Anderer Absatz

[328] Beschreibet die Zeit-Verbringung / der biß daher bekümmerten Macarien / und wie Polyphilus bey derselben ärgerlich verleumdet worden: Lehret den ersten [328] Anstoß / welcher die Tugend-Verliebte zu bestreiten pflegt / nemlich / Verleumdung.


Diese schwebete zwischen Furcht und Hoffnung / und kämpffete immer fort mit der bestreitenden Liebe /weil sie das angenehme Joch der Einsamkeit / so sie gar vor ein Kleinod der Freyheit halten dorffte / mit der Liebes-Tyranney nicht verwechseln wolte. Bald gedachte sie an die spielende Augen Polyphili / bald an das seufftzende Hertz / und wieder bald an die zwingende Freundlichkeit / so sie in die Bestrickung geführet. Wann sie seine höfliche Bezeugungen bey sich überlegte / gedachte sie alsobald / er ist würdig /daß er geliebt werde. Erinnerte sich denn das schöne Hertz seiner heimlichen Pein / und wie viel er um sie erlitten / wurde sie in ihr selbst überzeuget / daß er ihre Liebe aus Schuldigkeit fordere: doch hielt mehrmaln das Gelübd der Einsamkeit ihren Willen starck zuruck / und die Forcht / so alle Liebe mit sich ziehet / verursachte ingleichen keine geringe Enthaltung. Jetzt betrachtete sie die Eigenschafft der Liebe / was sie aber darinnen fand / das verstärckete die Einsamkeit. Jetzt die Unbeständigkeit derselben / die auf einem zerbrechlichen Grund bestehe / und falle / wenn man sie am beständigsten achtet. Jetzt die Grausamkeit derselben / die zwar anfänglich süß locke / aber nachmals mit Bitterkeit speise. Und wann sie sahe /daß eitel Betrug / Pein / Widerwertigkeit / Elend /Verachtung / in der Liebe sey / hätten tausend Seufftzer Polyphili nicht so viel vermocht / daß sie die Einsamkeit gesegnet. Bald fielen ihr die Gedancken[329] bey /daß die Liebe / wegen der Wollust / lasterhafft; wegen des Neids / verhässig; wegen der Forcht / schmertzhafft; wegen der Lust / verführisch / und wegen der anklebenden Widerwertigkeit schädlich sey / welches Dencken auch sie widerwärtig machte. Bald hielt sie das freye Leben in der Einsamkeit entgegen der Dienstbarkeit / in der Liebe / und erwählte ihr den köstlichen Schatz der Freyheit. Ach! sprach sie bey sich selbst / in was Vergnüglichkeit leb ich doch: solt ich nun dem Verlangen dienen? mit nichten. In was Zufriedenheit bin ich versetzt: solt ich nun Unruh suchen? mit nichten. Wie wol ist meinem Hertzen / in ungebundener Freyheit: soll ich mich muthwillig unter ein Joch begeben? In Ewigkeit nicht. Weiß ich doch /daß die Liebe sey eine Dienstbarkeit; weiß ich doch /daß die Liebe sey eine Unruh / und nichts als Schmertzen nach sich ziehe: Warum soll ich mich selbsten verderben: Wer liebet / muß Leid vor Freude / Pein vor Erquickung / Hoffnung vor Trost / erwählen. Eine Freud wird dem Liebenden mit tausend Schmertzen versaltzen / eine Erquickung mit noch so viel Schrecken verbittert / ein Trost mit hundertfältiger Verzweifflung vernichtet. Warum solt ich mich dann so versehen? Noch mehr wurden diese Gedancken vermehret / wann sie die Person Polyphili gegen die ihre rechnete. Seine flüchtige Jugend erweckete in ihr Zweiffel an allem. Seine Reden wolten blosse Höflichkeit heissen / seine Geberden dorffte sie eine angeborne Freundlichkeit nennen / seine Seufftzer einen nichtigen Schertz grüssen / und all sein Thun ohne Nachdruck urtheilen. Gleichwol / wann sie hinwieder an die Träume / an die Schrifft / an die wunderbare[330] / und / so zu reden / selbst von Gott versehene Zusammenkunfft sich erinnerte / mochte sie sich der Liebes-Gedancken nicht gar entschlagen. Da mahleten ihr die zarten Sinne das Bild Polyphili vor die Augen; da stelleten ihr die verwirrete Gedancken die Wort Polyphili vor das Gedächtnus; da rieff das gefangene Hertz die lieb-winckende Augen Polyphili wieder zu sich / daß sie bey sich gedachte: ich muß dich doch lieben / allerschönster Polyphile! Ach! warum hab ich dich gesehen? bist du dann / mich durch deine Freundlichkeit zu fangen / daher kommen? Was werdet ihr / ihr unsterbliche Götter! über mich beschliessen / wann ich euch mein Gelübd nicht bezahle? was werden meine Bekandte sagen / wann sie vernehmen /daß Macarie verliebt ist? wie ists müglich / daß ich in einem Augenblick so verkehrt worden? Ach! edler Polyphile! sind eure Strick so starck / daß sie mich auch in Abwesenheit halten / so muß ich freylich erfahren /daß die Liebe an keinen Ort gebunden / und die Hertzen der Verliebten / mit dem Leib / nicht gleiche Wege gehen. In diesen und dergleichen Gedancken verbrachte die mehr bekümmerte / als verliebte Macarie / die Zeit ihrer Einsamkeit / und begleitete mit solcher Liebes-Klage den gleich lieb-verwundeten Polyphilum / entweder ihre Schmertzen zu verbinden /oder durch die verliebte Gedancken-Post dem schmertzgebährenden Hertzen Polyphili einen vermeinten Trost in seiner einsamen Betrübnus / durch solche Erinnerungs-Seufftzer / zu übersenden.

Wann sie nun in solchen Gedancken / als in der leid-brennenden Liebes-Flammen / so gar entzündet war / daß das Hertz nicht Wort gnug bilden konte /[331] damit sie ihre widerwillige / und aber auch unvermeidliche Liebes-Neigung beklage oder bewähre /nahm sie die Kunst-klingende Lauten / als eine gewaltige Trösterin verliebter Sinnen / in ihre gelehrte Hände / und spielte darauf / so lieblich / als künstlich. Und wann sie mit solcher unhezüngten Sängerin / in der einsamen Ruhe / gleichsam Gespräch hielt / und der Freude ihres Trostes / nicht ohne Erwählung des Gegensatzes / zuhörte / wiederholte sie zum öfftern /die lieb-zeigende Antwort / mit nachgesetzten Sing-Reimen / die sie mit erhellender Stimm / auf solche Art / abzusingen pflegte:


Soll ich dennoch meinen Sinn

lencken hin

in die bitter-süsse Freud:

Können so geschwinde wancken

die Gedancken /

von der frommen Einsamkeit?


2. Ach! das strenge Liebes-Joch

stellet noch

stetig meinen Augen für /

Was ich vor Gefahr und Plagen /

hab ertragen /

als ich vor gedienet ihr.


3. Besser ist es einsam seyn /

als dem Schein

die Vergnügung setzen nach:

Und sich unter solche zehlen /

die erwählen

kleine Lust und grosse Klag.


4. Aber wenn gleich mein Gemüth

dieses sieht /

sind ich dennoch keine Macht /[332]

der Gewalt zu wiederstreben /

und zu geben

aller Liebe gute Nacht.


5. Ob ich mich schon tausendmal

aus der Zahl

der Verliebten schliessen will:

nimmt doch / Liebster! dein Verlangen /

mich gefangen

und verrucket solches Ziel.


6. Deine Fessel stärcker sind?

liebes Kind!

als Verstand und guter Rath:

ich muß das bestraffte Lieben

dennoch üben /

alles Wehren ist zu spat.


Wann sie nun mit dergleichen Klag-Worten / in der hefftigsten Brunst sich befand / vermochte doch ein eimger Gedancke / der die Widerwertigkeit der Liebe erzehlte / oder / von der beförchtenden Unbeständigkeit Polyphili / einen Einwurff that / so viel Zweiffel zu erwecken / daß sie von neuem alle Liebs-Bewe gung / als eine Bezauberung der Sinne / aus ihrem Hertzen verbannete. Sie dorffte wohl sagen / daß sie lieber sterben wolle / als eine solche Kranckheit erwählen / welche den gesunden Verstand raube. Sie dorffte wol fragen / wer sie zwingen werde / aus der Sicherheit sich muthwillig in Gefahr zu stürtzen / und ihr Vertrauen auf die blinde Liebes-Neigung zu setzen? Und wann sie an Polyphilum und seine Schmertzen gedachte / fiel ihr dabey ein / daß eben solche Beunruhigung gemeiniglich bey der blinden Jugend sich finde / die aber mit der Zeit / und reiffem Nach dencken leichtlich gestillet / und beherrschet[333] werden könne / wann man sonderlich sich mit andern nutzlichern Sachen beschäfftige / und seinen freyen Willen der richtigen Vernunfft zu gehorsam stelle. Dann /sprach sie in ihrem Hertzen / was ists / das Polyphilus liebet? und durch was befindet er sich so hoch betrübet? Was ists / das auch ich liebe? und woher rühren die durchdringende Schmertzen meiner Seelen? Antworte ich aus Polyphili Mund / so ifts die Tugend /die er in mir zu lieben zeuget: aber solte diese Schmertzen erregen? Ist nicht glaublich. Tugend kan auch geliebet werden ohne mich. Soll ich durch mein eigen Zeugnus reden? Liebe ich an Polyphilo eben das: aber was schmertzet mich dann? O ich thörichte! wie hab ich mich so grob versehen? viel Jahr hab ich nach Tugend gesirebet; aber in einem Augenblick allen Gewinn verlohren. Lange Zeit hab ich Verstand gesuchet: aber in einer Stunde bin ich dessen allen beraubet: und auch du / Polyphile! findest das Böse / in dem du Gutes suchest / erwählest Laster vor Tugend /Thorheit vor Weißheit / und bekennest dich selbst nicht dein mächtig. O Liebe! wer wird dich nach Beschaffenheit beschreiben? Polyphilus liebet Tugend /und erwählet die Laster: Macarie liebet Verstand /und erwählet Thorheit. Was sag ich? Ach! was soll ich sagen? nicht Tugend / nicht Verstand: sondern beyde lieben sie einen reinen Staub / und eine saubere Asche / in ein zartes Häutlein gewickelt / welches doch inwendig / nicht ohne Abschen / zu sehen / wie herrlich es auch aussenher scheine. Schönheit lieben sie / das ist / eine eingebildete Betrüglichkeit / und eine betrügliche Vergänglichkeit / und eine vergängliche Nichtigkeit.[334] Nun erst erkenne ich deine Gewalt /O Liebe! O Liebe! nun erst erkenne ich deine Gewalt.

In diesen Gedancken konte sich die schmertzhaffte Macarie wie lange aufhalten / so gar / daß sie offt eine innerliche Süssigkeit bey ihr empfand / dadurch sie gleichsam Polyphilus / als gegenwärtig / umfassete /und aufs lieblichste hertzete: so war auch Polyphilo offt zu Sinne / wann er sonderlich an seine Macarien gedachte. Es ward aber gemeiniglich diese Süssigkeit / nach der Empfindung / zum Wermuth / in dem sie / mit tieffern Nachsinnen / ihr Beginnen bereuete; sonderlich / wann sie an die verfälschte Welt-Art gedachte / und wie es so gefährlich sey / einen Freund mit Liebe zu erwählen / da man offtermals mehr Feindschafft erwerbe / und Anlaß zu vielen Lastern überkomme; welches sie dann offtermals in solche kümmerliche Gedancken setzete / daß sie Zeit und Weil zu kürtzen / auch ihr von der Liebe befreyetes Leben zu bezeugen / vielleicht auch ihr Hertz / aus solche Art / in dem Vorsatz der Einsamkeit zu verwahren / etzliche schöne Gedicht verfertigte / von denen wir eins hieher setzen wollen / folgendes Innhalts:


Wiewol ich offt und viel mich pflege zu bedencken /

was doch das beste sey? Ob ich mich solle lencken /

als wie die meisten thun / zu dieser Erden-Freud?

so geht doch allemal der Schluß zur Einsamkeit.

Dann was gedencken wir doch in der Welt zu finden /

die voller Müh und Angst / die voller Schand und Sünden /

und gantz verderbet ist? was suchen wir da Ruh /

wo nichts als Unruh ist? wir lauffen diesen zu /

Die voller Lust und Freud auf breitem Wege rennen /

zur Höllen-Pforten hin / und nimmermehr er kennen

die schmale Tugend-Bahn; viel besser ists / allein

auf djesem engen Weg in Himmel gehen ein /[335]

als in Gesellschafft stehn der Laster-vollen Hertzen /

die zum verdienten Lohn habn den verdammten Schmertzen;

Bedencke doch mit mir / wer Kunst und Tugend liebt /

was diese schnöde Welt vor kalte Freude gibt;

und was man doch in ihr soll für Gesellschafft suchen?

Die meinsten höret man / an statt des Betens / fluchen /

da muß die Heucheley an statt der Tugend seyn /

und ist die Gottesfurcht offt nur ein falscher Schein.

Da muß man Haß und Neid / an statt der Liebe / schauen /

und wie sich niemand Gott will / ohne Geld / vertrauen /

so lang das Glücke lacht / hat jederman viel Freund /

im Fall es aber wanckt: so sind sie lauter Feind.

Und da man einen vor pflegt tief-gebuckt zu grüssen /

will man hernach von ihm nichts hören oder wissen.

Geht man mit Alten um / so wünschen sie allein /

daß sie um etzlich Jahr noch möchten jünger seyn /

nicht etwa Guts zu thun: nein / sondern reich zu werden.

Garwenig sehnen sich mit Seufftzen nach der Erden /

und fragen nach dem Tod: der doch ist nimmer weit.

Fährt man den Jungen zu / so find man Eitelkeit.

Der suchet seinen Ruhm in prächtigen Bekleiden /

und jener wirbt um Ehr durch Streit und anders Leiden /

es hoffet dieser / groß zu werden durch die Kunst /

ein andrer setzt das Glück auf seiner Liebsten Gunst.

Viel macht das spiel en reich / ein Theil ergötzt das Trinkt /

und keiner glaubt / daß bald der Tod ihm könne wincken

vor Gottes Richter-Stul. Will man bey Hohen seyn /

so höret man sie nur von ihrem Adel-Schein;

von ihrer Ahnen Zahl / und dem Geschlechte sagen;

deßwegen sie nach Gott und Himmel wenig fragen.

Geringe klagen auch / sie werden nichts geacht;

und dennoch sind sie nicht auf Tugend Kunst bedacht /

die alles übertrifft. Gesellt man sich zu Reichen /

so meynen sie so bald / ein jeder müsse weichen

vor ihrem schnöden Geld: es ist der theure Koht

bey ihnen mehr geacht / als aller Dinge Gott.

Die Armen höret man stets über Mangel schreyen /

doch pflegen wenig sich auf Tugend-Glück zu freuen /

wo lauter Uberfluß. Der Krancke sucht allein

Gesundbeit seinem Leib / und wieder starck zu seyn.[336]

Vom Tod und Grabe will nicht gern ein jeder hören;

Gesunde lassen sich von Wollust gantz bethören.

Wer solte / frag ich dann erwählen solche Freud /

die in Gesellschafft ist? Und nicht der Einsamkeit

ergeben Hertz und Sinn? Ich laß ein jeden wählen /

was ihm belieben mag; doch hoff ich nicht zu fehlen /

wann ich Gefallen trag an Einsamkeit und Ruh:

Darum ich sicher bin / und andern sehe zu /

die Tag und Nacht bemüht sind in den schnöden Sachen;

ich lern / an dessen statt / die Eitelkeit verlachen /

und gleich gesinnt zu seyn / in Glück- und Unglücks-stand /

zu bleiben in Gedult / wann uns der Götter Hand

schickt Leid und Kummer zu; ich lerne stets vernichten /

Geld / Ehr und Lust der Welt / und meinen Sinn zu richten

hinauf und über uns / wo wohnet unser Gott;

ich halte stetig mich bereitet / wann der Tod

wird bey mir klopffen an / ihn freudig zu empfangen /

und gern zu folgen nach; dann da werd ich gelangen /

zur hochbeglückten Schaar / wo tausend Lust und Freud

in Ewigkeit wird seyn: Hier bleibt die Eitelkeit.


Wie es nun gemeiniglich zu geschehen pflegt / daß wir dessen am wenigsten geniessen / was wir sehr verlangen: Gleich so gieng es der schönen Macarien /daß sie je länger je mehr in die Liebe versencket wurde: biß bald hernach das Unglück / Polyphili Freud zu verstören / wiederum zu wüten anfieng. Denn da das vielzüngige Gerücht / die Ersäuffung Polyphili / in die benachbarte Ort getragen / und unterschiedliche Bedencken von den Ursachen erwecket /haben deren nicht wenig / weiß nicht durch was Verständnus / den Tod Polyphili seiner allerliebsten Macarien zugeschrieben. Dessen dann nicht lang hernach das gantze Land voll worden / und das offenbahre Geschrey aller Orten erschollen / Macarie sey Ursach an dem Tod Polyphili. Das war die erste Abwendung. Diesem folgte ein anders / das noch[337] viel mächtiger war. Dann weil Polyphilus denen Einwohnern der Insul / durch die vermeinte Schuld an dem Tod Philomatbi verhasset war / und sonderlich denen / die des ertödeten Vertrauteste waren / namen sie aller Orten Gelegenheit / die Ehre Polyphili zuschänden / und seine Unschuld zu beschulden.

Nun begab sichs / daß einer aus denselben / Namens Pseudologus / in unvermutheter Begebenheit /mit Macarien Gesprach hielt / und unter andern von Polyphilo / dem Mörder Philomathi / solche Wort führete / die dem aufrichtigen Hertzen / der getreuen Macarien / nicht wenig Schrecken verursacheten. Denn die beste Tugend / so an Polyphilo zu rühmen /wäre Falschheit: sagte der falsche Pseudologus; und das köstlichste Werck / so ihn berühmt mache / sey Betrug. Und solches wuste er durch die verzweiffelte Ersäuffung so meisterlich zu erweisen / daß Macarie /auch wider ihren Willen / seinen Worten Glauben geben muste.

Was nun Macarie muß gedacht haben / kan ein jeder leicht schliessen. Weg mit Polyphilo; das war der erste Wunsch: Alle Liebe wurde aus ihrem Hertzen vertrieben / und der Haß wider Polyphilum wurtzelte so tieff / daß sie seiner gantz vergaß / und nichts mehr wünschete / als daß sie ihn nimmer sehe. So viel brachte der verlogene Pseudologus zu wegen. Wann sie aber die Manigfaltigkeit des umschweiffenden Geschwätzes betrachtete / hätte sie gar wünschen mögen / daß sie Polyphilum nie gesehen. Weil sie nicht wenig bekümmerte / daß sie ohne Ursach und Verdienst / solche Wort hören / und von ihr solte reden lassen. Alles halff darzu / daß die Liebe in Macarien vertrocknete. Wiewol sie hernach[338] bekennen müssen / daß die Zeit / da sie Polyphili vergessen wollen / an statt der Liebe / eine solche Furcht ihr Hertz beherrschet / die sie selbst nicht erdencken können / wem sie zu gleichen. Da wir aber das Urtheil fällen solten / würde der Schluß / auf eine verborgene Liebe hinaus gehen.

Die übrige Zeit verbrachte Macarie / in ihrer erwählten Einsamkeit / mit Seufftzen und Beten. Forschete auch / nach Gelegenheit der Zeit / in den Wundern der Unsterblichen / und wie diese Welt / von dem allwaltenden Himmel / so weißlich regiert werde: überlegte dagegen die Boßheit der Menschen / bey sich / darzu dann Polyphili Beruff nicht wenig Beförderung gab: preisete sich auch seelig / daß sie von der grossen Gefahr / darein sie sich bald gestürtzet / so zeitig erlöset worden / und nahm ihr für / nunmehr sich / durch keine Verführung / von ihrem Vorsatz /abwenden zu lassen / sondern alle Lust nach Müglichkeit zu meiden / weil sie ohne das erkenne / daß alles ein falsches Wesen und vergängliches Werck sey / und die Betrübnus auf dem Fuß nach sich ziehe. Auch verstärckete diesen Vorsatz nicht wenig die Betrachtung der Eitelkeit / beneben welcher / aus folgendem schönen Gedicht / (das sie / gleich dem Vorgehenden / selbsten verfertiget /) wird zu erkennen seyn / wie weit sie ihre Gedancken von aller Liebes-Lust entwehnet / und auf Tugend ihre Begierde gegründet. So aber hat sie geschrieben:


Wir Sterbliche lassen uns leichtlich betrügen

des schmeichlenden Gückes holdselige Blicke:

Und sehen nicht dessen betrügliche Tücke /

biß daß wir mit Schmertzen darunter erliegen /[339]

und endlich erkennen / daß alle die Freude /

auf die wir gehoffet / nur Kummer und Leide /

verdrüßliche Reu

und Hertzenleid sey.

Zwar pfleget sich alles vergänglich zu zeigen:

bald zieren die Blumen die grünende Matten /

es geben die Bäume beliebigen Schatten:

Doch alles der traurige Winter kan neigen /

der machet die Berge / die Bäume begrauen /

beraubet und blöset die Hügel und Auen.

und giebet vor Klee /

nur Kälte und Schnee.

Bißweilen beginnet der Himmel zu lachen /

und frölich die güldene Sonne zu zeigen /

doch eilig muß selbige wieder sich neigen /

man höret die Wolcken vom Donner erkrachen /

die leuchtende Blitze / die rollende Winde /

der glatschende Regen verjaget geschwinde /

die Hirten im Feld /

und schröcken die Welt.

Das Meer ist zu Zeiten gantz ruhig und eben;

die schuppichte Fische sich spielend erweisen;

die fichtenen Häuser gantz sicher bald reissen:

bald pflegen sich brausend die Wellen zu heben /

es stürmen die Winde noch selbige Stunde /

und stürtzen die wanckende Segel zu Grunde;

So lohnet mit Weh

die grimmige See.

Dieweil wir dann nirgend Beständigkeit finden;

so wähl ich die Tugend die nimmer erlieget /

und lache des Glückes; dann der sich betrüget /

der meynet demselben die Flügel zu binden;[340]

Es führet gleich einem umlauffenden Rade /

bald unten im Schrecken / bald oben in Gnade:

hier alles vergeht /

die Tugend besteht.


Quelle:
Maria Katharina Stockfleth: Die Kunst- und Tugend-gezierte Macarie, 2 Bände, Band 1, Nürnberg 1669, S. 328-341.
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