Fünffter Absatz

[178] Mussard zeiget / am Morgen / seinen Gästen etliche Gemähle / (deren eines / von der langsamen / aber beständigen / Liebe redet /) und seine Kunstkammer. Ihr Gespräche / beym Früstück / von den Tyrannen; und Mussards vernünfftige Rede / von Unbeständigkeit des Hofglücks / und Gefärlichkeit der Hof-Dienste.


Polyphilus / nachdem er dieses verfasset / gienge ans Fenster / zu erkundigen / was sie vor Wetter haben würden: da er dann bald warnahm / daß der silberfarbe Winter-Regen / nicht allein der Erde ein weisses Hemd angezogen / sondern auch die gantze Lufft erfüllte / und ihre Reise[178] unbequem machen wolte. Er erschracke nicht wenig hierüber / weckte den Agapistus aus dem Schlaf / und vermeldete ihm / wie ihr Weg allbereit verschneyet sey. Selbiger / noch halb schlummerend / antwortete: So bleiben wir hier! Es könte nicht schaden / (erwiederte Polyphilus) wann wir fremden Leuten so lang auf dem Hals lägen / und wann wolten wir nach Hause kommen? Wann besser Wetter wird: versetzte Agapistus. Aber Polyphilus schüttelte den Kopff / weil ihm nach Macarien verlangte / und gedachte viel anderst. Nachdem nun auch Agapistus / und Tycheno aufgestanden / und sich angekleidet / auch dem Himmel vor den gnädigen Schutz der Nacht / neben dem Polyphilus / gedanket /verfügten sie sich sämtlich in das Wohnzimmer / und wünschten dem Edelmann / und der Jungfer / welche auch allbereit das Bette verlassen hatten / einen frölichen Morgen. Mussard bedankte sich höflich / und sagte: Er möchte wünschen / daß sie allerseits wohl geruhet hätten / fürchte aber / das harte Lager werde solches verhintert haben. Ach nein! (antwortete Polyphilus) das Lager ist so sanfft gewesen / daß wir fast zu lang geschlaffen / und einen guten Theil von unsrer Reise versäumet haben. Die Reise (versezte der Edelmann) wird heut müssen aufgeschoben werden: Der Schnee hat ihenn schon den Arest angekündet. Wir werden uns aber (versetzte Agapistus) nicht also unverschuldt arestirn lassen / sondern mit gewalt durch die Wacht brechen. Das ist gar gefährlich! (sagte Mussard) die Herrn gedulten sich nur heute; Morgen wird gewiß besser Wetter werden.[179]

Sie entschuldigten sich aber / wie sie so notwendig eilen müsten / weil sie bereit einen Diener voraus geschickt / und der Königin ihre Ankunfft wissen lassen: welche ihr dann / wann sie lang verzögen / allerhand Gedanken machen / und ein Unglück besorgen würde. Ey / so verharren sie doch (sagte Mussard) nur ein par Stunden; es scheint / als wolte es nachlassen zu wittern: alsdann will ich sie selbst begleiten. Ich hab eine kleine Verrichtung bey einem meiner Vettern abzulegen / dessen Wohnung auf diesem Weg nach Sophoxenien liget. Die kan ich dann ablegen / und sie zugleich auf die rechte Strasse führen. Sie musten Ehren halben hierein willigen / wie ungern auch Polyphilus daran kame / und sagte er: Diese Bitte wäre ein Befehl / welchem sie billig gehorchten / wofern nur ihre Gegenwart nicht mehr Unruhe erregen möchte. Es ist kein Befehl / (versetzte Mussard) sondern eine freundliche Bitte / welche ihrer angenehmen Gesellschafft noch etwas zu geniessen verlanget.

Damit befahle er Julietten / daß sie ein Früstück solte bereiten lassen: Er aber führte seine Gäste im Haus herüm / und zeigte ihnen allerhand Gemähle / so wohl von neuen als alten Künstlern verfertigt. Polyphilus betrachtete vor andern / ein Sinnbild / und zwar so lang / daß er endlich vom Mussard gefragt wurde / was ihme an dieser Tafel gefalle / die Arbeit oder die Erfindung? Ich weiß nicht / (versetzte Polyphilus) was ich aus diesem Thier / daß einer Katzen nicht ungleich sihet / machen soll. Es ist (berichtete der Edelmann) das Americanische Thierlein Ha oder Haut / welches etliche Faulheit nennen / von wegen seines sehr[180] langsamen Ganges: Dann es / einen gantzen Tag / kaum fünfzig Schritte / ja / wie andre wollen / in funfzehn Tagen keinen Steinwurff weit / fort gehen kan; es wird in gemein / als ein Bild der Faulenzer und Müssiggänger / aufgestellet.

Ich habe es (fuhr er fort) etlicher Ursachen wegen /hieher setzen lassen / unter andern auch den Lauf der Liebe vorzubilden / als welche billig langsam und mit guten Bedacht soll geführet werden / weßwegen die Alten den Liebhabern Schneckenfüsse zugeeignet: und habe ich noch keinen / in seiner Verehlichung /die Langsamkeit / gar viele aber die Ubereilung / beklagen hören / welche auch nie schädlicher ist / als in diesem Bande / das nur der Tod aufzulösen vermag. Und gleich wie dieses Thier so jämmerliche Augen hat / daß so wohl Menschen als Thiere / so bald sie deren ansichtig werden / zu Mitleiden / und Erbarmung gegen dasselbe beweget werden: also sind auch die jenige / welche in den Schranken der Liebe lauffen / so vielem Unglück unterworffen / und führen ein so elendes Leben / daß sie billig Mitleiden verdienen.

Es hat aber dieses Thierlein / in seinen zwar geringen Füßlein / solche Krafft und Stärke / daß es alle die Sachen oder Thiere / die es ergreiffet / dermassen vest hält / daß man sie nicht ledig machen kan. Hiemit lehret es / (welches auch die Uberschrifft / zwar langsam / aber veste / andeutet /) daß ein Verliebter das jenige / was er mit gutem Vorbedacht erwählet /und mit vieler Mühe erlanget / hernach desto fäster halten solle. Dann was liederlich erworben / ist gemeiniglich auch von liederlichem Wehrt / und wird wieder liederlich verlassen:[181] Was aber schwer zu erwerben / wird viel fäster gehalten / und ist auch weit höher zu schätzen.

Was hätte den Polyphilus mehr vergnügen können /als diese warhaffte Fürbildung seiner arbeitseeligen Liebe: Freylich / Allerschönste Macarie! (gedachte er bey sich) habe ich langsam eure Gunst erlanget / und noch langsamer kan ich derselben geniessen. Ach! was Unglück hat meine Liebe allbereit überstanden! und wie viel billiger verdiene ich Mitleiden / als die traurige Augen dieses langsamen Thierleins! doch tröstet mich der hohe Wehrt eurer Trefflichkeit / welcher viel grösser / als meine Arbeit / und der allerschwersten Bemühung wol würdig ist. Ich werde / nach der Lehre dieses Sinnbilds / euch zwar langsam aber vest erhalten / und aller meiner Bemühungen wieder ergötzet werden.

Inzwischen Polyphilus mit diesen Gedanken sich unterredte / belustigste sich Agapistus mit einem andern Gemähl / welches einen verguldten Zepter /Degen und Schäferstab / auf einem Tisch ligend vorzeigte / mit dieser Obschrifft: Allezeit schätzbar. Er erkannte alsbald / daß durch das Gold / die Tugend /welche in allem Unglück / wie dieses edle Metall mitten in der Glut / rein erfunden wird / müsse verstanden werden; und daß diese güldene Tugend / sowol den schlechten Hirtenstab / als den Königlichen Zepter und sieghafften Degen ziere / und / nach der Beyschrifft / Allezeit schätzbar sey. Wiederum betrachteten sie / einen geblößten Jüngling / welcher auf einem stück von einem gescheiterten Schiffe sitzend / mitten in der See (in welcher das zerbrochene Schiff /[182] mit allen Gütern zu Grund gienge) daher schwamme / und in der linken Hand ein Buch / in der rechten aber /einen Mercurius Stab hielte / mit dieser Obschrifft:


Wann alles fleucht:

Diß nicht entweicht /

Das Land erreicht.


Diß / (sagte Polyphilus) bedeutet ohne Zweifel die Kunst / welche uns / wann wir gantz entblösset / auch von Menschen und Glück verlassen scheinen / dannoch schützet: die kein Strassenrauber abnehmen /kein Schiffbruch versenken / kein Feuer verzehren /und kein Neider verletzen kan; die so lang / als wir selber / bleibet / und uns keinen Mangel leiden lässet.

Sie hätten mehr Gemälde betrachtet: aber Mussard eröffnete seine Kunst-Kammer / und zeigte ihnen daselbst allerhand seltene Schrifften / künstliche Uhren /und alte Müntzen / wie auch viel Gewehre / wie sie von unterschiedlichen Völkern gebraucht werden. Hiermit hielte er sie so lang auf / biß die Jungfer an zeigte / daß es Zeit zur Malzeit wäre. Hierüber erschracken sie / und fragten: ob es dann schon Mittag wäre? Ach nein! (antwortete Julietta) es ist nur ein schlechtes Früstück / dabey man den Mittag erwarten kan. Also folgten sie dem Edelmann / der sie die Kost zu versuchen ermahnte. Sie baten um Vergebung / so vieler gemachten Ungelegenheit / und sagte Polyphilus: Sie wären wol vor der Jungfer beschamt / daß sie zu solcher Unruhe Ursach gegeben / und wüsten sich mit nichts / als ihres Herrn Vatters Befehl zu entschuldigen. Wann ich / (versetzte der Edelmann)[183] mich eines Befehls anmassen dürffte / so wolte ich sie auf etliche Tage hier gefangen setzen: damit ich ihrer Gegenwart länger geniessen könte. Das würde / (begegnete ihm Agapistus) eine süsse Gefängnus seyn / und weit erträglicher / als die jenige / aus welcher wir kommen.

Ich erinnere mich / (sagte Mussard) daß sie gestern derselben erwehnet: und / da ich nicht vorhin gnug Unhöflichkeit / mit vielen beschwerlichen Fragen /begangen / dörffte ich bald auch wegen dieser Gefängnus üm Bericht bitten. Diese wenige Beschwerung / mein Herr! (antwortete Agapistus) wann anderst eine schuldige Willfahrung diesen Namen führen soll / ist ungleich geringer / weder die jenige Unruhe / welche unsre kühne Einkehr verursachet. Wir sind verbunden / auch hierinn zu dienen. Hierauf er zehlte er alles / was sich / mit ihrer Abreise / Gefängnus / und Erledigung / biß daher zugetragen; worüber sich Mussard sehr verwunderte / und nicht ohne Bewegung sagte: Es ist gut / daß dieser Ungerechte nicht in einem höhern Gewalt herrschet / sonst dörfften wir einen Römischen Nero / oder Moscowitischen Basilowitz / an ihm erleben. Polyphilus sagte: Er habe viel von dieses Groß-Fürsten grausamen Thaten erzehlen hören / und müsse derselbe ein unbarmhertziger Wüterich gewesen seyn?

Freylich / (versetzte Mussard) ist er der allerschrecklichsten Tyrannen einer gewesen / welche jemals den Erdboden beschweret: also daß er billig der andere Nero genennet wird. Dann auser dem Mutter-Mord / wiewol dieser auch seinen eignen Sohn erstochen / werden die Unthaten Neronis /[184] fast lauter Tugenden scheinen / gegen dieses Ertzbößwichts abscheulicher Tyranney: welche weit schrecklicher / als daß sie können geglaubet werden. Tacitus verwundert sich / warum doch die Götter den Nero / nachdem er seine Mutter und seinen Lehrmeister erwürget / dennoch eine geraume Zeit im Regiment sitzen / und allerhand Bubenstück verüben lassen? Aber / viel billiger solte man sich wundern / daß der gerechte Himmel / diesem unmenschlichen Tyrannen / so lange Zeit zugesehen / und ihm nicht ein kaltes Eisen die Brust durchbohren lassen: Wann wir nicht wüsten / daß solche ungerechte Regenten / Ruhten der Göttlichen Rache / über unsere Boßheiten wären / die er / nach verübter Strafe / wieder zerbricht / und ins Feuer wirfft. Wie dann auch diese Bestie / zwar keines gewaltsamen / doch eines verzweiffelten Todes gestorben / und von der Zeit an / daß er seinen Sohn ermordet / keine fröliche Stunde mehr gehabt / sondern die Henker und Folterer / die Spieße und Schwerter / die Stiche und Biße / eines verwirrten Gewissens / unaufhörlich empfunden: biß er endlich seinen verfluchten Geist / dem jenigen / welchem er damit im Leben gedienet / mit Furcht und Zittern wieder eingehändiget.

Er soll aber / (sagte Polyphilus) einen geschwinden Verstand / und gute Gedächtnus gehabt haben: ist also Wunder / daß er / bey solchen Gaben / in so schändliche Laster gerahten. Wie die Frommen / (begegnete ihm der Edelmann) ihren Verstand zu Vermehrung und Fortpflantzung der Tugenden anwenden / also mißbrauchen hingegen die Bösen solche edle Gaben / zu Bedeckung oder Vollziehung[185] der Laster; wie dann dieser Wüterich / seine Gedächtnus /zu Bemerkung der Gefangenen / seine Vernunfft aber / zu Erfindung allerley Marter / oder zu dem unnützen Spielen gebrauchet. Hat er hierzu Lust gehabt? fragte Agapistus. Ja freylich! (versetzte Mussard) Aber gemeinlich hat er das Spielen beschlossen / wie eine Katze mit den Mäusen. Wie er dann / auf eine Zeit / mit etlichen seiner Landherren / sehr bedächtlich und scharffsinnig gespielet: als er es aber dessen genug gehabt / allen denselben / sie hatten gleich gewonnen / oder verloren / ohne Unterscheid / Ohren /Nasen und Lippen abschneiden / und sie hernach elendiglich erwürgen lassen. Das ist erschröcklich zu hören! (sagte Polyphilus) und wer hat dann diesem Unmenschen dienen mögen / da seine Gnade so gefärlich / und er weder der grossen noch kleinen verschonet?

Ach! mein Herr (versetzte der Edelmann) nicht allein bey diesem unsinnigen Groß-fürsten / sondern auch bey klugen / und / dem Ansehen nach / gar gütigen Fürsten / sind die Hof-Dienste / so gefährlich /daß ich keinem / der sonst ein ehrliches Auskommen hat / dazu rahten wolte. Ich hab / in meiner Jugend /einem sehr frommen und freundlichen Fürsten gedienet / bin auch von demselben / über mein Verdienst /erhaben und begnadet worden. Aber nachdem ich betrachtet / daß die Sonne / welche mich begläntzte /dem Unbestand unterworffen / und der prächtige Stul / welcher mich damals truge / auf so gebrechlichen Füßen ruhete: habe ich denselben gutwillig verlassen / damit ich nicht mit ihm stürtzen möchte / die Hof-Gnade / nicht ohne Verwunderung und Mißfallen meines so gewognen[186] Prinzen / gesegnet / und / in Besitzung meiner vätterlich-ererbten Güter / meine Ruhe und Sicherheit / ob gleich bey geringerm Ansehen /gesuchet: welcher Wechsel / mich destoweniger gereuet / je mehr ich täglich erfahre / wie viel vornehme Ministern / an unterschiedlichen Höfen / unversehens von ihrer Hoheit gestürtzet / der Gnade ihrer Fürsten /welche ihnen doch so notwendig ist / als die Lufft selber / beraubet / elendiglich ersticken müssen / und als eine Leiche des Glückes / allen Vorbeygehenden zu stinken.

Ich hätte aber vermeinet / (sagte Agapistus) wann ein Hof-Bedienter seinem Prinzen redlich und vernünfftig diente / die Gerechtigkeit beförderte / und sich sonst in seinen Schranken zu halten wüste / es könte ihm sein Glück nicht so bald umgestürtzet werden. Dann es bezeuget die Erfahrung / daß die meinsten durch ihre Hoffart gefället / und ihr Unfall mehr ihren eignen Lastern / als der Unbeständigkeit des Glückes / zuzuschreiben. Ich will nicht laugnen / (begegnete ihm Mussard) das ihrer viele der Gnade der Fürsten / die sie gemeinlich / mehr durch Heucheley /als treue Dienste erlanget / boßhafftig mißbrauchen /und zu Beneidung der höhern / Unterdruckung der Untern / Bereicherung ihrer selbst / und Verderbung des Landes / anwenden: daher ihr Fall eine Bestraffung / und kein Unglück zu nennen ist. Es kan aber auch einer / der sein Glück auf lauter Tugenden gründet / auch mit Klugheit und Vorsicht bewachet / vor dem Fall nicht sicher seyn. Dann die Hof-Gunst ist viel unbeständiger / als daß sie ihr von unserm Wohlverhalten solte Fessel anlegen / und zu stäter Dienstbarkeit sich[187] verpflichten lassen: und erweiset sie ihre Freyheit / so bald in Belohnung der Schmeicheley /als der Warheit und Aufrichtigkeit. So suchet auch die Ungerechtigkeit alle Welt zu beherschen / und ist nicht vergnüget / wann sie tyrannische Fürsten regiret / sondern sie bemühet sich auch / bey gerechten und tugendhafften Prinzen / unter den Mänteln der Staats-Rähte / einzuschleichen / und ihr schädliches Gifft auszusäen. Wer nun obligender Pflicht wegen /dieses Land-verderbliche Thier anschreyet / und auszujagen suchet / wird von dessen gifftigen Zähnen /dem Neid / Verleumdung / und allerhand Nachstellungen / an Ehre und Glück verletzet werden: Dann es geschihet nicht selten / daß ein frommer und gütiger Herr / durch die Ohrenbläser / zu tyrannischen Thaten gegen Unschuldige verleitet wird.

Ich gebe gern zu / (sagte Polyphilus /) daß die Großen bey Hof vieler Gefahr unterworffen sind / und auf eitel scharffen Spitzen gehen / die sie leicht verwunden können: angesehen der Neid dem Glük auf dem Fuß nachzufolgen pfleget / und die allerlöblichste Thaten mit seinem Geiffer zu beschmitzen suchet. Demnach thut der / so zu Hof leben muß / am sichersten / wann er sich den hohen Klippen / welche von allen Winden angefochten werden / entziehet / im mittelmässigen Glück ruhet / und sein Ehrenbild auf den festen Stein eines guten Verdienstes setzet: damit es nicht so leichtlich beweget / und von allerhand Zufällen umgerissen werden möge. Wer sich (gabe Mussard zur Antwort /) einmal auf das unruhige Meer der Hof-Dienste gewaget / und die Segel seines Glücks /nach dem[188] Winde Fürstlicher Gnade ausspannet / muß nachmals dem begehrten Wind folgen / wohin er von demselben geleitet wird / und stehet alsdann sein Steigen oder Ruhen / nicht mehr in seiner / sondern in seines Printzen Gewalt: der / gleich einem Münzer /Macht hat / einen schlechten Groschen oder schönen Schau-Pfennig aus ihme zu schlagen. Wie ein Hammer / ein elendes Werckzeug ist / und von der Hand /die ihn führet / bald erhaben / bald wieder gesenket wird: also wird auch mancher Hof-Bedienter / durch eben die Gnade / welche ihn unbegehrt erhöhet / ohne Schuld offt wieder gestürtzet.

Mein Herr wird etwan einwenden / man solte sich solcher gefährlicher Erhöhung selbst äusern / und die angebottene Ehre von sich ableinen. Aber / wer ist von der selbstliebe so gar befreyet / daß er die Gelegenheit / wann sie dergestalt sich ihme bey den Haaren zeiget / nicht ergreiffe? in Betrachtung / daß sie im Nacken kahl / und die Potentaten eben so leicht über die Verachtung ihrer Gnade / als über der ungestümmen Forderung / erzürnet werden. Wer besteiget nicht das Roß / welches ihme von dem Glück selber vorgeritten wird? Es ist ja viel ergetzlicher / befehlen / als gehorchen; viel rühmlicher / herschen / als beherschet werden; und viel herrlicher / Gnade ausgeben / als üm Gnade bitten. So wird auch die Gefährlichkeit der hohen Berge / gemeinlich erst nach dem Fall / und im Thal des Unglücks / erkennet. Oder / da gleich ein gar vernünfftiger die beständige Unbeständigkeit des Glückes / auch mitten im Glücke / betrachtet / hat er doch keine Gelegenheit / sich aus demselben zu wickeln / und kan[189] von dem Gipffel der Hoheit zu kommen / keine Bahn / ohne durch das gestürtzte Glück / finden.

Der vortreffliche Seneca / hätte dem Käyserlichen Hof gern gute Nacht gegeben / und war bereit / nicht allein seine Ehren-Aemter und Ansehen / sondern auch sein grosses Gut / und Vermögen / dem Käiser einzuhändigen: aber er kunte es nicht erhalten / und wurde von dem tollen Nero gezwungen / zu sterben; zwar mit der Gnade / daß er ihm selbst die Art des Todes erwählen mochte. Und ob gleich nicht alle Fürsten so tyrannisch / wie dieser / so wohnt ihnen doch mehrernteils hoher Muth und hitzige Begierde bey: welche billig ein jeder / wie ein brennendes Feuer /fürchtet. Wann ich einen erwachsenen Sohn hätte /wolte ich ihm lieber rahten / sein Glück im Krieg / als an grosser Herren Höfen zu suchen. Dann ob gleich auch dieser voll Gefahr ist / so kan man sich doch leichter gegen einem öffentlichen / als heimlichen Feind verteidigen: und sind die entblöste Klingen und gezuckte Pistoln bey weitem nicht so gefärlich / als die tieffe Reverenzen und höfliche Complimenten. Wiewol heut zu Tag / die balsamirte Dienste mehr /als die blutige / belohnet werden. Würde er dann gezwungen / an Höfen zu leben / und zu einigem Ansehen erhaben: so möchte er seinen endlichen Fall vor gantz gewiß halten / und denselben mit einem freyen und beherzten Gemüt erwarten / und seine Sicherheit mehr dem geneigten Glück / als seiner Klugheit und Vorsichtigkeit / zuschreiben; auch viel mehr bemühet seyn / die Gnade des Himmels / weder seines Fürsten / und den Ruhm eines unverletzten Gewissens /als der eitlen Ehre und Herrlichkeit zu erhalten.[190]

Mein Herr hat (sagte hierauf Polyphilus) die gefärliche Hof-Dienste vernünfftig und warhaftig beschrieben. Ich werde auch seine tugend-gegründete Warnungen fleissig in acht nehmen / und mich nimmermehr nach Hof-Stellen gelusten lassen. Wir müssen aber die gemachte Unruhe beschließen / und / weil sich der Himmel wieder hell machet / unsere Reise fördern. Hiermit wolte er aufstehen; aber Mussard bate sie / noch eine kleine Weile zu verziehen / und sagte: Er könne nicht sehen / daß er seinem Raht nachzukommen gedenke / weil er so sehr wieder nach dem Hof eile. Ach nein! (versetzte Polyphilus) Sophoxenien ist nicht so wohl ein Hof / als eine Tugend-Schul zu nennen. So bleiben sie dann nur / (sagte der Edelman) biß ich mich / sie zu begleiten / färtig mache. Ich habe albereit den Schlitten zu bespannen /angeordnet: und weil es sich mit meiner Liebsten bässert / will ich ihnen / mit meiner Tochter / eine weile Gesellschafft leisten. Womit werden wir aber (sagte Agapistus) diese Ehre erwiedern? Mein Herr bemühet sich gar zu viel. Gantz nicht / mein Herr! (antwortete Mussard) ich habe vielmehr meine Zeit / die ich sonsten in der Einsamkeit verschließe / mit ihrer Gesellschafft gar nützlich zugebracht / und bin an Wissenschafft viel reicher worden. Wir haben solches mit mehrerm Recht zu rühmen / (erwiederte Polyphilus) im übrigen aber zu danken / daß mein Herr unsern Erzehlungen so geneigtes Gehör gönnen wollen.[191]

Quelle:
Maria Katharina Stockfleth: Die Kunst- und Tugend-gezierte Macarie, 2 Bände, Band 2, Nürnberg 1673, S. 178-192.
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