ manche Nacht.


7.

O Treu-Exempel! Gunst-gemerke

O Muster wahrer Liebes-Werke!

Rosill' hält biß zur lezten Noht

und wünscht vor mich ihr selbst den Todt.


8.

Wie kan ich Freundin/ diß vergelten/

indehm ich folge den Gewälten/

die ieder Mensch vom Sternen-fluß'

ohn allen Einspruch dulden muß.


9.

Ich wil in deiner Seele leben/

mein Schatten soll stets um dich schweben

biß du auch auß dem Leben fährst

und deine Seele mir gewährst.


10.

Indessen sollen diese Zeilen

so lange deine Schmerzen heilen/[68]

es soll diß treue Zeuge-blatt

der Nachwelt rühmen deine Taht.


Quelle:
Kaspar Stieler: Die geharnschte Venus, Stuttgart 1970, S. 67-69.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Der grüne Kakadu. Groteske in einem Akt

Der grüne Kakadu. Groteske in einem Akt

In Paris ergötzt sich am 14. Juli 1789 ein adeliges Publikum an einer primitiven Schaupielinszenierung, die ihm suggeriert, »unter dem gefährlichsten Gesindel von Paris zu sitzen«. Als der reale Aufruhr der Revolution die Straßen von Paris erfasst, verschwimmen die Grenzen zwischen Spiel und Wirklichkeit. Für Schnitzler ungewöhnlich montiert der Autor im »grünen Kakadu« die Ebenen von Illusion und Wiklichkeit vor einer historischen Kulisse.

38 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon