10. Blinzel-Mauß

[164] 1.

Eins hab' ich noch bißher verschwiegen

auch wolt' ichs sagen nimmermehr/

wie sich Florind' um Zucht und Ehr

ließ lieder-liederlich betriegen/

weil aber sie mich stets verachtt/

so sey es in die Welt gebracht.


2.

Die Sonne war zur See gegangen

die Lufft sach schwarzen Kohlen gleich.

Man merkte kaum der Sternen Reich

und Zyntien verblaßte Wangen.

Die Ober-Erde ging zur Ruh

und hatte Sinn und Augen zu.


3.

Da kahm das stolze Tier Florinde

durch einen finstern Gang daher.

Ich hatte mich gleich ungefehr

gestrekket auff ein Heu-gebünde

als diese geile Schäffer-magd

Seid ihr allhier/ Chorambus/ sagt.
[164]

4.

Sie hatte den/ der sich so nannte/

den Abend auff den Ort bestellt:

die Tühr war aber zugekrellt/

Ich/ der sie straks an Reden kannte/

sprach leise: Schäzgen/ der nach dir

so sehnlich seuffzet/ der ist hier.


5.

Da hättstu Sprünge sollen sehen/

wie sie so plözlich zu mir kahm/

wie sie mich in die Arme nahm:

Ich ließ es unerkant geschehen/

und küßt' als hätt' ich grosse Lust

an ihr/ die ganz entblößte Brust.


6.

Da war der Schaam nicht zugedenken.

Sie stekkte meine Hand wohin.

Mich wundert/ daß damaal mein Sinn

sich nicht zur Eitelkeit ließ lenken.

Gelegenheit hat den Verstand

offt auff verbotne Lust gewannt.


7.

Doch war diß schlecht mich zuberükken.

Ich weiß nicht/ was am Rokke hing/

daß sie mit grosser Brunst umfing.

Da hört' ich Seuffzer/ fühlt' ich drükken.

Was meint ihr/ wäre da geschehn

hätt' ich auff Tugend nicht gesehn?


8.

Drum stieß ich Sie gemach zurükke/

indehm so boll in guter Stund'

Melampus/ unser Hirten-Hund:

und dieses war mein höchstes Glükke[165]

sonst must' es werden offenbahr/

daß ich nicht ihr Chorambus war.


9.

Indehm sie zu dem Hunde ginge

und streichelnd ihn zufrieden sprach:

barg ich mich heimlich unters Dach/

das über einem Stalle hinge:

weil sie mich nacher dar nicht fand

erhub sie sich ins Feder-land.


10.

Wer schleußt nu nicht auß diesen allen/

Chorambus sey das erste mahl

nicht kommen in Florinden Stall/

und was für Heu alldar gefallen.

Wer klug ist/ kan es leicht verstehn/

was offt Florinden sey geschehn.


Quelle:
Kaspar Stieler: Die geharnschte Venus, Stuttgart 1970, S. 164-166.
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