Vierder Absatz

[322] Die Schäferin Volinie wirft einen Preiß auf / zum Siege-Kampf. Darauf wird wett-gesungen / von göttlicher Vorsorge und Trübsal-Verhängnüs / vom Früling / von der Liebes-Entsessenheit / von Kunst und Tugend. Ihr Wortgefechte / indem keiner den Krantz annehmen will. Cumenus erzehlet dem Polyphilus / die Geschicht von der Verlierung seines Kindes / der kleinen Macarie / und wird von ihm getröstet.


Wie nun Polyphilus also durch die Wiesen spazirte /ersahe er eine schöne Schäferin / die einen zierlichen Blumen-Krantz wunde / und nahme daher Ursach zu fragen: wer doch die Ehre haben würde / diesen künstlichen Krantz von ihren zarten Händen zu erlangen? Ich habe ihn für den gebunden[322] / (gab die Schäferin zur Antwort) der heut am besten singen wird. Dieser herrliche Preiß (versetzte Polyphilus) solte mich bald anfeuren / meine einfältige Lieder unter ihre kluge Gedichte zu mengen / und wo nicht in der Krone zu prangen / doch mich des Glückes zu rühmen / das ich darum gekämpfet. Es ist kein Zweiffel /gelehrter Schäfer! (antwortete die Schäferin) das euer Reimen-Spiel einen viel grössern Dank / als diesen schlechten Krantz / verdienet. Und weil wir diesen schönen Tag (fnhre sie fort zu ihm und den andern /die eben auch herzu kamen) nicht schöner / als mit solcher Ubung zubringen können / bitte ich / sie wollen sich alle gefallen lassen / mit Liedern um diesen verfertigten Krantz zu streiten / welchen ich zu diesem Ende allhier aufhänge. Wir sind dessen zu frieden / (sagte Polyphilus im namen ihrer aller) und wird sie / schönste Schäferin / nur noch die Mühe nehmen /uns zu befehlen / was der Innhalt unserer Gedicht seyn soll. Das will ich (sagte Volinie /) unserm Vorsteher und Vatter Cumenus auftragen / dessen alte Erfahrenheit unserer Jugend Belehrerin ist.

Wann mein bejahrtes Alter / (antwortete Cumenus) noch unter ihren Hirten-Spielen singen darf / will ich mich deme nicht entziehen. Und weil unser fünfe sind / möchte es vielleicht nicht übel lauten / wann wir / der erste die Güte des Himmels / welche uns ernehret und versorget / der andere dessen betrübendes Verhängnüs / der dritte die Lieb-regende Frülings-Jahrzeit / der vierte die Liebs-Entsessenheit / und der fünfte Kunst und Tugend vorstellte. Dieser Vorschlag ward von allen[323] beliebet / und nur noch gestritten / wer den Anfang machen solte. Cumenus / dem sie es auftrugen / sagte / wie daß dem Frauenzimmer die Ehre gebührte. Volinie entschuldigte sich / wie daß dem Alter der Vorzug zustünde / und also kame es an Amapfe: welche / nach höflicher Entschuldigung / wie folget / zu singen anfienge.


1.

Himmel! wie soll mein Gemüt /

deine Güt /

In geringe Reimen schliessen?

Weil von deinem Uberfluß

Tausend Ströme sich ergiessen.

Was des Menschen Aug beschauet /

Land und See / Thal und Höh /

Hat des Höchsten Hand gebauet.


2.

Er hat ja das Sonnen-Liecht

zugericht /

Und läst an den Himmels-Gräntzen /

Wann der Tag verschwinden muß /

Sterne voller Flammen gläntzen.

Er befeuchtet mit dem Regen

Wald und Feld / und die Welt

Mehret sich durch seinen Segen.


3.

Alles muß / auf sein Geheiß /

Trank und Seiß /

Lust und Nutz / mit Hauffen tragen.

Alles / nach des Himmels Schluß /

Füllt der Menschen Wohlbehagen.

Alle Thiere / die sich regen /

Was da fleucht / oder kreucht /

Lebet bloß der Menschen wegen.


4.

[324] Seine unbeschränkte Macht

uns bewacht /

Wann wir mit Gefahr umgeben.

Sein bereichter Gnaden-Guß

Uberschütt des Menschen Leben:

Der sich Ruhm-nennt Gottes Stammen /

Und sein Bild noch verhüllt /

Trägt in des Gemütes-Flammen.


5.

Dieser reichen Himmels-Güt /

soll mein Lied /

Mit erhitztem Eiffer danken.

Und ob mein zu niedrer Fuß

Nicht erreicht die hohe Schranken:

Will ich doch den Hirten weisen

Meine Pflicht. Diß Gedicht

Soll des Höchsten Güte preisen.


Nachdem Amapfe diesen Gesang beschlossen / fienge Cumenus an / den vermeinten Gegensatz mit diesem Lied vorzutragen.


1.

So siht der Himmel aus / so lang sein runder Bogen

Das angenehme Kleid von blauer Seide trägt /

Das / durch der Sonne Glantz / mir güldnen Drat durchzogen /

In so geschmücktem Pracht der Welt zu schmeicheln pflegt.

Wie aber / wann das Dach der schwartzen Wolken weinet?

Wann vor der Nacht die Nacht herkomt /

Und nur mit Blitz das Wetter scheinet?


2.

Der Herrscher über uns / der füllt der Menschen Leben

Zu Zeiten zwar mit Ruh / Lust / und Ergetzung an:

Er setzet aber auch den Unglücks-Stand darneben /

Der / eh man sichs versieht / die Freud verbittern kan.[325]

Er wechselt stets mit uns / ergetzet und verletzet.

Bald stürtzet sein Verhängnüs ab /

Was vor das Glück hat hoch gesetzet.


3.

Sind wir nun eine Zeit in gutem Fried gesessen /

Und bläst ein stiller Wind auf unsre Lebensfart:

So denk / Amapfe! sey der Vor-Zeit unvergessen /

Als unser liebstes Kind dem Wolf zur Speise ward

Als die / so uns zum Trost und Hoffnung war geboren /

Durch wilder Thiere Grausamkeit /

Mit tausend Schmertzen ward verloren.


4.

Ach! Ach! Macarie! du Liebstes mciner Lieben /

Der Tugend erste Blüt / holdselig-schönes Kind!

Wie solte dein Verlust den Vatter nicht betrüben /

Der ohne Hoffnung lebt / daß er dich wieder find?

Mein Haar das steigt empor / mein Hertze bebt und zittert /

So oft ich denke / wie dein Raub

Mit Schrecken mein Gemüt zersplittert.


5.

Doch / diß ist Gottes Hand; ich darf nichts weiter sagen /

Er schenket Frölichkeit / und schicket Qual und Pein.

Vor den Verhängnüs-Schluß / kein Schreyen hilft / noch Klagen.

Was nicht zu ändern ist / das muß erdultet seyn.

Der Himmel führt uns oft / auf ungemeine Weisen:

Damit wir seine Wunderwerck

Im Glück und Unglück sollen preisen.


Polyphilus hatte diesen Liedern ein aufmerkendes Gehör verliehen / und als er aus dem andern / den Namen Macarie / und derselben unglückliche Verlierung verstanden / ward sein Gemüte von Schrecken und Verwunderung so schnell überfallen / daß er etlichmahl die Farb verlohre. Und ob er sich gleich auszuwickeln vermeinte / begunten doch die Sinne allmählich zu weichen / also / daß er an dem Baum in Onmacht sanke. Volinie / die dieses alsbald wargenommen / lieffe mit grossem[326] Geschrey auf ihn zu /und machte ihr / damit die andern folgen: Da man dann mit allerhand Mitteln / ihn wider zu recht brachte. Wie er nun die Augen wieder aufschlosse / und sich von den andern umringet sahe / begunten seine erblaste Wangen sich mit Purpur-röte zu mahlen /also / daß die Schamhaftigkeit sein Gesicht zur Erden neigte. Von der Schäferin Volinie gefragt / aus welcher Ursach er in diese Schwachheit gerahten? gabe er zur Antwort: Ich weiß keine andere / als die hohe Verwunderung über ihren schönen Gedichten / welche / von dem tieffen Mitleiden / über des Cumenus schmertzlichen Zufall / begleitet / mein Gemüt eingenommen / und alle Lebens-Geister daraus verjaget. Ich danke aber höchlich vor ihre freundliche Hülffe /und bitte / meiner Unhöflichkeit zu vergeben / und in ihrem Vorhaben fort zu fahren. So will ich dann sehen / (sagte Volinie) ob ich die verlohrne Kräffte /durch einen frölichen Thon / wieder bringen möchte. Also fienge sie an zu singen / wie folget.


1.

Ist nicht iezt die Freuden-Zeit /

Da das Feld von neuem grünet

Und zur Lust den Hirten dienet /

Mit der Schön- und Lieblichkeit?

Da der kahlen Bäume-Schaar

Wieder wächst ihr schönes Haar /

Da die Flora Blumen streut /

Auf des Lentzens Jäger-Kleid.


2.

Da sich alles liebt und paart /

Soll man nichts von Klagen wissen.

Was wir vor erdulten müssen /[327]

Jezt nicht werd im Sinn verwahrt.

Dißmal soll die Traurigkeit /

Weichen von der Schäfer-Weid.

Lust und Liebe sey das Ziel

Unsrer Reim- und Hirten-Spiel.


3.

Was uns jemals hat gequält /

Sey / samt Reif und Eiß / vertrieben.

Jeder sage nur von Lieben /

Nun sich alles neu vermählt.

Föbus selbst hie Erde liebt /

Und ihr tausend Küsse gibt.

Was nur lebet / sich verbindt /

Und zu seines gleichen findt.


4.

Was die Lerche tirelirt /

Was die Nachtigall erzwinget /

Was der Chor in Lüften singet /

Was die Turteltaube girrt /

Zeigt der Liebe Süssigkeit /

Und das jezt die Freyens-Zeit.

Alles / was nur fingen kan /

Stimmet Hochzeit-Lieder an.


5.

Das von Banden freye Wild

In den Wäldern und Gesträuchen /

Alle Würmlein / die da schleichen /

Jedes sein Verlangen stillt.

Das begläntzte Schuppen-Heer

Liebet / spielend in dem Meer;

Und was Luft und Flut erhält /

Sich üm diese Zeit gesellt.


6.

[328] Solten dann die Menschen nicht /

Mit den Creaturen lieben?

Solten diese sich betrüben /

Die noch der Verstand verpflicht?

Nein! was grössern hält die Wag /

Gibt nicht den geringen nach.

Liebt / was sich zur Erden neigt:

Vielmehr / was gen Himmel steigt.


7.

Drum / ihr Hirten! liebet mit /

Und / wann sich die Heerd ergetzet /

Euch zu eurer Hirtin setzet /

Mit dem holden Schäfer-Riet.

Machet / in der Liebsten Schoß /

Euch von allen Sorgen loß;

Und an stat der Liebes-Pein /

Müssen lauter Küsse seyn.


So bald Volinie dieses Lied geendigt / begunte der Schäfer Filato das seine / weiches also lautete.


1.

Volinie! sie redet wohl /

Daß keiner von den Hirten sol

In diesem Früling sich betrüben:

Dann weil nun alles liebt und freyt /

Erfordert selbst die Billigkeit /

Daß auch die edle Menschen lieben.


2.

Ach aber! wie ist der daran /

Der dieses Liecht nicht sehen kan /

Daß seine Finsternüs erhellet?

Der / was er liebet / fliehen muß /

Und / für Ergötzung / in Verdruß /

Auch bey dem schönsten Wetter / fället.


3.

[329] Zwar Föbus küsset seine Braut /

Mit der er sich aufs neu vertraut /

Labt sich / weil sie ihm stets zugegen.

Die Musicanten in der Lufft /

So bald des Liebsten Stimmlein rufft /

Sich eilend einzufinden pflegen.


4.

So kan das Wild / der Wälder Zier /

Wie auch die schnelle zahme Thier /

In Lieb und Freude / sich verbinden.

Es buhlet alles / auch so gar

Die klein-gebückte Würmer-Schaar /

Kan jedes seines gleichen finden.


5.

Wo aber bleibt des Menschen Lust /

Der in der Jammer-vollen Brust /

Ein abgeschiedne Lieb ernehret?

Der / wann die gantze Welt sich freut /

Doch in betrübter Einsamkeit

Sein Hertz mit tausend Leid verzehret?


6.

Die Echo rufft ihr stätigs Ach /

Dem stoltzen Jüngling immer nach /

Der ihre Lieb hat ausgeschlagen:

Sie höret / wann der Winter schneyt /

Und wann die Erde sich verneut /

Nicht auf / ihr Liebes-Weh zu klagen.


7.

Wer ist in seiner Liebsten Gnad /

Und selbe schon in Armen hat /

Der kan mit Erd und Himmel lieben.[330]

Wer aber weit entschieden ist /

Und nur der Hoffnung noch geniest /

Muß auch im Lentzen sich betrüben.


Polyphilus / welcher durch der schönen Volinie süsse Stimme in eine kleine Verzuckung geraten / und mit dem annehmlichen Inhalt ihres Lieds / sein Verlangen nach Macarien erwecket hatte / ward nachmals / durch des Schäfers Filato warhaftige Beschreibung seines Unglücks / gantz aus sich selber gebracht. Er ware demnach durch solche Verwirrung fast untüchtig gemacht / sein Lied abzusingen. Doch ermunderte ihm die Furcht / durch solche Bezeugung sich selbst zu verrahten / daß er endlich anfienge / mit gebrochenen Worten folgendes Lied zu singen.


1.

Ich habe nun das Spiel /

Das süsse Spiel / gehöret.

Ein jeder hat mich viel /

Mit seinem Thon gelehret.

Ich seh nun / wie der Will

Des Himmels sich verkehret:

Und das / in Leid / und Freud /

Verbleibt der Wechsel. Streit.

Drum setz ich meinem Kiel

Das Kunst- und Tugend-Ziel.


2.

Amapfe schönes Lied /

Hat herrlich wohl beschrieben

Des Himmels reiche Güt;

Cumenus / sein Betrüben

Zeigt in dem Wider-Tritt;

Volinie lehrt lieben /[331]

In dieser Frülings-Zeit;

Ihr Schäfer / weist das Leid.

Drum findet mein Gemüt

In allem keinen Fried.


3.

Ich lenke mich vielmehr /

Mit meines Sinns Gedanken /

Zur Kunst- und Tugend-Lehr /

Die ewig ohne wanken /

Und ohne Wiederkehr /

Bleibt in den festen Schranken /

Die Ungedult vermeidt /

Erhält Beständigkeit:

Und tobte noch so sehr

Das tolle Unglücks-Heer.


4.

Wer Kunst und Tugend liebt /

Kan des Getümmels lachen /

Das Kummer auf ihn schiebt.

Wann selbst die Wolken krachen /

So bleibt er unbetrübt /

Und läst den Himmel machen /

Der / nach der Dunkelheit /

Prangt in dem blauen Kleid;

Der zwar die Straffe übt /

Doch drauf Belohnung gibt.


5.

Wer dieses edle Paar /

Die Kunst und Tugend / heget /

Wird durch der Feinde Schaar

In minsten nicht beweget.

Sein Gut er immerdar

Gantz bloß und offen träget:[332]

Er weiß / daß seine Beut

Der Rauberey befreyt /

Und daß die theure Wahr

Werd herrlich durch Gefahr.


6.

Ja / wer einmahl den Thron /

Den hohen Thron / erlanget /

Und mit der schönen Kron

Der Kunst und Tugend / pranget /

Ob seine Liebe schon

Im Lentzen ihn bedranget /

Ihn von der Liebsten scheidt:

Zu trutz dem blassen Neid /

Bringt er / zu seinem Lohn /

Das / was er wünscht / davon.


Kaum hatte Polyphilus aufgehöret zu singen / als die Schäferin Volinie ihren gebundenen Krantz vom Baum wieder nahme / und ihm denselben mit diesen Worten überreichte: Nehmet hin / Kunst- und Tugend-gelehrter Schäfer! den Lohn / welcher eurer schönen Bemühung billig zustehet. Unsere Gesellschafft gibet euch hierdurch den Dank vor eure kluge Unterrichtung / und bittet freundlich / unsere Hirten-Spiele noch ferner mit euren trefflichen Erfindungen zu ehren. Eurer Höflichkeit vielmehr / schönste Schäferin / (gab Polyphilus zur Antwort /) als meine Würdigkeit / macht euch also reden. Es gebühret meinem armen Lied nichts weniger / als dieser schöne Dank /welchen allein ihr Lieb-erweckendes Frülings-Lied verdienet. Ich habe (widerredte Volinie) diesen Krantz nicht mir / sondern für einen Schäfer gebunden / wie ich dann auch / neben meiner Mutter[333] Amapfe / nicht um den Preiß / sondern bloß zur Gesellschaft mitgesungen. Soll ein Schäfer (versetzte Polyphilus) mit diesem Krantz prangen / so wird er ohne zweifel die graue Haare unsers Vaters und Lehrers Cumenus zieren müssen. Hiemit übergab er demselben den Krantz: der aber sich wegerte / solchen anzunehmen / einwendend / daß nicht dem Alter / sondern der Kunst und Kraft / die Gemüter der Zuhörer zu bewegen / dißmals der Preiß gebühre. Polyphilus überreichte ihn hierauf dem Schäfer Filato / und sagte: So habet dann ihr / freundlicher Schäfer! diesen Ehren-Lohn: denn ich bekenne / daß euer klägliches Lied /mein Gemüt vielmchr / als alle andere / beweget. Filato aber gab ihm solchen wieder zurück / und sagte: Was solte die Gemüter mehr bewegen können / als die von euch so schön beschriebene edle Kunst- und Tugend-Lehre? die nicht allein der Gewalt der Liebe /sondern auch dem Himmel selber / und seinen Verhängnüsen / obsieget. Billig erlanget der jenige das Kleinod / der das Ziel erreichet / und uns in den zerwirrten Schranken zurück lässet. So will ich dann /(erwiederte Polyphilus) diesem Streit abzuhelffen /das Urtheil / mit ihrer aller Erlaubnüs / einer Fremden / doch der Dicht-Kunst wohlerfahrnen / Weibsperson heimstellen / und von selbiger / da keine Parteylichkeit zu fürchten / durch ein Brieflein den Ausschlag erwarten.

Nachdem sie ihm solches heimgestellet / gienge er mit dem Cumenus auf eine Seite / und sagte zu ihm: Geehrter Vatter! das Mittleiden / welches uns die Natur eingepflantzet / hält meine Gedanken noch immer in seinen vorbeklagten Unglück gefangen[334] / und zwinget mich / eine weitläuftigere Erklärung solcher traurigen Begebenheit von ihm zu erbitten: der Hoffnung / es werde seine Leutseligkeit diese Begierde nicht straffen / sondern vielmehr sättigen / und mich /wie in der Ergetzung / also auch in der Betrübnüs /ihm zum Gesellschafter machen. Ob wohl (gabe Cumenus zur Antwort) die Erinnerung des überstandenen Unglücks nur zur Verneuerung der Schmertzen dienet / und das Eisen wieder in die Wunden stösset /welche von der Zeit / die alles verzehret / etwas geheilet worden: So will ich doch / kluger Polyphilus! seinem Mitleiden einen Theil meiner Schmertzen aufbürden / weil er es so eifrig fordert.

Es sind nun viel Jahre verflossen / als mir / weiß nicht was vor ein unglückliches Gestirn / einen solchen Zufall gewirket / der mich noch diese Stunde kränket / und wohl erfahren machet / daß / wie keine Freude grösser / als die jenige / welche wir an unsern Kindern erleben / also auch / kein Unglück empfindlicher sey / als das von ihnen herrühret. Mein kleines Töchterlein / Macarie / ein Kind von grosser Hoffnung / wie seine damahls hervor grünende Gaben des Leibs und Gemüts gnugsam zuerkennen gaben /gleich wie es mit seiner Annemlichkeit aller Hertzen an sich zoge / also hatte es auch uns Eltern dermassen erfüllet / daß wir es ohne unterlaß suchten bey uns zu haben / und uns mit der schönen Blüte ergetzten /welche uns so edle Früchte zusagte. Als aber einst ihre Mutter / nötiger Geschäffte halber / vom Feld nach Hause gieng / und mich bey der Heerde allein ließe / begab es sich / daß das Kind in meinen Armen entschlieffe / welches ich / seine[335] Ruhe zu fördern /unter den Schatten eines Baums legte / und indessen die Zeit mit einem Hirten-Liedlein kürzte. Es begabe sich aber / daß ein Wolf / aus dem nächsten Walde /streng auf die Heerde zuliefe / und mit solcher Behendigkeit ein Schaf von derselben hinweg zuckte / daß ich kaum geschwind genug war / ihm nachzueilen /und den Raub abzujagen. Ich hatte viel Arbeit / biß ich das Schaf aus seinem Rachen errettete: Ein schlechter Gewinn / der mir inzwischen einen weit grössern Verlust verursachet.

Allhier holte Cumenus einen tieffen Seufzer / fuhr hernach in seiner Rede solcher massen fort: Dann / als ich mit dem erretteten Schafe / welches ich vor eine grosse Beute hielte / wieder zurücke kam / sabe ich einen von meinen benachbarten Schäfern / mit Schreyen und Winken auf mich zulauffen / von welchem ich / als er etwas näher kam / verstunde: Wie daß ein Wolf etwas von meiner Heerde hinweg getragen hätte / welches er von fernen mehr für ein Kind /als ein Schaf / halten müssen. Er hatte diß Wort kaum ausgeredet / da benahm mir die Furcht / mein Töchterlein zu verlierin / alle meine Sinne / und brachte mich gantz aus mir selber. Ich lieffe eilends nach dem Ort / allwo ich das Kind schlaffend verlassen: den ich aber (O! des unseeligen Findens!) gantz leer fande. Kein Donnerschlag kan eine Eiche also zerschmettern / als dieser Anblick mein Hertz gerührt. Ich stunde eine gute weile halb todt und unempfindlich / biß ich endlich / mehr unsinnig als erschrocken / mit grossem Geschrey nach den Wald liefe / dahin der andere Schäfer mir nachfolgte. Wir suchten eine lange[336] Zeit /zwar gantz vergeblich / nach dem Kinde / biß wir zuletzt einen ertödeten Wolff von ungewönltcher Grösse fanden / welchen der Schäfer alsobald vor den jenigen erkante / der mein Kind hinweg getragen. Er war mit vielen Stichen erleget / und machte uns Hoffen / daß das Kind möchte bey dem Leben erhalten seyn. Dannenhero wir viel eiffriger / aber nicht glücklicher / als zuvor / suchten: biß uns die einbrechende Nacht ablassen machte. Ich habe auch nicht gefeyrct / so viel Jahr her / das jenige ängstiglich zu suchen / was ich so ergetzlich besessen / und so unvorsichtig verlohren: habe habe mit aller dieser Arbeit meinen Schmertzen nur grösser / und die Hoffnung der Wiederfindung geringer gemacht / also daß ich daran gantz verzweiffelt / und nichts als eine erbärmliche Klage übrig behalten. O! Himmel! welch ein strenges Verhängnüs hat dein Raht über mich beschlossen? welches auch mein Leben vorzeitig wird zu Ende fördern.

Allhier unterbrachen die Thränen die Rede des Cumenus / und gaben Polyphilo anlaß / ihn mit diesen Worten zu trösten: Ich muß zwar bekennen / betrübter Cumenus! daß sein Unglück groß / und seine Schmertzen billig sind. Aber er wird sich hierinn /von der Gedult und Hoffnung die Schrancken setzen lassen: in Betrachtung / daß die göttliche Schickungen allezeit die Weißheit zur Führerin haben / und ob sie gleich dunkel scheinen / dennoch zu unsern besten dienen. Es scheinet aus allen Umständen / daß seine Tochter nicht todt / sondern nur entführet sey; Und wer weiß / wie nahe die Stunde ist / in welcher ihm der Himmel die jenige lebendig schenken wird / die er anietzo als todt[337] und verlohren beklaget. Dieses habe ich mehr zu wünschen / als zu hoffen; (gab Cumenus zur betrübten Antwort) danke aber indessen vor seine freundliche Tröstung / und hoffe / mein liebstes Kind / wo nicht in diesem / doch in dem künftigen Leben / zu welchem mir diese graue Haare allbereit die Pforte zu eröffnen versprechen / wieder zu sehen. Hiermit beschlossen sie ihr Gespräche / und wurden folgends / weil es schon spate war / die Heerden eingetrieben.

Quelle:
Maria Katharina Stockfleth: Die Kunst- und Tugend-gezierte Macarie, 2 Bände, Band 2, Nürnberg 1673, S. 322-338.
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