[Venedig schwindet in des Meeres Düften]

[277] Venedig schwindet in des Meeres Düften,

Schon rankt sich farbig in Gewind' und Lauben

Des Herbstes Rebe über samtnen Triften.


Der erste Staub beginnt am Weg zu stauben,

Und fast verwundert hör' ich wieder Pferde

Nach langer Zeit im Morgenwinde schnauben.


Doch fast erbittert mich die grüne Erde! –

Du edle Stadt aus Wasser und aus Steinen,

Weiß Gott, wann ich Dich wiedersehen werde.


Als wie ein Traumbild willst Du uns erscheinen,

Und wie ein Traumbild seh' ich Dich verwehen,

Und schaue nach und möcht' am liebsten weinen!


Denn wer gehört das Lied der Meeresfeen,

Der starrt so lang' ins feuchte Aug' der Tiefe,

Bis er versinkt – und wird nicht mehr gesehen!


Und wenn mich nicht ein andres Auge riefe,

So scheu und tief, wie Adria's Gewässer,

Geblieben wär' ich, bis mein Herz entschliefe –


Und nirgend schläft ein müdes Herze besser!

Quelle:
Moritz von Strachwitz: Sämtliche Lieder und Balladen, Berlin 1912, S. 277-278.
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