Vierter Absatz

[35] Beschreibet den Abschied Philomathi / mit Versprechung der Wiederkehr / welcher / durch den Vorwitz Polyphili / vergebens wart / der ihn / Polyphilum /[35] mit Lebens-Noth / weit von dannen geführt: Lehret / wie wir unser Glück offt selber muthwillig verschertzen.


Philomathus hätte gern geantwortet / aber es begunten sich allgemählig die Strahlen der Sonnen hinter die Berge zu verstecken / und warff die einfallende Nacht ihren Schatten zusehens herein: Derentwegen Philomathus stillschweigen / die grünen Matten verlassen /wieder zu Hause kehren / und von dem Polyphilo Urlaub nehmen muste: doch mit dem Vorbehalten / daß /so bald der morgende Tag diesen Nacht-Teppich wiederum aufdecken würde / wolle er / um ihr angenehmes Gespräch zu vollführen / sich wiederum an diesem Ort antreffen lassen / und ihm / dem Polyphilo /nicht nur gnügliche Antwort / auf seine gethane Einwürff; sondern auch von dieser Insul / und deren Innwohnern / sonderlich aber von der Tugend-Göttin /mehrern Bericht ertheilen.

Polyphilus bedanckte sich garschön / nicht nur wegen der schon-erwiesenen Dienstfertigkeit: sondern auch des beschehenen Versprechens / mit Erbietung /daß er solchen erwünschten und verlangten Gefallen zum Pfand Gunst-geneigter Gewogenheit annehmen /auch mit aller seiner / zwar geringen / doch so willig-als schuldigen Dienst-Vermögenheit wieder ersetzen wolle. Und damit hiessen sie beyde einander wol ruhen. Philomathus suchte seine Insul: Polyphilus aber voller Verlangen / und begierig dasselbe / wovon er zu seiner Betrübnüs gehöret / zu erlangen / kondte nicht den geringsten Schlaff annehmen: Darum er sich / Zeit und Weil zu kürtzen /[36] auch die eingeschlichene Melancholey zu vertreiben / wiederum zu Schiff setzte / in willens / diesen Peneus-Strand völliger zu besehen / und aller Orten seine Beschaffenheit zu erkundigen / auch wo müglich / in die Insul selber zu gelangen: Welch sein Vornehmen dann nicht wenig stärckete / daß die funcklende Nacht-Fackeln / mit samt Cynthia / ihr Silber-Liecht aufgestecket / und die umschattete Finsternüs aller Orten erhellet / daß es sich mehrentheils einem liechten Tag gleichete: Aber alles zu seinem grossen Unglück! Dann / so bald der arme Polyphilus in die höhe gefahren / verlohr er alles Liecht / spürete rauhe Winde / dicke Finsternüs / aufgelauffene Wellen / und das alles in einem Augenblick / so gar / daß er nicht anders klagen kondte / als das gantze Gestirn hätte sich / mit denen Elementen /ihn zu verderben / verschworen. Und ob er wol mit halb-nächtiger Arbeit / und mühsamen Beginnen /sein / von dem Wellenwerffenden Strom / schon halb-ertödtes Leben / endlich errettete: wurde er dennoch /durch der Winde grausames Brausen / mit seiner tieffsten Bestürtzung / nicht nur von dem beliebigen Peneus-Strand / in einen andern gleich unbekandten / ja auch viel unangenehmern Strom verleitet; sondern auch so ferne geführet / daß alle Arbeit und Kräffte vergebens angewendet scheineten / wann er seine vorige Freuden-Geniessung wieder suchen / und / an dem bestimmten Ort / von Philomatho fernern Bericht haben wolte.

Doch dennoch / ob die blosse Unmüglichkeit an der hellen Sonnen war / wolte gleichwol Polyphilus /durch seine erhitzte Begierde und Großmütigkeit des Hertzens / anheut erweisen / daß nichts so schwer und gewaltig sey / welches nicht von unnachlässigem[37] Fleiß / und List-erfundenen Räncken überwältiget werden köndte. Darum er mit Fuß und Händen / auch über sein Vermögen / wider die Winde zu segeln / die auflauffende Wellen zu bestürmen / und an seine verlorne Lust-Insul wieder anzuländen arbeitete: hätte auch bey nahe die Zeit getroffen / wann nicht selbst sein Trotz-begieriger Vorsatz / den Zorn der tollen Wellen / und Grimm der wilden Fluthen immer mehr ereyfert und erhitzet hätte.

Philomathum hatte sein höfliches Versprechen zu ernandter Zeit wieder zu ruck bracht: aber Polyphilum hielt / theils seine Vermessenheit / theils der unnötige Vorwitz / gefangen. Und wie es gemeiniglich zu geschehen pflegt / wo gestern das wankende Glück / mit lachenden Geberden / gespielet / da ziehet es heut /mit voller Grimmigkeit den Gewinn heim: Also muste Polyphilus zum Spiel-Raub werden / und dem verbosten Neid / des widerwertigen Glücks / ein erbärmliches Schau-Spiel anstellen / mit seiner unglückhafften Schiffart. Dann bald ließ es ihm / als aus mitleidender Erbarmung / die verlangende Peneusische Wasserwogen / von dem erhöheten Fluß / in der ferne / sehen: hielt ihn aber dabey / daß er nichts dann die Augen /und diß zwar nur mit Betrübnüs / weiden kondte. Bald gebot es einem wolfügigem Westen / daß er ihn und seine Segel gar auf den ernanten Fluß führete / so gar / daß er / aber mit grossem Hertzenleid / der hefftig-begehrten Insul ansichtig wurde: hielt ihn doch dabey / daß er nicht erlangen kondte / was ihm seine Augen zu erlangen müglich / vorbildeten. Endlich kam er durch des falsch-gewogenen Glücks Regierung so weit / daß[38] er den erwünschten Philomathum / wiewol mit Forcht und Schrecken / ersiehet / und nun gedencket / sein Verlangen zu ergäntzen: Aber es ergriff ihn ein gestrenger Sturm / durch dessen Widerwertigkeit / er in dem feindlichen Gewitter / dermassen verworffen wurde / daß er nicht nur die Insul und Philomathum; sondern so gar auch sein Schiff verlohr /weil es unter ihm zerschmettert / Polyphilo / der mit Wellen bedeckt wurde / den Tod ansagte.

Was thut aber die gütige Vorsehung des Himmels? Ob Polyphilus nicht wuste / wie ihm geschehen / und wo er hinkommen; bleibt er dennoch fest auf einem Schiff-Balcken / darauf er sein so scheinendes noch kurtzes Leben erhielt / auch aller andern Gedancken vergessend / einig sich dahin bearbeitete / wie er / selbiges folgend zu erhalten / ans Land gelangen möchte. Alle arbeit aber war umsonst / und mochte nichts helffen / daß er nicht / den gantzen folgenden Tag durch / (da ich leicht glaube / daß selbsten das Unglück die Sonne aufgestecket / und die Widerwertigkeit das Liecht leuchten lassen /) in Wasser- und Wellen-Gefahr schweben / und gleichsam ertödtet leben muste: biß er endlich durch die mitleydige Hand der Unsterblichen errettet / wieder zu Land kommen / und an einen zwar sichern Port anlendete / aber der bey weitem der Insul Soletten / und deren vermehrten Wald- Feld- und Berg-Freuden nicht zu vergleichen.

Wie schmertzhafft damals seinen Sinnen muß gewesen seyn / kan ein jeder leicht gedencken. Nun /dachte er / ist alles verlohren: nun sehe ich Philomathum nicht wieder: wie dann auch geschehen. Er hebte an / sein Unglück zu beklagen / seine Betrübnüs zu beweinen / seine Schmertzen zu beseufftzen; auch[39] vor grossem Unmuth diese rasende Winde und ergrimmte Wellen / die ihm alles Glück und Nutz-bringende Freude erträncket / durch des Himmels Verderben zu verfluchen. Doch halff es alles nicht / er muste sich in seinem Elend zu frieden geben / und dancken / daß er sein Leben errettet / und wieder auf ein trucknes Land kommen. Da wir Polyphilum eine weil ruhen lassen /und sehen / was Philomathus gethan.

Quelle:
Maria Katharina Stockfleth: Die Kunst- und Tugend-gezierte Macarie, 2 Bände, Band 1, Nürnberg 1669, S. 35-40.
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