89. Die Bitte

[161] 1789.


Liebt' ich sie mehr, als dich? Ich liebte mehr sie,

Darum nahmst du sie mir! Den Wonnebecher

Trank ich, dankte, lobte den Geber; liebte

Heißer die Gabe!
[161]

Dennoch erbarmtest mein dich, als sich schlossen,

Meine Himmel auf Erden! ihre Augen!

Als die kalte Lippe des Jammervollen

Küsse nicht fühlte.


Wilder Verzweiflung wehrtest du! Du schmeidigst

Meinen starrenden Gram! Du gürtest, kräftigst

Mich zum schweren Wandel des öden Lebens,

Zeigest das Ziel mir!


Ach, an dem Ziele harret mein im Kranze

Ewigduftender Wonne meine Agnes!

Und die Liebevollste der Liebevollen

Liebt mich im Himmel!


Schwebet herab vielleicht zu mir, und lächelt,

Wenn dem Einsamen hold ihr Traumbild lächelt,

Bildet süße Täuschungen, lockt aus welkem

Auge mir Thränen!


Aber ich seh' sie nicht! – ich soll aufs Ziel schaun!

Darum seh' ich sie nicht! sie war mein Abgott!

Wollt's nicht! will's im Himmel nicht sein! und hüllet

Liebend in Nacht sich.


»Liebst du mich mehr als Ihn?« so fragte warnend,

Als sie lebte, die Holde! Denn sie liebte

Mehr als mich, Allliebender, dich! Der Weiber

Zärtlichste, mehr dich!


Siehe, sie fühlte nicht des Engels Hippe!

Schnellgereifet am Strahle deiner Liebe

Fiel in deine lösende Hand sie, schien mir,

Tot schon, zu schlummern!


Lehre mich lieben, wie sie liebte! Laß mich,

Wie nachreifende Frucht, im Sand des Trübsals

Mürbe werden, zeitigen für die schöne

Stunde des Festes!
[162]

Sei mir gesegnet, Stunde, jüngstgeborne

Schwester freudiger und durchweinter Stunden!

Schöner einst, als jene, da sprachlos Agnes

Herzte den Erstling.


Dann ist sie wieder mein! und wonnetrunken

Seh' ich wieder mein Weib, und rufe: Du bist

Geist von meinem Geiste! Bist Herz von meinem

Herzen, o Agnes!


Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 50,2, Stuttgart [o.J.], S. 161-163.
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