Rundgesang am Geburtstage der Frau Gräfinn Julia von Reventlow

[221] Den 16ten Februar 1805.


Mit strahlbekränztem Haupt' entsteigt

Die Nachtbesiegerinn

Dem Meer', Orions Flamm' erbleicht

Und schwindet vor ihr hin;

Des Adlers Gruß, der Lerche Sang,

Des Menschen Dank

Schallt, Sonne, dir zum Lobgesang.


Alle.


Heil ist ihr Gang,

Ihr singt, was lebt, den Preisgesang.


Sie steigt, schaut Jammer, schauet Noth

In Hütt' und Prunkpallast,

Der Wittwe bittres Thränenbrod,

Zahlloser Leiden Last,[222]

Des Dünkels Ohr für Weisheit taub,

Ein fallend Laub

Freiheit und Recht, der Buben Raub.


Alle.


Sie schaut in Staub,

Ach, Gottes Heiligthum in Staub!


Hoch über Sternenbahn entspringt

Ein Quellchen, perlenrein,

Empor, wer sich zum Brünnlein schwingt,

Den labt der Tröstung Wein.

Drei Jungfraun stehn am Quellenrand,

An Hoffnungs Hand

Glaub' und o Liebe knüpft das Band!


Alle.


Ein Himmelspfand

Dem Pilger in dem Erdensand!


Heut wenden Sonn' und wir uns ab

Von aller Gräuel Pest,

Der Jungfraun Chor schwebt selbst herab

Und segnet unser Fest;

Sie weihen, was der Wünsche Schaar

Bringt opfernd dar,

Stehn Priesterinnen am Altar.


Alle.


Ein Flämmchen klar

Wallt, Liebe zündet's, vom Altar!
[223]

Ach aber blind ist unser Blick

Für ächter Wage Loth,

Des Wahns Begierde lechzt nach Glück,

Was Gold ihm dünkt, ist Koth!

Er droben, frommt's Ihr, laß geschehn

Das, was wir flehn,

Doch frommt's Ihr nicht, in Dunst verwehn!


Alle.


Frommt's Ihr, geschehn,

Was unser Wunsch nicht wagt zu flehn!


Er, der des Geistes Schwung Ihr stimmt

Zu Sphären-Melodie,

Des Herzens Saitenspiel Ihr stimmt

Zu Himmels-Harmonie – – –

Sie schmachtet! – – Er, der nimmt und giebt,

Er, segnend, trübt

Den Erdentag Ihr, die Er liebt.


Alle.


Ach, Kleinmuth trübt

Den Trost, den Lieb' und Glaub' uns giebt!


Stolz schied das Jahr, es flocht' um Euch

Des Silberfestes Kranz,

Der, wonneduftend, segensreich

Erschien in Hespers Glanz;[224]

Hell, wie Aurora's Lenzgewand,

Als Hesper schwand,

Strahlt nun erneut des Bundes Band.


Alle.


Von Engelhand

Gewebt für's bessre Vaterland.


Schließt, Freunde, eng und enger schließt

Den Ring in Herzverein,

Des Lebens Bächlein uns verfließt

Und unsre Zahl ist klein.

Je mehr der Phalanx schmilzt, je mehr

Zu Schild und Speer

Verbündet sei das kleine Heer!


Alle.


Wir schaun umher,

Ach manche Stelle sehn wir leer!


So sammelt sich der Vögel Zug,

Gesondert Art und Sinn,

Eh' auf sich schwingt ihr Wanderflug

Zum schönern Ufer hin. –

Horcht! Unsers Festes Leyermann

Vertraut uns an,

Schon hauch' ihn Herbstes Odem an.


Alle.


Das heut' begann,

Das Blümlein, heut' auch welken kann!
[225]

Verschmäh', den Wonn' und Wehmuth giebt,

Der Zähre Dank Du nicht,

Wenn oft uns Sturm und Nacht umgiebt,

Strahlt Hellung uns Dein Licht. –

»Meins?« – Wer's Dir zündet, wissen wir,

Nur nach Gebühr

Dankt unsre Wonn' und Wehmuth Dir.


Alle.


Dir opfern wir

Dank, nimm ihn auf, und Liebe Dir!

Quelle:
Gesammelte Werke der Brüder Christian und Friedrich Leopold Grafen zu Stolberg, Band 2, Hamburg 1820, S. 221-226.
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