Zehender Absatz

[592] Macarie wird von einem Traum erschreckt / und vom Polyphilus / auf die Probe gesetzet. Sie beantwortet sein Schreiben / klaget / und fraget den[592] Gegenhall. Sein zweytes Schreiben / und erdichteter Bericht / wie er gezwungen werde / sie zu verlassen. Ihre Unlust /und Antwort. Er kommet zu ihr auf ihr Lusthaus / und begütiget sie wieder mit der Erzehlung / daß er ihre Eltern und den Philomathus gefunden.


Inzwischen nun Macarie der Wiederkunft ihres Liebsten begierig erwartete / hatte sie in der Nächte einer einen Traum / welcher ihr nicht wenig Nachdenken machte. Sie sahe den Polyphilus mit grossem Gelächter zu ihr kommen / und einen Kranz von Perlen in Händen halten / als sie solchen / (ihrem schlaffenden Bedünken nach) in die Hand fassete / wurde sie gewar / daß die Perlen ganz verkehrt und sich in Rosen verwandleten / worüber sie erwachet. Diesen Traum erzählte sie ihrer Dienerin Nabisa / und als selbige sagte: daß die Perlen allezeit Threnen bedeuteten / fieng sie an sich zu betrüben / fürchtend / es möchte ihrem Polyphilo / auf seiner Reise / ein Unglück begegnen. Sie fühlte auch eine ungewönliche Bangigkeit des Hertzens / deren sie / durch die Seufzer / Luft machte / und keine Tröstung kräftig fande /wie aus diesen Zeilen / welche ihr die Verwirrung ausgepresset / abzumercken ist.


Man sagt zwar sonst: Wer viel von Träumen hält /

Verwickelt sich mit Lügen /

Und muß sich selbst betrügen.

Doch / warnt auch oft ein Traum /

Eh uns das Unglück trifft. Nicht alle Träum verführen.

Ach[593] Himmel! ich besinn mich kaum /

So fängt sichs an / in mir zu rühren.

Mein Herz sagt mir was vor / es ist zu hart gequält.

Es scheint / als ob mein blöder Geist /

Vor dem Verhängnus wolte fliehen /

Das mich / so grausamlich / gedenkt zu überziehen /

Ach wie beschwert ist diese Brust!

Und weiß doch nit / warum? die Seele muß es sehen /

Die reiner ist / als ich / und zeiget Qual und Lust /

Die sich gedenken uns zu nähen.


In diesen unruhigen und bestürzten Gedanken / erhielte Macarie einen Brief vom Polyphilus / welchen er durch den Schäfer-Knaben überschickte / dieses Inhalts.


Allerliebste!


Ich vermag nicht zu beschreiben / wie sehr mich nach ihren liebsten Brieflein verlanget / weil ich in denselben all meinen Tröst suche. Dann was meinet mein Herz / wie ich / auf diesem Gebürge / herum geführet werde / da ich fürchten muß / daß mich ungefehr ein Sturmwind / so ohne das den hohen Klippen gefährlich / in eine Unglücks-Grube herunter stürze / oder auch ein leiser West-Wind fremder Höflichkeit /durch sein anmutiges Rauschen / dergestalt verleite /daß ich / an statt eines kühlen Lüfftleins / vergifftete Bitterkeit schöpffen müße. Hätte ich nun den schönen Buchstaben / als den versicherten Zeugen ihres Andenkens / zu meinem Gefärten / könte ich solchen /vielleicht nicht vergebens / den stürmenden Winden zum Widerstand / der sanfftwehenden[594] Luft der liebsuchen den Höflichkeit aber / zum Betrug / und mir selbsten zur Behutsamkeit setzen: welche meine Augen in ihren Worten / mein Gedächtnus aber bey ihr allein / von allen andern abgewendet / bleiben hieße. Sonsten ists nicht ohn / daß man auf hohen Bergen / die Reiche der Welt sehen kan / und stehet ein fester Grund / wo die Felsen den Bau erhalten. Auch liebet man den Pracht der hohen Spitzen / weil sie der Sonne näher steben. Die Finsternus wohnet in den Wäldern: aber das Liecht beglänzet / was erhaben stehet. Zwar es trohet dem / der die Felsen ersteiget /ein gefährlicher Fall: allein / weil die besteinte Felder auch Blumen tragen / findet man in ihrem Begriff /eben wol einen Augentrost / oder das Blümlein je länger je lieber / welches uns der Beständigkeit versichert. Das ists / schönstes Herz! was mich auf diesem felsichten Gebürge bißweilen tröstet / oder vielmehr aber betrübet. Sie aber erhalte den Ruhm ihrer Treue /und gebe mir durch ein Brieflein zu wissen / wie ich einer besiegenden Gewalt / ohne Verlust der Freyheit / ja wohl gar des Glückes und der Ehre / widerstreben / und die fast geschlossene Fessel zerreissen könne. Mein Schatz lehre mich auch / ob die Liebe dem Glück / oder dieses jener / am nützlichsten vorgezogen werde: Und ob die Ehre / ohne die Beständigkeit / auch eine Ehre zu nennen sey / Ich verbleibe inzwischen

Der beständige

Polyphilus.
[595]

Hier hatte nun Macarie die Auslegung ihres Traums /und kunte ihr keine andre Gedanken machen / als daß Polyphilus / mit ihrer Verspottung / eine andere lieben / ihr aber damit die Ursach der Threnen überlassen würde. Liebe und Eifer / Zorn und Verlangen /fiengen an ihr Gemüte zu bestreiten und brachten sie dergestalt aus ihr selbst / daß sie nicht wuste / was /oder wie sie antworten solte? Weil aber der Junge um einen Brief stark anhielte / und sich nicht wolte auf halten lassen. Also fasste sie endlich ihre zerstreute Sinne wieder zusammen / und schriebe (damit sie Polyphilo alle Entschuldigung seiner Untreu benehmen möchte) folgendes.


Mein Herz!


Wann meine Zeilen so glückseelig wären / ihm einige Ergätzung zu bringen / wie feine Höflichkeit rühmet /so würde ich sie mit viel grösserer Freude empfangen / als ich jetzt thue / da ich fast nicht weiß / wie ich sein Brieflein beantworten soll / theils aus Bestürzung / theils auch aus Verwunderung / daß die ewigsteiffe Sinnen / in sowenig Tagen / sollen wankend gemacht worden seyn. Er darf nicht entdeckter reden /weil ich zuvor schon mehr verstehe / als ich beliebe /so kan ich ihm auch keinen Raht ertheilen / der nicht entweder vor lasterhaft / oder parteylich solte angesehen werden. Ich empfehle ihm demnach / an meiner statt / zur Rabtgeberin / die Edle Tugend selber: Diese lasse er seine Entschließung begleiten und regieren. Mich soll niemand /[596] auch nicht eines andern Laster / von ihrem Dienst verleiten: und wie ich / aus Begierde zur Tugend / und aus Furcht wider dieselbe zu handeln / bißher so manches Glück ausgeschlagen / und so manches Unglück besieget / also bleibe ich ewig

Die beständige

Macarie.


Mit dieser Antwort ließe sie den Jungen wieder ablaufen / sie aber bliebe in so unruhigen / und bestürzten Gedanken / daß kein anders Gemüte / als der Tugend-befesteten Macarie / solche ohne Verzweiflung würde erdultet haben. Soll ich dann glauben / (gedachte sie) daß Polyphilus so vermessen sey / eine andere / als Macarie / zu lieben? ist es auch müglich / daß er /aller Tugend vergessend / seine Seele mit so abscheulicher Untreu beflecke? Nimmermehr kan ich mir einbilden / daß dergleichen Boßheit in dem Tugend-liebenden Herzen des Polyphilus herrschen soll. Doch /was ist beweglicher / als die unvorsichtige und wollüstige Jugend? Was können große Verheissungen und prächtige Ehren-Stellen bey hochgesinnten und stolzen Gemütern nicht ausrichten? Der Rauch der Hoheit / vermag auch die aller-verständigste Augen trüb zu machen / daß sie das Liecht der Tugend nicht erkennen. Was ist es dann Wunder / daß die noch wachsende davon erblinden? Zwar der Atychintide Liebe hat er meinetwegen ausgeschlagen: aber wer weiß /wann es eine junge und schöne Prinzessin gewesen /ob er sich so beständig rühmen könte? Dieser Königin Holdschaft war[597] mehr eine Arzuey wider die Liebe / als Entzündung derselben zu nennen. Zu Ruthiben hingegen wird er von dem Blümlein je länger je lieber / mehrere Befeurung haben. Ach / Himmel! wie habe ich mich betrogen / daß ich Polyphilo getrauet / der schon so vielmals mit fremder Liebe angefochten worden. Doch habe ich auch seine Beständigkeit / durch viel Widerwärtigkeit geprüfet / und ohne falsch gefunden. Was muß doch für eine Vollkommenheit seine Sinne verblenden / daß er nun zu wanken gedenket? Ich weiß nicht / was ich davon halten und glauben soll. Ist seine Bekantnus warhaftig / so hätte er / in warheit / seine Boßheit nicht empfindlicher ausüben können / als eben zu der Zeit / da Eusephilistus mit einer andern sich verlobet / und mich /wegen dieses untreuen Liebhabers / gnug verlachen wird. Ich werde sehen / (sagte sie endlich) wie seine Antwort lautet / und habe Ursach / solche häftig zu verlangen.

Dieses waren der Macarien Gedanken: in derer Verwirrung sie einen Spazir-gang erwählte / sie desto freyer zu unterhalten. Als sie / vor ihrer Insel / gegen einem Felsen kam / und in ihrem Gemüte so gar keinen Raht wider diese Begegnis zu finden wuste / fieng sie an / bey dem Gegenschall Hülfe zu suchen / und also mit ihm zu reden:


Echo! gönn mir deine Lehre /

Und verschaff / daß ich dich höre /

Echo. Ich höre.

Will Polyphilus / im hassen /

Nun / auf ewig mich verlassen?

Echo. dich verlassen?[598]

Fragst du noch / und wilt nicht sehen /

Was am hellen Liecht geschehen?

Echo. nicht geschehen.

Sagst du du dieses von dem Lieben /

Das sein falsches Herz getrieben?

Eche. Scherz geschrieben.

Was? Er scherzt / im fremden Schoße /

Du vertritst ihn nur / du Lose!

Echo. Du Lose!

Nimfe / schweig! ich bin betrübet.

Zeig davor / was jener übet?

Echo. Er liebet.

Ja! das will ich nicht bestreiten:

Aber nicht zu meinen Freuden:

Echo. Deinen Freuden.


Hierauf wuste Macarie eben so wenig als zuvor /gieng derhalben ungedultig wieder hinweg / und schluge sich noch eine zeitlang mit ihren Gedanken. Als sie / am Abend / nach Hause kam / fande sie daselbst / wider Verhoffen / den Hirten-Knaben / der einen Brief von Polyphilus brachte / welchen sie erbrache / und darinn dieses lase.


Tugend-gezierte Macarie!


Dieselbe wolle sich nicht wundern / daß ich / wider meine Gewonheit / dieses befremdlichen Tituls mich gebrauche / oder vielmehr zu gebrauchen genötiget werde. Dann der zweifelhafte Zustand / darinn mein unglückseeliges Lieben anjetzt bestehet / leidet nicht mehr / die jenige mit verliebten Worten zu grüßen /die ich zu lieben aller Orten / auch von dem Himmel selber / (wie es scheinet) abgehalten[599] werde. Es ist mir zwar ihr schönes Brieflein / aber zu unseeligen Händen / eingeliefert worden: weil ich / über dem Schatz ihrer getreuen Liebe / in viel größere Bestürzung gerahten / als ich jemals über derselben Erlangung mich ergötzet. Ach Himmel! hast du mir dann eine Freude gegeben / zur Betrübnus? also sehe ich / wann ich die felsichte Spitzen / von denen keine Bahn / ohne durch das gestürzte Glück / herab führet / betrachte. Warum bin ich nicht auf ebnem Feld geblieben / da ich keinen Fall zu fürchten hatte? Ich kan leicht besinnen / daß sie sich / allerwürdigste Macarie! hierüber entsetzen wird / darum ich auch fürchte / entdeckter zu reden. Doch was fürchte ich? schreib nur / unglückseelige Feder! daß nie einem Sterblichen ein verwirrteres Glück / als mir / begegnet. Ach! daß der Kiel nie geschnitten wäre / der die Worte ausgießen muß / daß Polyphilus / seine Schöne / und so herzlich geliebte Macarie verlassen soll. Vergebet mir / Tugend-Edle Macarie! diese Untreu / und entschuldiget den Zwang mit meinem Widerwillen. Ich Unseeliger! es solte mich ja die vielfache Widerwärtigkeit / so unsrer Liebe allezeit verhinterlich / oder zum wenigsten beschwerlich gewesen / gnugsam unterrichtet haben /daß der Himmel ein Mißfallen trage an unserer Verbündnus. Aber ich wolte auch wider die Unsterblichkeit streiten / darum trage ich nun den verdienten Lohn davon. Ich bekenne gern / daß ich unwürdig sey / neben ihrer Hoheit zu stehen /[600] weil ich nicht so beständig die Tugenden verehre / und in die Zahl der jenigen komme / die das Glück und die Ehre / durch Laster bauen. Weil ich nun diesen verzweifelten Schluß erwählen muß / wird sie sich / schöne Macarie! desto leichter befriedigen / und meiner vergessen können / weil sie weiß / daß ich nicht mehr sey / der ich vor dem gewesen. Auch wolle sie dabey gedenken / wie vielen und schweren Sorgen sie entnommen werde / wann ich mich ihrer äusern muß: es fället damit die Furcht / es zerrinnt die Ungewißheit meiner Jugendlichen Liebe / und bleibet dagegen die Freyheit / einen andern aus so vieln zu erwählen / der die Stelle ersetze / die ich bißher durch ein blindes Glück und unwürdig besessen. Wird sie auch an den bösen Namen / und an die Feindseeligkeit gedenken / welcher ich in ihrer Insel unterworffen bin / wird sie Ursach genug haben / sich hierüber mehr zu erfreuen /als zu beklagen / und mich desto weniger verdenken /daß ich mein Glück und Ehre bey denen suche / da ich angenehm gehalten werde. Aber / was werde ich vor einen Ruhm bey ihr hinterlassen? Untreu verdammet doch / und Falschheit verdienet den Nachklang einer geschändeten Ehre Doch tröstet mich die erkante Gedult / die ich so oft an ihr gerühmet. Auch versichere ich sie / treffliche Mcarie! daß ich sie dennoch lieben will / weil ich nimmermehr glauben kan / daß der Zwang die Herzen binde / und der Erwählung vorgehen könne. Ja / meine Beständigkeit zu erweisen /[601] erbiete ich mich noch mit ihr alles zu dulten / von dem Thron der Ehren freywillig abzutretten / und ihr verpflicht zu bleiben. Aber mit was Nutzen? Soll ich ihrentwegen verachtet / verstoßen / und von meinen Feinden verspottet werden? Wie viel erträglicher ists /einen Dank vor alle erwiesene Freundschaft und Liebe geben / und deren zu vergessen / die ich ohne mein Verderben nicht lieben; hingegen diese annehmen /die mich auf ben Sitz der Ehren heben kan / und nun schon gehoben hat. Ich bitte sie demnach / tugendliche Macarie! sie wolle meiner / aber ohne Feindschaft / vergessen / und an meine statt einen andern erwählen / der würdiger sey / in ihren Armen zu ruhen. Wo nicht / so berichte sie mich eiligst / was ihre Meynung sey / ob sie mich lieber glücklich verlassen / oder unglücklich lieben wolle? Ich will ihr Folge leisten. Kan es aber seyn / daß sie mich lasse /so bitte ich nochmals / mir alle Unhöflichkeiten / so ich jemals gegen ihr begangen / zu vergeben / und mir zu erlauben / eine höfliche / schöne / und mit allen weiblichen Tugenden gezierte Dame / die mich so hoch und herzlich liebet / daß ihr die Gegen-Liebe zu versagen unmüglich / zu lieben. Sie wolle auch /schöne Macarie! des jenigen im besten gedenken / der gern / wan ns ihm der Himmel nur gönnte / biß ins Sterben verharren wolte / wie er nun einer andern seyn muß /

Ihr gehorsamer und getreuer

Polyphilus.
[602]

Hat sich jemals das Gemüt Macarien von den Bewegungen unruhig befunden / so ist es in warheit dißmal gewesen. Wer auch die Liebe des Polyphilus biß daher betrachtet / und seine vorige Briefe neben diesen leget / wird bekennen müssen / daß sie sich billig vor dieser Untreu entsetze / welche wenig ihres gleichen findet. Sie kunte den vermessenen Brief / vor Schrecken und Bestürtzung / nicht zu Ende lesen /und wurde von Zorn / Eifer / und Ungedult dermassen bestritten / daß sie sich kaum besinnen kunte. Doch scheuete sie den Hirten-Jungen / und wolte in seiner Gegenwart keine Klage hören lassen / sonderlich weil sie sahe / daß er ihre Gebärden sehr genau beobachtete / und davon ohne Zweifel dem Polyphilus Bericht geben solte. So kunte sie auch noch nicht glauben /daß Polyphilus eine andere lieben / und sie verlassen werde / ob gleich sein Brief solches aufrichtig gestunde / sondern sie haftete in der Mutmassung / er werde sie mit diesem Vorgeben nötigen wollen / ihn um seine Liebe zu bitten / das sie nicht willens war. Dann / (gedachte sie) wer wolte den Polyphilus zwingen / eine Fremde zu ehelichen / wann es nicht seine eigne Erwählung thäte? solte es aber diese seyn /warum könte er nicht andere Entschuldigungen vorwenden / als einen so unglaublichen Zwang? Und was dörfte er so einen verächtlichen Abschied von mir nehmen? In warheit / wäre Polyphilus in eine andere verliebt / er würde gewiß andere Ursachen ersinnen /ohne Verletzung seiner Aufrichtigkeit / von mir loß zu werden. Vermeinet er vielleicht mich auf diese Weise zu erzürnen / und zu bewegen / daß ich auf seine Handlungen schelte / und ihn in[603] meiner Verbindnus zu bleiben nötige? das soll er wohl nicht erleben. Ist aber seine Untreu gewiß / so behüte mich der Himmel vor einem so lasterhaften Liebhaber. Ist sie aber / wie ich gänzlich glaube / wegen einiger Ursachen / erdichtet / so schwöre ich / diese Künheit nicht ungerochen zu lassen. Polyphilus soll erfahren / daß Macarie nicht gewohnt sey / dergleichen Beschimpfungen zu dulten / und daß sie die Einsamkeit / wel che sie bißher geliebet / noch ferner lieben könne. Von überflüssiger Süssigkeit wird gemeiniglich die Galle erreget: Und aus allzugroßer Freundlichkeit fließet vielmals die Verachtung. Ich will künftig meine Liebe zurück nehmen / welche Polyphilus also verschwendet / und dörfte ihm schier gar keine Antwort zu schicken.

Damit legte sie den Brief von sich / und befahl dem Jungen / er solte den Polyphilus ihrentwegen grüßen. Als aber selbiger nicht abließe / um eine Antwort zu bitten / weil er ohne dieselbe nicht ablaufen dürfte /fasste sie letzlich die Entschließung / ihm etliche Zeilen mitzugeben / und schriebe folgendes.


Edler Polyphilus!


Ob ich wol ein günstigers Ende meiner Liebe gehoffet / und einen solchen Brief nicht vermutet hätte / so muß ich dennoch rühmen / (wann anderst der Ruhm bey den Lastern stehen kan) daß er das kalte Eyß des Hasses / nicht mit erdichten Flammen einer Passion zu bedecken suchet / sondern seine Untreu öffentlich bekennet. Nun ist einmal die[604] gleißnerische Glut ausgeloschen / und der Betrug geoffenbaret. Ich stelle es dahin / mit was vor einer Ehre er diese Ehre von deren / die er rühmet / besitze / und wünsche / daß er glückseelig fahren / und aller der Zufriedenheit / welche von solchen Thaten zu hoffen / genießen möge. Eine jede Tugend / belohnet sich selber. Ich aber will / nun ich durch den Fall klüger worden / die Seulen der ewigen Einsamkeit viel vester setzen / und gelährter Leute Bücher zu meinen Liebsten erwählen /welche viel getreuer sind als die Menschen selber /und mich auch im Tod nicht verlassen werden. Ihr aber ruhet sanft in dem Schoß eurer neuen Liebsten /und bleibet mit ihrer Erlaubnus ingedenk

Der betrognen

Macarie.


Wie nun Macarie dieses Brieflein gesiegelt / und dem Jungen eingehändiget / sagte selbiger: Es ließe Polyphilus bitten / sie möchte ihm erlauben / nur etliche Worte mit ihr zu reden / er wolte entweder auf ihr Landgut / oder gar in die Insel kommen / nachdem sie ihm befehlen würde. Ist dann Polyphilus nicht zu Ruthiben? fragte Macarie. Nein / (versetzte der Junge) er ist heute wieder zu den Hirten / in die Landschaft Brundois / abgereiset / und erwartet daselbst ihren Bericht. Warum hast du mir dann dieses nicht zuvor gesagt? fragte Macarie ferner. Als der Junge antwortete / es hätte ihm Polyphilus solches zu thun verboten /biß er ihren Brief würde erhalten haben: merkte[605] sie /daß dieses eitel Betrug gewesen / und wurde noch ungedultiger / daß Polyphilus sie so freventlich quälte. Ich habe (sagte sie zu dem Jungen) seine Meinung in dem Brief schon gelesen / und beantwortet / und habe mehrers nicht mit ihm zu reden. Schöne Macarie! (begegnete ihr der Junge) er bittet nur um etliche Worte /und wird / dafern sie ihm keinen Ort zur Unterredung durch mich benennen lässet / gewiß morgen hier seyn. Macarie dieses vernehmend / fürchtete / es möchte seine Gegenwart wieder neue Händel zu Soletten anrichten / gabe demnach dem Jungen / mit etwas erhitzten Worten / zur Antwort: Sie würde ohne das auf ihr Landgut reisen / und / wann er ja etwas notwendiges mit ihr zu reden hätte / daselbst sich finden lassen.

Damit nahm der Junge seinen Abschied / und brachte das Schreiben dem Polyphilus: der eben von Cumenns und den Schäfern / auch von seiner Mutter Garine / und den andern Freunden / empfangen und beglückwünschet wurde. Selbiger entsetzte sich über dessen Inhalt / und bewunderte die Tugend und Treu seiner Macarie / nunmehr sorgfältig / wie er diese seine Vermessenheit wieder aussöhnen möchte. Wie hat dann Macarie / (fragte er den Jungen) bey Lesung meines Briefs / sich angestellet? Sie hat solchen (sagte dieser) etwas ungedultig auf die Seite geleget /und mir gar keine Antwort geben wollen / doch endlich / auf mein inständiges Anhalten / Gegenwärtiges ertheilet. Soll ich dann (fragte Polyphilus ferner) nach Soletten kommen / mit ihr zu sprächen? Nein! (versetzte der Junge) sie wird in ihrem Gartenhause[606] zu finden seyn: Wie bald aber / das kan ich nicht wissen. Hiermit muste sich Polyphilus befriedigen lassen /und quälte ihn diese seine gebrauchte Vermessenheit dermassen / daß er nicht ruhen kunte / und darum /gleich des andern Tages / nach ihrem Gartenhaus gienge. Weil er sie daselbst nicht fande / verharrete er eine zeitlang / und bereute seine Torheit / gedachte aber doch alles in ein Gelächter zu ziehen / und seine Liebste bald wieder zu stillen.

Macarie hatte sich des andern Tags / nachdem der Junge von ihr gegangen / auch aufgemacht / und fuhr nach ihrem Lusthause / willens / dem Polyphilus ihre letzte Gesellschaft zu gönnen / und sich / mit Verweisung seiner Untreu / von seiner Liebe loß zu wircken. Aber der gütige Himmel hatte es viel bässer versehen / und wolte sie / durch diese Zusammenkunft /aller Unruhe entnehmen / auch zu beständiger Glückseeligkeit bringen. Dann als sie kaum abgestiegen /und in den Garten spazirte / sahe sie ihren Polyphilus auf sich zugehen / und ihr einen höflichen reichen Willkomm ablegen Der billige Zorn / welchen sie über seiner sch mpflichen Zuschrift fühlte / ließe ihr kaum so viel zu / ihm etwas höflich zudanken. Er aber begunte sie also anzureden: Wann ich die feste Gründe ihrer unerschätzbarn Treu / einig- und ewig-geliebte Macarie! gegen dem Verbrechen meiner unnötigen Furcht / und bißher-geführten ungerechten Zweifels / halte / so weiß ich nicht / ob ich mehr Anlaß zu einer Entschuldigung / als zur Abbitte habe? Wie ists müglich / mein liebstes Kind! daß die Tugend / wider alle Anfälle / so unbeweglich stehen kan? Oder / ist sie[607] leicht selbst / O meine außerwählte Seele! die Beständigkeit / welche alle / auch die grösten Versuchungen überwinden / und den Sieg erhalten kan? Wie seelig ist doch der unwürdige Polyphilus / nun er in der Gewißheit unverfälschter Liebe leben kan! Sie aber / schönste Macarie! die ich hinfüro billig ein Bild aller tugendlichen Schönheit nenne / indem ich die lebendige Farben um ihre Treu und Aufrichtigkeit führen muß / vergebe dem allzukühnen Beginnen ihres furchtsamen Polyphilus / und gedenke / daß er / das reine Gold ihrer hochgeschätzten Gunst / nicht anderst / als durch diesen siebenden und lezten Probir-Ofen überkommen können. Sie versichere sich auch / wann anderst das jenige hoch zu achten / was bewehrt erfunden ist / daß ich ihre ruhmwürdige Liebe / als den köstlichsten Schatz meiner Vergnügung / mit solcher Vereyrung hinwieder lieben und bedienen werde / daß sie den wenigen Unlust /den sie über einer angestrichenen Verführung eingenommen / mit viel größerer Freude und Ergötzung vernichten könne. Ich setze diese Liebes-Probe zum Pfand unsrer ewigen getreuen Liebe / daß hinfüro keine Furcht noch Zweifel unser beyder Hertz besitzen / sondern das Band / einer frölichen und vergnügten Verehelichung / den trüben Nebel alles Mißtrauens vertilgen / und hingegen die ewige / im Tod und Leben vest-versiegelte Liebe offenbaren solle.

Wie höflich aber und freundlich Polyphilus seine Rede gesetzet / so kunte er doch damit die beleidigte Macarie nicht besänftigen / sondern / bey ihren gar fremden Gebärden / diese Antwort / anhören: Was habt ihr nötig / das jenige zu entschuldigen[608] / warum ich euch / vor dieser Zeit / selbst gebetten? Ich habe vielmals euch gerahten / eine würdigere Liebste / als Macarie ist / zu erwählen / und würde ich solches /wann es zeitlicher geschehen wäre / für ein Zeichen eurer Gewogenheit erkennet haben / da ich es jezt /nach so vielen Verschwörungen / vor nichts bessers /als ein schändliches Laster / halten kan. Bleibet / Polyphilus! wie ihr euch bekennet / und haltet / was ihr geschrieben: Macarie soll dieses Vorhaben / weder verbieten / noch hintern / weil sie nun einmal fäst beschloßen / die ruhige Einsamkeit / vor die betrügliche Liebe / zu erwählen / und dißmal zum letzten eure Beywohnung dultet. Vergesset hin künftig der verächtlichen Macarie / wie ihr angefangen / und liebet die jenige / deren Gaben euer Brieflein so hoch erhebet. Der gerechte Himmel wird einem jeden nach seinen Werken lohnen. Ich aber gönne euch alle Glückseeligkeit / und nehme damit meinen Abschied. Lebet wol / Polyphilus! und geniesset so vieler Freude / als wenig ihr mir derselben hinterlasset.

Mit diesen Worten wolte sie hinweg gehen / aber Polyphilus hielte sie bey der Hand / und sagte: Sie fliehe nicht / schönste Macarie! ehe ich meine Torheit völlig abgebetten. Habe ich in dieser Liebes-Probe gesündigt / so strafe sie mein Verbrechen: aber ja nicht mit ihrer Verlassung / welche mich noch heut in den Tod legen würde. Ach Agapistus! Agapistus! welch einen bösen Raht hast du mir dißmal ertheilet /und wie töricht habe ich demselben gefolget: Ach! allerliebste Macarie! lasset doch euren billigen Zorn fallen / und versichert euch / daß ich niemals keine andre / als Macarien[609] geliebet / oder auch in Ewigkeit lieben werde. Ich zürne nicht mit euch / (versetzte Macarie) sondern suche nur / durch meine Einsamkeit / aller bißhererdulteten Widerwärtigkeit / allem Zweifel und Mißtrauen ein Ende zu machen / und uns beede zu Ruhe zu bringen. Ach der elenden Ruhe /(sprach Polyphilus) die ich / ohne Macarien genießen soll. Ach schöne Seele! gedenket sie den jenigen zu verlassen / welcher von dem Himmel selbst / und von der Göttlichen Antwort zu ihren Liebsten erwählet und erkläret ist: zumal ich auch nunmehr ihr Vatterland / ihre Eltern und Freunde gefunden / und selbige ehest vorzustellen willens bin. Erkennet / Macarie! die Vorsehung des gütigen Himmels / und streitet nicht wider dessen weiße Verordnung.

Wie? (versetzte Macarie) habt ihr meine Eltern gefunden? oder wollet ihr mich aufs neue anführen? Ach nein / mein Herz! (sagte Polyphilus) ich habe einmal unglücklich mit ihr gescherzet / und werde mich künftig gar sorgfältig davor hüten. Zweifelt sie aber an meinen Worten / so folge sie mir zu meinen Triften /woselbst ich ihr / nicht allein ihren Vatter / Mutter /Schwester / und Schwager / sondern auch den (ihren Gedanken nach / längst verfaulten) Philomathus lebendig zeigen will. Was sagt ihr (sprach die schon halb begütigte Macarie) von Philomathus: Ihr werdet ja kaum Todten auferwecken / oder den Stanb lebendig machen? Dieses vermag ich zwar nicht / (versetzte Polyphilus) aber diesen ertödt-vermeinten will ich gewiß widerbringen. So erkläret mir doch dieses etwas deutlicher / (erwiederte Macarie)[610] und nehmet über euch diese Bemühung zur Strafe eurer unnötigen Liebes-Probe. Wann ich damit meine Schuld abbüßen kan / (gab Polyphilus zur Antwort /) so soll meine barmherzige Richterin nicht nur einen gehorsamen /sondern auch einen dankbarn Vollzieher ihres Urtheils / an mir finden. Damit aber diese Erzehlung uns an Erlangung unsers Wunsches nicht hintere /wolle sie / schönes Kind! ihr gefallen lassen / mit mir zu meiner Herde zu spaziren / und auf dem Wege die Nachricht / bey den Schäfern aber die Gegenwart /von den jenigen / welche sie so lang zu sehen gewünschet / annehmen.

Soll ich dann (sagte Macarie) mit euch allein über Feld gehen? was wird man von mir gedenken? Ach liebstes Herz! (antwortete Polyphilus) fürchtet sie dann ferner eine Nachrede? Wir haben ja nicht mehr Ursach / einigen Menschen zu scheuen / und sind so weit gekommen / daß wir wol öffentlich lieben dürfen. Hiermit ergriffe er ihre Hand / sie / nachdem sie bey dem Gärtner etliche Notwendigkeiten bestellet /zu seinen Schäfern zu führen. Auf dem Weg erzehlte er ihr / wie wunderbar er ihre Eltern gefunden / und zu dem Philomathus wieder gelanget. Dieses erweckte bey Macarien eine unbeschreibliche Freude / also daß sie dem Himmel vor seine Güte / dem Polyphilus aber vor seine Hülfe herzlich dankte / und aller der Beleidigung / über die sie sich zuvor so heftig beschweret /gänzlich vergaß: welches dann Polyphilus wohl in acht nahme / und seine Liebe desto begieriger / mit Küssen und Umarmungen / sättigte / biß sie / unter solchen verliebten Bezeugungen / bey den Triften angelanget.[611]

Quelle:
Maria Katharina Stockfleth: Die Kunst- und Tugend-gezierte Macarie, 2 Bände, Band 2, Nürnberg 1673, S. 592-612.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Der grüne Kakadu. Groteske in einem Akt

Der grüne Kakadu. Groteske in einem Akt

In Paris ergötzt sich am 14. Juli 1789 ein adeliges Publikum an einer primitiven Schaupielinszenierung, die ihm suggeriert, »unter dem gefährlichsten Gesindel von Paris zu sitzen«. Als der reale Aufruhr der Revolution die Straßen von Paris erfasst, verschwimmen die Grenzen zwischen Spiel und Wirklichkeit. Für Schnitzler ungewöhnlich montiert der Autor im »grünen Kakadu« die Ebenen von Illusion und Wiklichkeit vor einer historischen Kulisse.

38 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon