Dritter Absatz

[18] Beschreibet die Zeit-Kürtzung und das Gespräch der beyden / welches ist von der Ruhe der Einsamkeit: Lehret / neben der / wie wir / aus vortrefflicher Leute Reden / unser Weißheit schöpffen müssen.


Mit diesen Worten muste sich der betrübte Polyphilus vor dieses mal trösten. Gleichwol aber / damit er solche gefasste Traurigkeit in etwas wenden möchte /fieng er zum Philomato ferner an / von der Einsamkeit zu reden / und ihn zu überweisen / wie er ihm selber so unrecht gethan / in dem er auch sich diesen Ketten gebunden ergeben / die / wie sie männiglich schädlich / also sonderlich ihm nicht zuträglich seyn würden. So sprach aber Polyphilus: Es wundert mich fast sehr / daß das Geschlecht der Menschen einige Einsamkeit zulässet / wie der Schöpffer selbst / dem Geschöpff / alsbald im Anfang / solche nicht gut oder nutzlich zu seyn bekräfftiget. So sehe ich aus den Ursachen / welche sonsten sonderlich diß Gefängnus verlangen / einen solchen Beweiß / der vielmehr wider sich selbsten streiten wird. Der Stiffter solcher Einsamkeit / ist in Warheit nichts anders / als die Betrübnüs. Diese hat freylich die Art / daß sie gern allein ist / damit sie ihren kümmerlichen Gedancken / freyen Paß lassen könne: Aber was folget endlich? Eine Melancholische Verzweifflung[18] / welche das erschrockene Hertz / mit solchen Wellen ersäuffet / daß es nimmer kan errettet werden. Auch hat der verführende Höll-Gott keine listigere Tück / als daß er geängstigten Hertzen die Gesellschafft verhasset / die Einsamkeit aber beliebt mache / damit er ihnen mit seinen feurigen Versuchungs-Pfeiln desto besser könne beykommen: Wann der Schmertz das Hertz drenge / daß es ihm selber nicht helffen könne / auch sonst niemand vorhanden / der es mit Trost erquicke / oder der Angst befreye. Bleibt also das der erste Schluß / daß die Einsamkeit sey ein Fecht-Platz der höllischen Geister / da wir genug wider ihre Macht und List zu kämpffen haben.

Deme setz ich hinzu / daß sie gerad wider die Ordnung der Unsterblichen lauffe / welche die Gesellschafft der Menschen gestifftet / damit einer dem andern dienen und behülfflich seyn könne. Ja: sie laufft schnur-gerad wider die Natur selber / welche mehr nach Gesellschafft und Lust: als Leid und Einsamkeit strebet. Daher die Weltweisen den Menschen ein solches Thier nennen / das sich gern zu dem andern geselle. Und das diß alles übertrifft / habt ihr euch einer solchen Tugend ergeben / die wider alle Tugend streitet / und die schuldige Lieb des Nächsten ausleschet. Wie könnt ihr lieben / dem ihr nicht dienet? Wie könnt ihr dienen / von dem ihr ferne seyt? Sehet an die Wittwen und Wäisen / so lang sie einsam sind /wer ist / der ihnen aufhilfft? Und bleibt ihr in der Einsamkeit / wer besuchet Wittwen und Wäisen? Welches doch der nöthigste und schuldigste Dienst ist. Wolt ihr mehr hören? saget mir die Ursach: Warum euch der Himmel / vor[19] andern Thieren eine redende Zung gegeben? Saget mir / warum euch die Natur /gleich andern Menschen / Affecten und Bewegnussen gegeben? Sollt dann GOtt und die Natur etwas vergebens thun: Ist nicht glaublich. Sehet an die Thiere in den Wäldern / die sich lieben: Sehet an die Vögel unter dem Himmel / da sie in grosser Meng fliegen: Sehet an die Fisch in den Wassern / da sie bey paaren gehen: Hat die Natur diesen unvernünfftigen Thierlein eine solche Begierde eingepflautzet / daß sie die Einsamkeit fliehen: Warum nicht viel mehr den Menschen / welcher das edelste unter allen Geschöpffen ist: Erkennet auch noch zum Uberfluß / was euch die leb-lose Creaturen erinnern: Es rinnen die Wasser zusammen in einen Fluß Die Gewächse der Erden stehen unter einander: Die dicke Wälder rauschen wegen der Gesellschafft der Bäume: Die Lufft hänget dick aneinander: Und an dem Firmament selbsten wincket ein Stern dem andern. Alles / was einen Bestand haben soll / das bemühet sich um einen Gesellen: Hingegen kan nicht bestehen / wer allein stehet. Nehmet ein Exempel an einem Baum / der im Felde vom Wind ausgerissen wird / weil er keinen Schutz hat. Kan auch ein grosses Haus / das aller Drten frey stehet / vor dem Gewalt der Anstösse sicher seyn? Was gibt der Mond vor ein Liecht / wann er ohne der Sonnen ist? Mangel und Noht ist überall. Artig hats David treffen / wann ich aus dem Buch der Offenbahrung etwas anführen darff / welcher sich / da er aus seinem Vatterland in der Einsamkeit herum ziehen muste dem Rohrdommel in der Wüsten verglichen /und einem Käutzlein in den verstohrten Städten. Was ist ein[20] einsamer Mensch anders / als ein Rohr / daß der Unglücks-Wind hin und her wehet: Oder / so er noch etwas mehr ist / ein Anstoß aller deren / die ihn beleidigen / und ihr Spiel mit ihm treiben wollen. Woher mag er sich einiges Schutzes versichern? Er ist allein: Woher mag er einigen Trost nehmen? Er ist allein: Woher mag er auf eine Errettung hoffen? Er ist allein:


Wer Einsamkeit erwählet /

Mit keinem sich vermählet /

Wird überall gequälet.


Gar zu kräfftig wolte Polyphilus seine Sache behaupten / deßwegen ihm zwar Philomathus eine Zeitlang /aber mit grossem Widerwillen zuhörete: Und weil er fürchtete / Polyphilus möchte seiner Gedult mißbrauchen / konte er ihm nicht mehr Freyheit / die Einsamkeit zu verringern / gestatten / sondern fiel ihm / mit diesen Worten / in die Rede:

Verzeihet mir / Polyphile! daß ich eure Red abreissen / und eurer freygelassenen Zungen einen Zaum anlegen muß. Wie dörfft ihr die Frucht-bringende Einsamkeit in meiner Gegenwart so vergeblich / und wider ihre Verdienst schänden? Was für nichtige und untüchtige Gründe führet ihr an / welche in Ewigkeit das nicht erweisen werden / was ihr zu behaupten gedencket. Werde ich euch nicht in allem sattsam widerleget / und alle euren Beweiß kräfftig umgestossen haben / wann ich allem dem / was ihr nach der Länge erzehlet / einig die Laster-führende Boßheit / der jetzt verderbten Welt entgegen setzen werde? Saget mir /trägt die Welt etwas anders bey ihren Rosen / dann Disteln: Ist was mehr an ihren Bäumen / als Rinden: Was beschleust[21] sie sonst in ihren Fässern / als Hefen: Was samlet sie in ihre Scheuren mehr / dann Stroh: Was behält sie in ihren Schätzen / denn Schaum: Gleichwol / sagte Polyphilus / findet man auch Rosen unter den Dornen: Safft und Kraffe innerhalb der Rinden: klares Getränck in den Gefäsen: Korn und Wäitzen auf der Tenne: Gold und Silber in den Schätzen; Und wäre gar unleidentlich geschlossen / weil in dieser Welt viel Anläß und Gelegenheit sind zu denen Lastern / so sey ein jeglicher verderbt. Folget dann das: Wann ein anderer lüget / darff ich auch lügen: Wann ein anderer spielet / darff ich auch spielen: Wann ein anderer ein Unflat ist / soll ich auch ein Unfläter seyn? Nein / Philomathe! man findet noch einen Kern in den Nüssen: Das Marck in Beinen: Die Glut unter der Aschen: eine Traube unter den Schleen: Eine Perlen unter den Kieselsteinen: Ja / unter dem Schaum das Gold. Und halt ich vor gewiß / daß die Unsterbliche noch aller Orten ihr Heyligthum erhalten. Uberall sind Fromme unter den Bösen / Böse unter den Frommen.

Ist wol etwas geredt / versetzte Philomathus / aber wie erkennet man die Frommen unter den Bösen / wie entscheidet man diese von jenen? Schlaget selber in euch / Polyphile! und besinnet den Wandel der Welt; Wie viel sind / die unter der Tugend-Decke unsere Augen mit schändlichen Lastern blenden? Wie viel finden sich / die / mit dem Mantel der Ehren bedeckt /ihren Schalck bergen? Wie viel preisen ihre Frömmigkeit nicht nur mit Worten / sondern auch so gar durch die Werck / und halten die Boßheit heimlich in ihrem Hertzen? Wer vermag den Grund[22] zu erkennen /wann die Farben allbereit geführet sind? Wer kan wissen / wohin sich eine Schlang verkrochen / wann sie im Graß verborgen ligt? Meines Erachtens / wird Menschliche Müglichkeit / in diesem Fall / ihre Schwachheit erkennen. Sehet nun Polyphile / wie weit ihr fehlet / auch nur in diesem. Soltet ihr aber eben das auf das Band der Gesellschafft ziehen / würdet ihr die Grösse eures Fehlers weit besser erkennen. Eine unter den grössesten Glückseeligkeiten dieser Welt /haltet ihr ja das zu seyn / wann ihr gute vertraute Freunde habt / mit denen ihr euch erlustiget / und keine Feinde / vor denen ihr euch fürchtet. Freundschafft ist die Gebärerin der Gesellschafft: Freundschafft ist die Zerstörerin der Einsamkeit. Soll ich nun meinen Vorsatz enden / und mich in Gesellschafft geben / so zeiget mir einen getreuen Freund / darauf ich mich verlassen / und so sicher / als in meiner erwehlten Einsamkeit leben könne. Aber wo ist der? vielleicht nie gebohren / oder überall verlohren. Ich förchte gar sehr / es dörffte mich jene Frag und Antwort betreffen:


Was suchst du Freunde / die es treulich mit dir meynen?

Such unter Tausenden / und zeige mir denn einen.


Viel sind deren zwar / die vorwerts lachen: Viel / die freundlich mit uns reden: viel / die uns tieffe Reverentz erweisen: viel / die miteinander essen / trincken / gehen / stehen / reiten / fahren / sitzen / liegen: Viel bieten einander ihre willige Dienst an: Viel küssen einander Hände und Füsse: Viel suchen einander heim / und klagen in der Noth ihr Leyden; zeugen im Glück ihre Freuden: Welches alles dann einen Schein der waaren Freundschafft führet: Wann wir aber das Hertz besehen / und ihre Werck[23] in der Noht versuchen / finden wir offt und offt / daß viel ein anders die Wort reden / als das Hertz gedencket; viel ein bessers die äusserliche Werck erweisen / als der Will beschlossen. »Dann die vorwärts lächeln / finden wir /daß sie ruckwärts beissen: Die freundlich reden / erfahren wir / daß sie feindlich gesinnet seyn: Die einander tieffe Reverentz erweisen / sehen wir / daß sie vielmehr die Ehre stehlen: Die an einer Tafel essen /und am nächsten beysammen sitzen / erkennen wir /daß ihr Hertz wie fern ist: Die einander ihre willige Dienst anerbieten / müssen wir gestehen / daß sie offtmals lieber einander möchten fressen: Die einander Händ und Füsse küssen / ist zu erweisen / daß sie selbige viel lieber abbeissen möchten; ja! die einander besuchen / erkennen wir offt / daß sie lieber einander begraben / einander verderben / einander ermorden möchten; sich lieber freuen über seiner Noht / als klagen; lieber klagen über sein Glück / als freuen.« Solte mich dieses alles nicht die Einsamkeit vielmehr beliebt: die Gesellschafft aber verhasset machen? Und was soll ich von der Verführung sagen? Es ist wol so / daß Böse unter Frommen; Fromme unter Bösen seyn: Ich gebe zu / daß die Unsterbliche ihr Heyligthum erhalten: Ich gestehe / das nicht folge / wann einer ein Unflat sey / müsse der ander auch dieses Laster erwählen: Aber dennoch darff ich mit Warheit sagen / daß ein Verderbter den gantzen Hauffen anstecke; das Heyligthum durch böse Gesellschafft verwüstet; die Frommen von den Bösen verleitet werden. Und solches desto eher / weil der verführenden Lüste so viel sind / daß ihnen nicht leichtlich Widerstand kan gehalten werden / bevorab[24] wann unsere verderbte Natur / von sich selbst / darzu geneigt ist. Bald muß man / um Ehre zu erhalten / in ein Laster willigen: Bald / um Freundschafft zu erwerben / etwas sündliches begehen: Bald / um Schande zu meyden / etwas wieder Willen billichen. Viel Sachen thut ein Gesellschafft-liebender / die er für sich selbst nicht thäte. Er muß panquetiren / will er nicht für einen Hypocriten gehalten werden: Er muß spielen / will er nicht ein Kärgling seyn: Er muß buhlen / will er nicht für einen Einfalt gescholten werden: Er muß fressen und sauffen / will er nicht für einen Schmal-Hanß angesehen seyn: Er muß die Wollüste nehren und mehren / will er nicht ein Heiligen-Fresser / und für einen solchen ausgeruffen werden / der den Göttern die Füß abbeisse: Er muß mit lachen / will er nicht den Namen eines Sauer-Topffs führen: Er muß auch mit weinen / will er nicht / daß man ihm das Laster der Unbarmhertzigkeit beymesse: Und endlich muß er alles mit halten /was die Gesellschafft beliebet / oder zu halten erwählet. Saget mir nun / Polyphile! ob nicht die von allen denen Lastern befreyete Ruh der Einsamen / um mehr denn tausend Grad / der Tugend-stürmenden Unruh deren Gesellschaffter vorzusetzen / und weit höher zu schätzen sey?

Euren Gründen nach / versetzte Polyphilus / ists freylich so: Aber wann ich der Sach gründlicher nachdencke / finde ich dennoch / daß meine Meynung nicht allerdings verwerfflich. Euer weitläufftiger Beweiß bestehet auf zween Gründen / nemlich / der Boßheit der Menschen / und der verführenden Gesellschafft: Wann aber dieser Schluß richtig ist / wer siehet nicht / Philomathe! daß wir / auf solche[25] Art / diß gantze Welt-Hauß / in weniger / als hundert Jahren /wollen geleeret und ausgestorben haben. Eurem Schluß nach / will ich ebenmässig schliessen / daß auf diesem gantzen Erden-Kräiß / und unter dem gesammten Menschlichen Geschlecht / keine Freundschafft zu halten / keine Gesellschafft zu stifften. Ist aber das? Wo bleibet Liebe / Treue / Aufrichtigkeit /Frommkeit / Gutthat? Ja! wo bleiben alle Tugenden? Wo bleibet Freude / Ehre / Glückseeligkeit? Wo bleibet endlich die Ordnung der Unsterblichen? Alles verrauchet / wie ein Dampff / und wird verzehret / wie ein Nebel. Oder ich will schliessen / daß alle Gesellschafften tadelich / lasterhafft / betrüglich / untreu und voller Untugenden seyn. Ja! daß keine Freundschafft mit dem Band treu-gehertzter Liebe gebunden / noch mit den Fässeln der unverruckten Aufrichtigkeit bestricket. Welches doch / in Warheit / in vieler Ohren zu hart klingen / und manchen treuem Hertzen zu nahe würde geredt seyn. Darum erkennet / Philomate! wie weit ihr fehlet. Und gefällt es euch / will ich mit müglicher Kürtze weisen / wie eure Gründe /die ihr wider mich geführet / euch selber bestreiten und gefangen legen werden. Ihr schliesset dahin / daß man mit Bösen keine Gesellschafft pflegen soll: Ich rathe vielmehr das Wiederspiel. Fragt ihr die Ursach /gebe ich euch zu erkennen / ja! zu beantworten: Ob der allein weise Himmel / welcher eine solche Ordnung gestifftet / daß Gut und Böß beysammen sey /deßwegen das Gute zum Bösen gesellet / daß dieses von jenem verbessert / oder jenes von diesem verführet und vernichtet werde? Wer das Letztere behaupten wolte / würde aus der heiligen Zahl der Unsterblichen / eine verdammte Zahl der Ungerechtigkeit[26] machen: welches / wie es keinem Sterblichen möglich; also auch höchst-schädlich seyn würde. Das Erste aber zu bejahen / heisset uns die Güte des Himmels /und die Gewogenheit der Unsterblichen gegen die Sterbliche selbst. Dann auf dieser Meynung beharre ich fest / daß nicht gnug sey / Tugend lernen; nicht genug / Tugend lieben; nicht genug / Tugend wissen; nicht genug / Tugend besitzen: sondern das einige Tugend-üben besser sey / als alles Besitzen / alles Wissen / alles Lieben / alles Lernen. Wo lässet sich nun die Tugend-Sonne heller blicken / als in der Finsternüs der Laster? Wo mag die Ehren-Blume rühmlicher blühen / als unter den Dornen der Unehr? Ein Tugend-geziertes Gemüt lässet sich nicht verführen zum Bösen: sondern verführet die Bösen zum Guten. Ein Ehren-bereichtes Hertz lässer sich nicht verleiten zur Un-Ehr: sondern leitet die Schande zur Ehr. Ist also euer Schluß / geliebter Philomathe! nicht so kräfftig /als warhafftig das gesagt wird: Wer Tugend liebet /und Ehre verlanget / soll sich der Einsamkeit entziehen / und der Gesellschafft der Menschen ergeben /damit er die Großmütigkeit seines Hertzens erweise /den Lastern zu widerstehen / und die schuldige Gebühr / so ihm sein Vermögen aufleget / in Verbesserung frembder Sitten / ablege. Sehet ihr nun / Philomathe! und verstehet ihr / wohin ich ziele: so werdet ihr auch eben recht verstehen / daß nicht nur die Tugend-begabte ihre Schuldigkeit beobachten / wann sie bemühet sind / sich zu andern zu gesellen: sondern dieselbe auch weitlich übertretten / wann sie sich der Einsamkeit zu ergeben gedencken.[27]

Philomathus wuste nicht wol / wie er dieses beantworten solte; Polyphilus aber / der es ihm am Gesicht ansahe / sagte ferner: Weil ihr dann sehet / Philomathe! daß dieser euer Schluß nichts würcket oder gewinnet / so behertziget ferner meine Gründe / die ich zu erst gesetzet / vielleicht möchtet ihr die Einsamkeit gesegnen / und auf einen andern Sinn gerathen.

Ehe wird die Insul Solette / gab Philomathus zur Antwort / mich nicht mehr ihren Bewohner grüssen; Ehe wird die Tugend-verliebte Göttin das Gefängnüs ihrer Traurigkeit auflösen / als ich den Bund und das Gelübd / welches ich in meinem Hertzen gethan / brechen und entfässeln will. Ihr seyt auch / fuhr er weiter fort / gantz unrecht daran / geliebter Polyphile! in dem ihr / was ich von mir geschlossen / wollet auf die ungezehlte Meng der Sterblichen ziehen. Ist dann ein anderer auch / wie ich / gesinnet? Ich meyne / so mancher Mensch / so mancher Sinn. Mir und euch dienet die Einsamkeit / ja allen Bewohnern dieser Insul /weil sie mit mir und euch / ihr Sinnen in den Schrancken / der Erlernung guter Sitten und Künste / lauffen lassen. Wann darum nichts wäre in allem / das mir ein einsames Leben beliebig machen könte / wäre das genug / weil ich / in solchem Stand / besser und mit unverhindertem Fleiß sinnen / dichten / dencken / und solchen Sachen nachgründen kan / die wegen anderer Unruh und Verhindernus / offtermals menschlichen Gedancken verborgen / und unsern Sinnen zu erreichen unmöglich sind. Wisset ihr nicht / Polyphile! daß die Einsamkeit von den Gelehrtesten und Weisesten jederzeit sey vor eine Lehrerin der Weißheit / vor[28] eine Nehrerin der guten Sitten / ja! endlich gar vor eine Mehrerin aller zugelassenen Erlustigung geschätzt und verehret werden. Was hat Epicurum / Salustium / Lucanum und andere darzu bewogen / daß sie ihnen sonderlich das Garten-Leben gefallen lassen? einig die Einsamkeit / welche ihre Sinnen mit den Gaben der Weißheit zierete. So bin ich leicht zu überreden / daß / wofern der hochgeschätzte Virgilius / die Neapolitanische Felder / Cato sein Sabinum / Cicero sein Tusculanum / Plinius Nepos sein Laurentium / Petrarcha sein verschlossenes Thal / Ficinus sein Berg-Vorwerck / Mirandulanus und Politianus ihr Fesulanam / und Sannazar sein Mergillina nicht gehabt / oder öffters besuchet / wären sie nicht an das Gestirn erhoben / sondern wol in die Vergessenheit vergraben worden.

Als Philomathus so redte / fahe ihn Polyphilus /mit lachenden Geberden / an / und schüttelte den Kopff / anzudeuten / daß diß nicht geantwortet wäre auf seinen Einwurff: Dann / in die Rede zu fallen /verbot ihm seine geziemende Höfligkeit. Weil aber Philomathus noch unter dem Reden solches merckte /fieng er zum Polyphilo an: Was schüttelt ihr den Kopff / Polyphile! Als wann ich unrecht geredt? Die tägliche Erfahrung wird mich bey der Warheit schützen. Je freyer der Muht ist / je fröliger ist er auch in allem / das er sinnet und dichtet. Wo kan aber eine grössere Freyheit gefunden werden / als bey einem einsamen Leben; Ein einsames Leben aber erfordert auch einsame Oerter:


Ein schön begrüntes Thal; die Wald- und Felder-Freude:

Die gleichfals freye Lufft; der wilden Oerter Ruh;[29]

Und hochgespitzte Berg / die helffen gleich darzu /

Daß unser Sinn sich hebt: und eine bunte Heyde /

Auch der behaarte Pusch / die steuren allem Lende

Und fördern frohe Lust: der Brunnen leiß Gethön

Läst die Gedancken-Post / ohn Zoll und Zinse / gehn /

Wohin sie gehen will: führt sie auf frische Weide:

Gibt Weißheit und Verstand: schafft einen freyen Muth /

Der mehr in einer Stund / als sonst in zehen thut.

Auch wo das schöne Feld trägt Speise / wohl zu leben /

Wo Schatten wirft der Baum / wo weht ein leiser West /

Da dichtet unser Sinn; und wann die Sorge läst

Das Hertze hinter sich / dann kan es sich erheben.


Sehet selbst / Polyphile! auch diesen Ort / und euren eigenen Wandel an / wie gefället euch die Einsamkeit so wol / die ihr doch so hart scheltet. Ich meyne / ihr folget den jenigen / die / wann sie ja in Kriegs-Läufften aufgefordert werden / dem Feinde getrost unter Augen ziehen / und sich ihres Manns nach Vermögen wehren: Nichts desto weniger aber auf den Frieden /als ein Kleinod dessen / und ein Vorbild des künfftigen Lebens / mit sehnlichem Verlangen hoffen. Doch kan und darff ich mich nicht unterstehen / von euren Gedancken und Vorsatz etwas gewisses zu benennen /wofern ich nicht den Namen führen will / daß ich /wie jener von dem Thun des Himmels fragte: also die Hertzens-Erwählung / so menschlichen Augen verborgen ist / kündigen wolte. Was aber meine Person anlanget / gesteh ich gern / daß ich nicht gleich sey jenem Wunder-Fisch / welcher sonst Abides genennet wird. Dieser lebet und nehret sich eine geraume Zeit im Wasser / nach Art der andern gemeinen Fisch: Wann er aber alt wird / steiget er aus dem Wasser /auf das trockne / und machet sich so ferne vom Ufer /daß er solches die Zeit seines Lebens nimmer siehet /nimmer suchet: wohnet auf der Erden / nehret sich[30] von der Erden / und wird einem Erden-Thiere gantz gleich: Daher er dann nicht mehr Abides / sondern Astoitz genannt wird. Gleich so hab ich mich / aus dem trüben Wasser der weltlichen Lust und Unruh /in den sichern Port der Einsamkeit begeben / nach dem ich meine Jahr so hoch geführet: will auch nunmehr bey dieser angenehmen Verharrung bleiben / so lang die Lebens-Göttin meinen Faden nicht reissen wird. Und werdet ihr euch vergebens bemühen / meinen Vorsatz mit euren Widerrath zu bestreiten / massen ich die Zeit meiner Tage mich nie vergnügter oder beseeligter befunden / als weil ich meine Sinnen von der Welt abgerichtet / und allein zu leben erwehlet.

So seyt ihr gewiß / sprach Polyphilus schertzweiß /befreundet mit dem / von welchem ich unlängsten bey Dion im Hadriano gelesen / daß / nach dem er von den Regiments-Ehren entsetzet / in die wilde Felder vertrieben / und allda 7. Jahr lang verharret / nach seinem Tod / ihm dieses Innhalts eine Grab-Schrifft verfertigen lassen:


Hier ligt der Wunder-Mann an diesem Ort begraben /

Der vor so lange Zeit / nur sieben Jahr wolt haben /

Die er mit Glück gelebt: An Jahren war er alt /

Und lebte doch nicht lang: sturb der nicht gar zu bald?


Aber / fuhr Polyphilus weiter fort / wem nutzet ihr in diesem euren Leben; werden auch andere zu euch heraus kommen / und Weißheit holen? Oder seyd ihr allein zu eurem Nutzen gebohren? Was frommet ihr euer Ehre und Nachruhm? Wird selbigen auch die Einöde erheben / oder werden ihn die unbezungte Felder besingen? Vielleicht folget ihr denen einsamen Schwanen / mit welchen (wann die Freyheit der Poeten / nicht etwa ein Gedicht / vor Warheit verkauffet) einsmals die Gesellschafft-liebende Schwalben[31] ein Gefechte angefangen / und ihnen aufgeruckt / daß sie vor den Menschen jederzeit furchtsame Flucht nehmen / und ihrem Schutz sich nicht vertraueten / auch ihre lieb-singende Stimme denen menschlichen Ohren nicht vergönneten: sondern / als die Einsame / fort und fort nur in den Wiesen / Flüssen / Wäldern und Feldern allein lebten / auch gar wenig / und nur vor sich selbst sängen / gleich als schämeten sie sich ihrer röchlenden Stimme: Da hingegen sie in den Städten /Stuben und Kammern / bey den Menschen frey und sicher girren und kirren dörfften / und alles ihr Thun und Verrichtung erzehlen. Welchem Geschwätz die Ruh-begierige Schwanen mit diesen Worten geantwortet: Unsre belobte und beliebte Gesänge zu hören / kommen wol gar die begierige Menschen in unsre Einöde / und verlassen die Stadt: Ihr aber seyd den Leuten auch in ihrem Zelt und Gebäu beschwerlich / und könnet euer unnötiges Schwatzen nit lassen / ob euch noch einmal die Zung beschnitten wäre. Gebet ihr mir auch die Antwort / mein Philomathe! und seyd ihr so gesinnet / will ich euch / mit meinen widrigen Reden / nicht länger verdrießlich seyn.

Dieser Schertz / wiewol er den Philomathum zum Lachen bewegte / mochte doch nicht so höflich vorgebracht seyn / daß er nicht deßwegen Polyphilum straffte / und zu vernehmen gab / wann man von ernstlichen Dingen rede / solle man anderer vergeblichen Unnötigkeiten vergessen: Wäre also sein Begehren / so er ferner einen Einwurff thun wolle / die Einsamkeit zu bestraffen / soll er die noch übrige kurtze Zeit nicht mit andern unnützem Geschwätz verderben.[32]

Polyphilus merckte wol / daß dieser Eyfer nirgend anders herrühre / als aus der Scham / die daher erwachsen / daß er ihm auf seine Gründ nicht antworten können / und hätte solches gern erinnert: aber die gebührende Schamhafftigkeit hielt ihn im Zaum / darum er in folgende Wort heraus brach: Der Einwurff / so noch übrig / ist dieser / daß ich alles / was ihr auf eure Person ziehet / gern zugebe / und gestehe / daß einem Kunst-sinnendem nichts bequemers / als die einsame Oerter; auch liebe ich in diesem Lieben selbst dieselbe: Aber wie werdet ihr / auf solche Art / die Tugend-Göttin dieser Insul / und ihren Vorsatz / der Anklag befreyen? So viel hab ich doch mit meinen Gründen erwiesen / daß sie unbillich und wider die Tugend handele / in dem sie die Einsamkeit erwählet. Und wolt ihr / Philomathe! sie schützen / müsset ihr mir auf das antworten / was ich euch zu allererst entgegen gesetzet.

Gar wol / sagte Philomathus / dann das ihr / Polyphile! gesagt / von der Vorsehung des Schöpffers / ist solches nicht überall gleichgültig / sondern nach Gelegenheit der Zeit und Ort zu ändern. Mit nichten /versetzte Polyphilus dawider / Gottes Schluß bleibet /wie er ist / daß er aber / durch den Widerwillen der Menschen / offt nicht vollbracht / sondern verhindert wird / das ist eben menschlicher Widerwille / der mehr zu schelten / als zu loben. Und daß wir dessen nicht mehr gedencken / was saget ihr von der Hertzens-Betrübnüs / welche eine Ursacherin ist der Einsamkeit / und endlich in eine Verzweifflung stürtzet? Philomathus antwortete: das sey ferne von unserer Göttin! Ja! sagte Polyphilus / so sey auch ferne von ihr die verführende[33] und betrübte Einsamkeit. Und /fuhr er weiter fort / was sagt ihr zu dem / daß ich diß Gefängnüs einen Fecht-Platz der höllischen Geister genennet? Dieses brauchet einen grossen Beweiß /gab Philomathus zur Antwort: und Polyphilus: Nicht so groß / als ihr vermeynet. Möchtet ihr ein wenig in die alten Historien gehen / und euch eines und andern besinnen / würdet ihr die Warheit mit Händen greiffen. Soll ich euch nochmal in das Buch der Offenbahrung führen / so gedencket an die Mutter aller Sterblichen: Wäre Eva nicht allein gewesen / wäre sie nicht von dem Höll Geist verführet worden. Was soll ich von Loth sagen? da er allein war / beschlief er seine Töchter. Was vom Aaron? da er allein war / richtete er das güldene Kalb auf. Was von David? da er allein war / gewann er die Bathseba lieb. Was vom Saul? da er allein war / plagte ihn der Geist; und noch andere mehr / die nur zu erwehnen / euer selber Wissen und Besinnen Verbot gibt. Meynet ihr aber / daß eure Göttin / welche gleichwol auch menschlichen Schwachheiten unterworffen / von dem befreyet? Ich zweiffle sehr. Was wird mir zur Antwort werden /wegen der gebührenden Hülff / so ein Mensch dem andern schuldig? Wer allein ist / wie wird er andern helffen? wie wird ihm von andern geholffen werden? Ein Wandersmann / wann er allein ist / irret leicht /und fället den Mördern in die Händ / dieweil ihm keiner den Weg zeiget.

Das ist wunderlich geschlossen / fieng Philomathus an / und schicket sich nichts weniger auf unsre Göttin. Ihre Einsamkeit müsset ihr nicht so deuten / als wann sie von allen verlassen / sich zu keinem[34] Menschen geselle: Nein / das Gelübd gehet bloß auf den Vorsatz /der unverehlichten Glückseeligkeit / welche sie geredt / und zu halten gesinnet. Ist eben recht / sagte Polyphilus / wird dem nicht geholffen / der allein ist /von einem fremden oder sonst unvertrauten Freund: So wird auch dem nicht geholffen / der allein ist /ohne dem Vertrauten / von seinem vertrauten Freunde. Was ist das geredt? fragte Philomathus: dem Polyphilus antwortete: Die Meynung ist diß / je lieber und näher mir einer ist / je fleissiger und getreuer ist er. Ein Getreuer aber hilfft mit seiner Treu: Der mir aber nicht verbunden / verlässt mich gar. Fällt nun der so keinen Vertrauten hat / wer wird ihm helffen? Der sich aber seines Erwählten getrösten kan / weiß wieder aufzustehen. Weißlich hat daher geredt der Weiseste unter der Sonnen / wann er gesprochen: Es ist je besser zwey denn eines / denn sie geniessen doch ihrer Arbeit wol. Fället ihrer einer / so hilfft ihm sein Gesell auf. Wehe dem! der allein ist; wann er fällt / so ist kein ander da / der ihm aufhelffe. Auch / wenn zwey beyeinander liegen / wärmen sie sich; wie kan ein einzeler warm werden? Einer mag überwältiget werden / aber zween mögen widerstehen; denn eine dreyfache Schnur reisset nicht leicht entzwey. So hat der weise Salomon geschrieben: Was saget ihr darzu?

Quelle:
Maria Katharina Stockfleth: Die Kunst- und Tugend-gezierte Macarie, 2 Bände, Band 1, Nürnberg 1669, S. 18-35.
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