79. Elegie auf Vater Bodmer

[143] 1783.


Ruhe dir im Schoße der Erde, heiliger Sänger!

Fernher tönet dein Lob, wie an der Limmat es tönt!

Keine Klag' erschall' an der Gruft des heiligen Sängers,

Denn reif senkte sein Haupt sich wie die goldene Frucht.

Trocknet, trocknet die Thränen, und schnell, ihr Freunde des Greises,

Denn sein freudiger Geist schwebt um die nächtliche Gruft.

Hört ihr, seht ihr ihn nicht? Wie weht der rauschende Fittich!

Gleich des Sirius Strahl flammt der Unsterblichen Blick.

Lavater, siehst du ihn nicht mit scharfem Auge des Sehers?

Sehn des zärtlichen Heß redliche Augen ihn nicht?

Singt entflammten Gesang, auf daß der Himmlische weile;

Täuschet den Sonnendurst, der ihn auch itzt noch durchglüht.[143]

Mich auch hört er vielleicht, wiewohl sich zwischen der Eider

Und der Elbe mein Lied, fern von den Alpen erhebt.

Sänger, wenn du mich hörst, so umrausche die Schläfen des Mannes,

Welcher von Herzen dich ehrt, welcher von Herzen dich liebt.

Dem als Jüngling die Thräne der Freude von glühenden Wangen

Stürzte, da er dich sah, da er umarmte den Greis.

Damals hatten dich schon, gleich einer schattenden Eiche,

Siebenundsiebenzigmal rollende Sonnen erhellt.

Sieben wärmten seitdem die weißere Scheitel des Greises;

Leise pflückte der Tod dich, wie mit schüchterner Hand.

Herzlich freut' ich mich oft ob deines Lebens, und freue

Deines Todes mich auch; denn du entschlummertest sanft.

Aber es schmerzet mich eins: daß du, mit bebender Rechte,

Gegen den, der dich liebt, zuckend den Bogen ergriffst,

Zwar du trafst mich nicht, vom irrenden Alter getäuschet,

Doch du spanntest, und das that in der Seele mir weh.

Fürder zürnest du nicht, und ich werde wieder dich sehen,

Wo uns Vater Homer, ob du auch zürnest, versöhnt.

Wo die heiligen Sänger von allen Zeiten und Zungen

Sich versammlen, und wo ewiger Lorbeer sie kränzt.

Dort wird Bodmer mit mir dem Celten Ossian lauschen,

Und den Barden verzeihn, daß sie nicht Phöbos beseelt.

Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 50,2, Stuttgart [o.J.], S. 143-144.
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