Die Turteltaube

[265] Ode.


Im Jahr 1812.


Mein Turteltäubchen girrte, die süßeste

Der Wehmuthsstimmen athmete Liebeshauch

Aus Unschuldskehle – ach, und doch mir

Dröhnt' es in Mark und Gebein ein Donner!


Sangst, Sehervogel, warnende Töne du?

So deutet's Reue. – Brausender schnob empor

Mir Grolles Lohe, hadernd mit den

Gräuelgeburten der trüben Stunde.


Da girrt' es! Hauchte, Turtelchen, dir allein

In's fromme Herzchen schmachtendes Sanftgefühl

Allvater, ach und linde, wie dein

Busengefieder, die Sehnsuchtsseufzer?
[266]

Da schwieg die Windsbraut, löschte den Flammenblick

Die milde Zähre. – Zwar das Gefilde lag

Noch vor mir schwer an Jammerssaaten,

Saaten des Drangsals und schnöden Frevels;


Doch still und stiller ward's, es umsäuselten

Mich leise Lispel, flüsterten, deuteten

Auf jene Vaterhand, die Sonnen

Gängelt, und schützt in dem Nest den Sperlig.


Ich hub das Aug', es schimmerte Hesperus

Und Luna's Nachen – Ewig unwandelbar

Dort oben wallt der Sterne Reigen,

Knospet hienieden und blüht die Rose,


Drehn Freud' und Kummer wechselnd im Ringe sich,

Brautkuß und Thräne, sie die den Aschenkrug

Der Unsern netzt – Kartaunen brüll'n, es

Schlummert der Säugling im Schooß der Mutter.


Getrost! Vom Himmel steiget zu uns herab,

Wie Edens Rosen blühend, und flammender

Als Sonnen, Liebe, die uns reicht das

Leitende Knaul in des Lebens Irrgang.

Quelle:
Gesammelte Werke der Brüder Christian und Friedrich Leopold Grafen zu Stolberg, Band 2, Hamburg 1820, S. 265-267.
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