Mamia's Grabschrift

1812.


India's liebliche Tochter, wohin sind entflohen die Gaben,

Schooßkind du der Natur, die sie so milde dir gab.

Schönheitsblüthe, Zauber des Reitzes? – Sieh' es entschwebt aus

Scheiterflammen der Geist, herrlich ein Phönix empor!

Liebe hatte gewebt dein zartes Gewebe, dich opfernd

Deinem Geliebten, und wie? gab dir die Liebe den Tod.

Kehrest du wieder zur Erde, so falle deiner Gespielinn

Seliges Loos auch dir, welches ihr Sänger uns sang!


Anmerkung. In der holländischen Beschreibung einer ostindischen Reise von van Haffner, finden wir eine junge Bajadere, die durch Treue, Liebe und bis in den Tod zur Rettung des Geliebten, eine sich selbst vergessende Aufopferung bewies, die auch durch die trocknen und kalten Worte jenes Handelsmannes, dem Leser tief in's Herz dringt.

Wer in uralter Orientalischer Sitte und Religionslehre kein Fremdling ist, der wird weder Mamia, noch den hohen Sinn jener, hier angedeuteten, sich auszeichnenden Dichtung von Goethe, verkennen.

Quelle:
Gesammelte Werke der Brüder Christian und Friedrich Leopold Grafen zu Stolberg, Band 2, Hamburg 1820, S. 259-261.
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