Fünffter Absatz

[59] Polyphilus bekommt beyde Briefe / erzürnet und betrübt sich darüber. Sein Antwort-Schreiben an Macarie / und seine Klage über sein Unglük. Vom Agapistus besucht und getröstet / erinnert er sich /daß er diese Straffen mit hochmütiger Hinlegung seines Schäferstands verschuldet. Agapistus trachtet /aber vergebens / ihn loß zu bitten.


Was wird nun unser hart-geplagter Polyphilus gedenken / wann er diesen Brief liset? Wäre es auch wunder / wann wir seinen erbärmlichen Zustand betrachten / daß er den grausamsten Tod seinem elenden Leben vorgezogen hätte? Biß daher hatte er seine zweiffelhaffte Hoffnung in einer gezwungnen Gedult unterhalten / und seiner Erledigung augenblicklich /wiewohl vergeblich / erwartet. Er verfluchte die Ungerechtigkeit / welche ihn an seinem Vorhaben hinterte. Er hätte offt zu sterben erwehlet / wann ihn das Gedächtnus seiner Macarie nicht erhalten hätte. Endlich kamen der Anstösse so viel / daß er fast verzweiflend / eine tolle Künheit / sich zu verderben / vornehmen wolte.

Agapistus schikte ihm den Brief der Melopharmis /welchen der Bot von Sophoxenien mitgebracht / und vermeinte ihn damit zu erfreuen: wurde aber damit sehr betrogen. Als Polyphilus solchen eröffnet / entsetzte er sich dermassen über der[59] Melopharmis verächtlichen Zuschrifft / und über ihren unbilligen Haß /daß ihm der Schmertze den Mund verschloße. Er warffe den Brief vor sich auf den Tisch / legte den Kopf in die Hand / und schiene die Traurigkeit selbst vorzubilden. Seine Zunge lag gehemmet / und die Seufzer liessen ihn kaum Athem holen. Diß war aber noch nicht genug / sondern es muste auch der Bote mit dem Briefe der Macarie ankommen. Wie betrübt er war / so nahme er doch selbigen eilends zu sich. Er suchte Trost darinn / fande aber neues Hertzenleid. Als er lase / daß er Macarie verlassen / und ihre Gegenwart meiden solte / begunten seine abgemattete Geister ihn gänzlich zu verlassen / also daß er in eine Onmacht sanke / und dem Tod gar nahe kam. Servetus / der hierüber hefftig erschrocken / bemühete sich ihn zu erquicken / und die fast-entwichene Seele wieder zu rück zu ruffen. Nach dem er endlich sich wieder ermuntert / fieng er an / mit so jämmerlichen Worten und überhäufften Threnen / sein Unglük zu beklagen / daß er auch die wildesten Thiere / zum Mitleiden solte bewegt haben. Und wäre Macarie damals zugegen gewesen / ich weiß / sie hätte allen Zorn fallen lassen / und sich ihres Polyphilus erbarmen müssen / wann sie seine schmertzliche Klage angehöret.

Ist denn (sagte er) der Himmel gar nimmermehr auszusöhnen? Müssen dann alle Ungewitter auf einmakäuf mich zu stürmen? hören dann meine Wunden nicht auf zu bluten / biß sich die geängstige Seele mit ausgiesset? Ach Polyphilus! du armseliger Polyphilus! nun dich Macarie verlässet / so bist du recht verlassen. Nun sie von dir[60] weichet / wird dein betrübter Geist auch weichen müssen. Was verzeuchst du / onmächtige Seele! diesen elenden Leib zu verlassen /nun dich die Liebe verlassen soll? Wilt du nur bey mir bleiben / mich um so viel länger zu quälen? Ach sind einmal Göttinnen gewesen / die den Lebens-Faden abreissen können / so kommen sie jetzund. Bitterer Tod! erbarme dich / und laß mich deine Süsse schmecken! Er wolte fortfahren zu klagen. Weil aber der Bote um eine Antwort anfragen ließe / muste er sich bedenken / ob und was er antworten / ob er ferner Hülffe suchen / oder alle Hoffnung aufgeben solte? Doch muste er dißmal noch der Liebe gehorchen / die ihm das letzte Mittel zu ergreiffen antruge. Derowegen setzte er sich über / und schriebe diesen Brief / so gut der Schmertz aus seinem geängstigten Hertzen solchen hervor brachte.


Erzürnte Macarie!

Ob ich wohl den Untergang meines Glüks / nicht so zeitlich gehofft hätt / so muß ich doch / leider! mit Schmertzen erfahren / wie von allen seiten die widerwärtige Wellen sich regen / also / daß freylich die Gedult bey mir anitzo die Oberstelle behalten muß: bevor ab / da die jenige / auf derer Beständigkeit alle mein Trost gegründet war / weichen / und ihrem Befehl so unverantwortlich viel zuschreiben will / daß sie mich wieder alle Müglichkeit ihrer vergessen heisset. Soll dann / ein einiger trüber Wind / den gantzen Bau meiner Vergnügung umstossen? so wird die Tugend selbsten zur Untugend werden. Und was soll ich mehr sagen?[61] denke ich an ihre liebreiche Reden / so muß ich über die Verkehrung der Sinnen klagen. Lege ich dann diesen unseeligen Brief / gegen jene / die mir ihre Gunst mit so beteurlichen Worten versprochen: so muß ich entweder jene vor betrüglich / oder diesen vor unbeständig halten. Besinne ich mich aber ihrer Freundlichkeit und mir erzeigten Liebe: so muß ich /die angestrichne Falschheit / mit meinem Verderben beweinen. Ach Macarie! soll ich ihrer vergessen? soll ich ihre Gegenwart meiden? daß ich unverdeckt rede /soll ich sie nicht mehr lieben? von ihr keine Gegen-Liebe mehr hoffen? Ey! so belohne / du gerechter Himmel! meine beständige Treu / durch meinen Tod: weil mir doch ohne ihre Liebe zu leben unmüglich ist. Aber die Untreu / über die ich vor allen Marschen klagen muß / wird der gerechte Richter euch zu erwiedern wissen Doch gelobe ich meine Beständigkeit /als die vor beliebte Eigenschaft meiner Liebsten /unter den Menschen zu erweisen / und die mir vordessen stets-verhaßte Einsamkeit dermassen zu lieben /daß ich mich ausser ihr keiner vertrauen werde: als der ich an ihrem Beispiel lerne / daß auch verständige Frauen / falsche Worte führen / und anderst reden /anderst denken / da ich bißher zwischen Verstand und Arglistigkeit keinen Unterschied machen können. Sie verzeihe mir / liebes Herz! (wann ich sie anderst noch so nennen darf) daß ich so offenhertzig rede / und erkenne daraus / daß ich nie gegen ihr bin falsch gewesen.[62] Sie ermesse aber auch das lasterhaffte Beginnen (ach! sie vergebe mir diß Wort) damit sie mich gedenket zu tödten. Dann einmahl / ich kan und will sie nicht lassen / es sey dann / daß mich das Leben lasse. Ja / auch nach meinem Tod / wird die Seele des Polyphilus in Macarien Schoß ruhen. Wie ich dann weiß /daß allbereit mein Geist und die geschwinde Boten meiner Gedancken / bey ihrem untreuen Hertzen anklopfen / und es seiner Pflicht Vergessenheit erinnern. Sind daß die treuen Worte / damit sie mir ewige Liebe zugesagt? Ey! so sey alle Welt Zeuge deiner Untreue /und der Himmel meiner Verlassenheit! Soll ein einiger falscher Bericht / oder eine verhasste Warnung /das Band unsrer Freundschafft zertrennen? so kan ich leicht sehen / wie falsch und unkräfftig dasselbe gebunden gewesen. Ich bitte nochmals / und eben auch um der Liebe willen / die sie mir so offt erwiesen /daran nie kein Fehl gewesen / sie wolle sich eines andern besinnen; diesen Worten aber vergeben / welche mein billiger Eifer der Feder zu dictiret; und nicht danken vor die erwiesene Ehre und Liebe / sondern dieselbe mir ferner anbefehlen. Ich erwarte mit nächsten ein gütigers Brieflein / dafern ich nicht durch meine Schmertzen angetrieben / eine verzweifelte That vollbringen / und ihr mit dem Werk erweisen soll / daß ich biß in den Tod geblieben /

Ihr ewig-getreuer

Polyphilus.
[63]

Nachdem nun der Bote mit dieser Antwort an Macarie abgefärtigt war / und Polyphilus Zeit bekommen /ihren Brief nochmals zu durchsehen / auch seiner Verstossung nachzusinnen / geriete er darüber in solchen Kummer / daß er nichts dann das Grab verlangte. Haben auch / jemals (sagte er) einen sterblichen Menschen / mehr Unglücke zugleich / als mich / überfallen? Die Gnade der Königin ist verlohren / Melopharmis erzürnet / Agapistus getrennet / meine Freyheit geranbet / und nichts mehr übrig / dann das blosse Leben: wann anderst das ein Leben zu nennen ist /welches grössere Schmertzen als der Tod selbsten bringet. Und dannoch lässet sich mein unerbittliches Verhängnus damit nicht vergnügen / sondern auch Macarie / der einige Grund / darauf alle meine Hoffnung gebauet / und der lezte Trost / der meine Betrübnus stillen könte / muß ihre Gunst in Feindschafft /und ihre Liebe in Haß verwandeln? Wie solte ich dann / über der menge solcher Plagen / nicht mein selbst vergessen? und unter dieser Last zu Boden sinken? Ach! mit was vor einer Sünde / habe ich doch diese Strafe verdienet? oder welches Laster hält mich hier gefangen? Leide ich nicht alles / aus Begierde der Tugend / und aus Liebe zu Macarie? Ach! ungetreue Macarie! (denn wie soll ich euch anderst nennen) traget ihr dann kein Bedenken / das Lob aller eurer Tugenden / mit Wankelmut zu beflecken? Nun erkenne ich warhafftig / daß keinem Weibsbild unter dem Himmel zu trauen sey / weil Macarie / das Wonhaus aller weiblichen Tugenden / sich der Unbeständigkeit nicht entbrechen kan. Soll dann / dieser schöne Apffel / einen so heßlichen[64] Wurm beherbergen? Soll diese liebliche Blume / mit so schädlichen Gifft erfüllet seyn?

Ist das / Liebste! (last mich doch euch diesen Namen geben / ob ich schon die That bey euch nicht finde) die Standhafftigkeit / die ihr mir so offt versprochen? Ist dieses das Mitleiden / welches ihr mit unsrer Trennung gehabt? Dörfet ihr das Unglück eures liebsten Polyphilus (wie ihr mich falsch genennet) und dessen unbillige Gefängnus also betrauren /daß ihr euch zu seinen Feinden schlaget / und seinen Untergang befördern helffet? Ach unbarmhertzige Macarie! wie hefftig wird euch diese meine Verstossung noch kränken / und wie sehr werdet ihr beklagen / daß ihr dem jenigen das Leben geraubet /dessen einiger Wunsch ist / so lang er selbiges erhält /euch nach allen Kräfften zu dienen. Niemals habe ich euer Gebot überschritten / und wolte auch diesen letzten Befehl / ob er noch so grausam ist / gern vollziehen: möchte nur der erzürnte Himmel / den schwachen Faden / daran meine verschmachtete Seele noch hanget / vollends entzwey reissen / und mit meinem Leben / zugleich euch meiner Liebe befreyen? Aber /ich sehe / daß der Tod vor den jenigen am meisten zu fliehen pfleget / bey welchen das gröste Elend wohnet. Dieser verzweiffelte Schluß bleibet mir noch übrig / daß ich alle Gesellschafft der Menschen verlassen / und eine ungeheure Wüsten zur Wohnung erwählen will. Dann wann ich die wilden Thier nicht erzürne / so beleidigen sie mich auch nicht: Die Menschen aber / ob ich ihnen gleich mit aller Unterthänigkeit diene / unterlassen doch nicht / mich ohne unterlaß zu verfolgen. Alsdann wird meine Macarie sehen /daß[65] ich ihr gehorsamer Diener sterbe / wann ich /ihrem tyrannischen Befehl zu folge / nicht allein ihre /sondern auch aller lebendigen Gegenwart meide / und mich in die Gesellschafft der unvernünfftigen Bestien begebe. Und wie wäre es auch müglich / daß ich ein Mensch seyn / und doch ohne Macarie leben solte? Oder wie könte ich anderes Frauenzimmer anschauen / und die jenige aus den Augen lassen / die so lang darinn verborgen gelegen.

Indeme trat Agapistus hinein / deine der Hüter /wiewohl heimlich / diese Freyheit um Geld verkauffet / und wolte / wegen der Botschaft von Sophoxenien / mit ihme Unterredung halten. Polyphilus / so bald er ihn ersehen / fiel ihme mit jämmerlichen Geberden um den Hals / und schrye mit kläglicher Stimme: Ach Agapistus! getreuer Agapistus! bejammert doch / bitte ich / den Untergang eures Polyphilus. Auch die Hoffnung / welche sonst die allerunglückseligsten zu begleiten pfleget / hat mich verlassen / und mir bleibet nichts übrig / als eine endliche Verzweiflung. Er wolte weiter reden / aber die überhäuffte Threnen hielten seine Zunge gefangen / und liessen ihn nichts mehr hervor bringen. Agapistus / über dieser Bezeugung gantz verstarret / fragte mit erschrocknen Worten: hilff Gott / Polyphilus! was vor ein Zufall macht euch also reden? ist vielleicht ein neues Unglück vorhanden / und denkt uns der Himmel weiter / als mit dieser unseeligen Gefängnus / zu quälen?

Hierauf überreichte ihm Polyphilus / der Macarie und Melopharmis Schreiben / und sagte: Leset / mein Freund! den Grund meines Verderbens / / und urtheilet alsdann / ob ich nicht unrecht[66] thue / wann ich meine Rede zu was anderst anwende / als daß ich mein Verhängnus beklage / und mein mühseeliges Leben mit dem Tod zu verwechseln begehre? Nachdem Agapistus diese Briefe durchlesen / ward er von Mitleiden gegen Polyphilus dermassen eingenommen / daß er sich des weinens kaum enthalten konte. Er bereuete / daß er ihme den Brief Melopharmis zugeschickt / und hätte er einen so traurigen Inhalt gemutmasset / er würde ihn nicht damit betrübet haben. Aber es war geschehen / und muste er sich vor dißmal stark machen / damit er den Polyphilus trösten kunte. Ich muß gestehen / Polyphilus! (sagte er) daß euer Schmertze groß / und eure Klage billig sey. Allein /man muß deßwegen nicht Hertz und Muht sinken lassen / weil ja noch Artzney wider diese Krankheit vorhanden ist. Ach wohl Artzney! begegnete ihm. Polyphilus. Meine Wunden sind viel zu tödlich / als daß sie von einigem Pflaster solten geheilet werden.

Nicht so / Polyphilus / nicht so! versetzte Agapistus. Man soll an keiner Cur verzweiffeln / so lange sich der Kranke des Athems rühmet. Es ist unnötig /euch zu erinnern / daß uns keine Widerwärtigkeit ungefehr begegne: weil ihr in dem Tempel des Glückes gnugsam unterrichtet worden / wie alles das jenige /was wir Glück oder Unglück nennen / von keinem blinden Zufall / sondern von der unwandelbaren / allweisen und gerechten Verordnung des unsterblichen Schöpffers herrühre; Dessen wunderbarer Regirung wir uns billig in Demut unterwerffen / in Betrachtung / daß wir sie doch mit unsrem Widerwillen nicht zu ändern vermögen.[67] Wer seine Waffen gegen den Himmel führet / verletzet sich damit nur selbsten. Ihr habt recht / (widerredte Polyphilus) und habe ich vordessen gemeinet / hierinnen gar viel zu wissen: allein ich muß erfahren / daß die Ubung viel schwerer sey /als die Erlernung. Dann das Unglück wütet so ungestümm wider mich / daß es mir auch alle Hoffnug der Hülffe versaget / und kein verständiges Nachsinnen erlauben will.

Das ist Einbildung / (antwortete Agapistus) die euch eure verwirrte Vernunfft vorhält. Worinn bestehet dann eigentlich euer Unglück / Polyphilus! was habt ihr so grosses verlohren? Ich weiß nicht / (sprach Polyphilus) ob ihr mich mit dieser Frage schertzet /oder wie ich selbige deuten soll. Ihr fraget / was ich verlohren: Viel billiger soltet ihr fragen / was ich noch übrig behalten / weilich alles verlohren. Bedenket doch nur / Agapistus! meine vorige Glückseeligkeit / da ich der Königin im Schoß gefessen / und als ihr Erretter verehret wurde; da mich Melopharmis /wie ihr Kind / versorgte; da mich Macarie / als ihre eigne Seele / geliebet. Erwäget hingegen / daß ich nunmehr / nicht allein diese alle mir ungünstig / und theils zu Anklägern habe: sondern auch über das / als ein vermeinter Mörder und Strassenräuber / elendiglich gefangen lige / und täglich ein ungerechtes Urtheil wider mich erwarten muß. Haltet ihr dann dieses alles vor Einbildung? oder fraget ihr noch / was ich verlohren? Freylich frage ich noch: antwortete Agapistus. Dann alles / was ihr biß daher erzehlet / sind fremde und unbeständige Güter / welche uns das Glück nur darum verliehen / damit[68] es solche nach seinem Gefallen wieder zu rück nehmen kan. Hieraus erscheinet / daß ihr das Glück mit unrecht anklaget /weil es euch nichts entfremdet / sondern nur das Seine wieder zu sich genommen / was es euch eine geraume Zeit geliehen / und ihr dafür billich hättet sollen dankbar seyn. Dann daß das Glück unbeständig / solches ist seine Natur / die es euch zu gefallen nicht ändern wird. So lang ihr demnach ein freyes / vernünfftiges und tugendhafftes Gemüt besitzet / (welches das einige ist / das wir unser nennen können /) so lang mag euch / der Verlust solcher äusserlichen und hinfälligen Dinge / so wenig schaden / daß dadurch vielmehr die Tugend / welche in guten Tagen gleichsam begraben /oder zum wenigsten entschlaffen scheinet / wieder aufgemuntert und vermehret wird. Dann ihr habt in dem Tempel der Tugend gelernet / wie derselben Ruhm nicht auf weichen Feder-Betten / sondern durch Dornen des Unglücks / müsse erlanget werden. Wie ein Wasser ohne Bewegung faulet / und ein Eisen ohne Gebrauch rostet: also wird auch die Tugend /ohne die Ubung / unkräfftig / und nicht allein unkräfftig / sondern auch unsichtbar. Dann bry frölichem Anblick des Glückes / kan sich niemand der Beständigkeit rühmen: So lang einer gesund / kan er keine Gedult in Schmertzen erweisen. Und welchem jederman wohl will / der hat keine Gelegenheit / seine Sanfftmut gegen den Feinden sehen zu lassen. Wie die hell-leuchtende Sterne in den tunkelsten Nächten am aller-prächtigsten zu funkeln pflegen / also erscheinet auch die Tugend / mitten in den Stürmen der Widerwärtigkeit / am allerherrlichsten. Ein beständiges Gemüt /das ihme selbsten[69] wohl bewust ist / schwinget sich weit über die gemeine Hertz-Bewegungen / und betrachtet / als unter seinen Füssen ligend / die eitele Mühe der Sterblichen / mit unverändertem Gesicht. Worüber sich andere hefftig zu kränken pflegen / das belachet er: Dann die Güter / welche er vor eigen besitzet / sind keiner Veränderung unterworffen / und bleiben in Glück und Unglück unbeweglich. Wie ein Edler Stein / ob er gleich in den Koth geworffen wird / dennoch seinen Glantz und Kräffte behält: Also behält auch ein edles Gemüt allezeit die Tugend / und bleibet in Dürfftigkeit vermögend / in Verfolgungen sicher / in Gefängnüssen frey / und in allem Unglück glückseelig.

Das lässet sich hören! gabe Polyphilus zur Antwort. Aber ihr wisset / Agapistus! daß die Gesetze viel leichter vorgeschrieben als gehalten werden. Muß doch ein Stein letzlich zerspringen / wann er die Gewalt des Hammers gar zu offt fühlet: wie solte dann mein Gemüt bey so vielen Schlägen unbeweglich seyn. Ich habe freylich vermeinet / alles Unglück so wenig zu achten / als ein Felß in der See die Gewalt der Wellen: Allein / nun Macarie wanket / die mein Hertz in ihrer Brust träget / hat selbiges notwendig auch wanken müssen. Hier ist Vorsichtigkeit vonnöten: sagte Agapistus. Ihr habt in dem Liebes Tempel gesehen / wie die Liebe / wann sie nicht auf dem unbeweglichen Grunde der Tugend ruhet / nicht allein unbesonnen / sondern auch verderblich sey. So habt ihr auch die Macarie / nach eurem Vorgeben / bloß wegen der Tugend geliebet. So lang nun dieselbe diesen Ruhm behält / ist es löblich / daß ihr[70] eurem Hertzen in ihrer schönen Brust Herberge suchet. Dafern sie aber weichen und zu den Lastern ausschreiten solte / müsset ihr fürwar solches wieder zurück fordern / wo ihr anderst den Namen eines Tugend-Wer bers erhalten / und nicht unter die Zahl der wollüstigen Liebhaber wollet gezehlet seyn. Ich halte aber Macarie hierinn vor unschuldig / und kan aus ihrem Brief keine Unbeständigkeit schliessen / sondern allein eine Zurückhaltung / oder Verbergung der Liebe: Zu welcher Verbergung sie / durch allerhand verdrießliche Zeitungen gnugsam beursacht worden.

Das ist wahr! (versetzte Polyphilus) und habe ich daher desto mehr Ursach / wider diesen Ungerechten zu zürnen / der mich wider alles Recht gefangen hält /und dadurch einen Anfang meines Unglücks gemacht hat. Wann ich das geringste verwürket / so möchte ich mich eher zu frieden geben: aber nun machet meine gäntzliche Unschuld / mich ja billich ungedultig. Die Unschuld (antwortete Agapistus) soll euch vielmehr trösten / als ungedultig machen. Dann / was ist schöner / als ein unverdientes Leiden / welches keine Strafe der Laster / sondern eine Probe der Tugend ist: dadurch nicht allein die aufrichtigen Freunde / so ausser der Noht nicht zu erkennen / sondern auch unsre Sanftmut / Gedult und Beständigkeit offenbaret werden. Zu dem sind wir auch nicht allerdings unschuldig. Ob wir schon keine grobe Laster verübet / können wir uns doch der gemeinen Fehler nicht entbrechen. Da wir auch gleich gegenwärtige Gefängnüs nicht verdienet / so mögen wir es doch wohl auf andere Weise bey dem gerechten Himmel verschuldet haben.[71] Dann die Göttliche Gerichte sind dermassen gerecht / daß sie auch die geringste Sünde nicht ungestrafft hingehen lassen; Und wann wir in denselben sicher sind / gestatten sie bißweilen / daß wir bedränget werden / biß wir durch anderer Boßheit / zur Erkantnis unser selbst und unsers Verbrechens kommen / und in demütiger Reue um Gnade bitten.

Diese Worte schlugen dem Polyphilus / gleich wie ein Donner ins Hertz. Denn er erinnerte sich alsobald seiner Sünde / daß er / aus Hochmut / seinen Schäferstand verlassen / und durch Kunst und Tugend groß zu werden / sich dieser und anderer Gefahr freywillig unterworffen hatte. Derowegen liese er einen tieffen Senfzer / und sagte: Hiermit / Agapistus! habt ihr die Scheibe getroffen / und die Quelle gefunden / aus welcher alles mein Unglück fliesset. Freylich bin ich nicht unschuldig / sondern muß gestehen / daß ich aus blosser Hoffart und Ehrgeitz / meinen Schäfer-Stab von mir geworffen / und durch Kuast und Tugend Ehr zu suchen / ausgezogen bin: da ich doch lauter Widerwärtigkeit gefunden / und an statt der ruhigen Freyheit / welche ich in meinem vorigen Stand genossen /diese elende Gefängnus dulten muß. Ja / ja! du gerechter Himmel! ich bekenne / daß deine Strafe billich / und noch viel geringer sey / als ich verdienet habe. Du verübest an mir das Recht der gleichen Vergeltung. Denn an Schäfern habe ich mich verschuldet / und um der Schäfere willen / muß ich diese Strafe dulten. Nun will ich nicht mehr nach der Ursache meines Unglücks fragen / sondern vielmehr dieselbe auszusöhnen und abzubitten bedacht seyn. Aber allergetreuester Agapistus![72] wie viel bin ich doch eurer aufrichtigen Freundschafft schuldig / daß ihr nicht allein diese Gefängnus / welche ich allein verdienet / so willig mit dultet / sondern auch durch eure vernünfftige Erinnerung / mein verwirrtes Gemüte zu recht gebracht / und von dem Irrweg / darauf es gerahten war /wieder zur rechten Straße geleitet habt. Ach! helffet doch / wehrtester Agapistus! unsere Freyheit befördern / und glaubet / daß ihr hierinnen keinem undankbaren dienen / sondern erfahren sollet / daß ich eure treue Gewogenheit mit aller Gegentreue erwiedern werde.

Agapistus über dieser Veränderung höchst erfreuet / sagte: Es ist unnötig / Polyphilus! daß ihr um das jenige bittet / worzu mich die Pflicht meiner Freundschafft schuldig verbindet. Eben deßwegen habe ich von meinem Hüter die Freyheit / euch zu besuchen / erkaufft / daß ich euch von der Königin /welche die Ursach unsrer Gefängnus durch einen jungen von Adel erkundigen lässet / erzehlen / und wegen unsrer Erledigung ratschlagen möchte. Nun ich aber diese Briefe gelesen / dünket mich am nötigsten seyn / daß ihr an Macarie und Melopharmis schreibet / und sie eines bessern unterrichtet. An Macarie (gab Polyphilus zur Antwort) habe ich allbereit geschrieben: An Melopharmis aber zu schreiben / trage ich bedenken / weil der Brief / welchen sie mir geschikt / so Ehrverletzlich ist / daß ich ihn keiner Antwort würdigen kan. Nach eurem belieben! sagte Agapistus. Ich will indessen der Königin / unsern Zustand / durch ihren Gesandten / zu wissen machen /und um Mittel zu unserer Erledigung bitten / im übrigen aber bemühet[73] seyn / daß ich mit dem Landherrn zu reden komme / und / wo müglich / unsre Befreyung auswürke.

Mit diesem Vorsatz / nahme er vom Polyphilus Abschied / und kehrte wieder nach dem Zimmer / woselbst er den Boten verlassen: welchem er dann alle Umstände ihres unverhofften Unglücks / und wie unschuldig sie in diese Gefängnus gerahten / richtig erzehlte / mit Bitte / er möchte doch daran seyn / daß Atychintida / durch ein offenbares Zeugnus ihres Wolverhaltens / bey dem Landherrn ihre Erlösung suche. Der Melopharmis aber thäte er verweißlich zu wissen / wie sie / durch ihren verächtlichen Brief / bey Polyphilo / gar nahe einen verzweiffelten Tod solte verursachet haben. Weil dann selbiger / gleich ihnen /an dieser Gefängnus gantz unschuldig / ihr Sohn auch / wie er vor Augen sehe / gesund und ausser aller Gefahr sey: so solte sie sich doch bemühen / den Polyphilus wieder zu begütigen / und ihre Freyheit nach allen Kräfften zu befördern. Diese Botschafft name der Gesandte auf sich / und reisete damit wieder nach Sophoxenien.

Agapistus aber erhielte bald nach diesem / durch Hülffe seines Hüters / eine Verhör bey dem Landherrn / und bate denselben gar demütig / daß er doch ihren Ankläger genauer vernehmen / auch weil ja nimmermehr einige Mordthat auf sie zu beweisen wäre /ihre Gefängnus aufheben / und die vorgenommene Reise nicht länger hintern wolte. Er bekame von ihm zur Antwort: Wie daß / wann sie schon an diesem Mord nicht schuldig / er doch / wegen des Polyphilus Trotz und Frefel / gnugsame Ursache hätte / sie gefangen zu halten. Weil auch selbiger vor den Mörder erkennet wäre / als könte[74] er ihn noch nicht loß geben: sie beyde aber möchten immer abreisen / wann es ihnen gefiele. Agapistus sagte hierauf: Wie daß es seine Freundschafft nicht zuließe / Polyphilum zu verlassen / sonderlich / da er seiner Unschuld versichert sey. Hätte er etwas scharff geredet / so wäre es seinem billigen Eifer über die ungerechte Beschuldigung zuzuschreiben / und hätte er hierüber allbereit / in so harter Gefängnus / lang genug gebüsset. Er erlangte aber keine andere Antwort / als diese: Wolten sie nicht ohne den Polyphilus ledig seyn / so möchten sie mit ihme gefangen bleiben.

Dieser hönische Schluß gienge dem Agapistus so zu Hertzen / daß er ohne einig weiters Bitten / sich wieder in sein Gemach verfügte / und der Hülffe von Sophoxenien erwartete. Er war aber über den Landherrn so sehr ergrimmt / daß er den Polyphilus in der Ungedult fast abzulösen begunte. Als dieser solches durch den Servetus erfahren / konte er nicht anders /als auf gleiche Wunden / gleiches Pflaster legen. Darum er ihm / seine Ungedult ihm zu verweisen /folgende Zeilen zuschickte.


Was ist die Ursach doch / mein treuer Agapist!

Daß du so hart und vest anietzt verschlossen bist?

Was gilts / ich treff es recht: weil du nit wilt verlassen

Den Freund Polyphilus / und seine Weise hassen.

Das ist die erste Frucht / die dein Verbündnus trägt /

Daß dich das scharffe Recht verschlossen niderlegt.

Du taurest mich! doch nein / du hast es wol verdienet /

Weil du / durch deinen Raht / zu führen mich erkühnet.

Drum solt du dir / nicht mir / beymessen diese Schuld /

Daß du verschlossen wirst. Mein! trag es mit Gedult.

Und denke / daß auch dir dein Leiden wird versüssen /

Wann meine Macaris wird deinen Jammer wissen.[75]

Und daß ihr Bote leid / Polyphilus sein Freund /

Mit dem es Agapist so hertz-getreulich meint /

Wie wider er mit ihm. Drum leid er gleiche Strafen:

Damit er auch mit ihm könn gleiche Freyheit schaffen.


Quelle:
Maria Katharina Stockfleth: Die Kunst- und Tugend-gezierte Macarie, 2 Bände, Band 2, Nürnberg 1673, S. 59-76.
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