Ein Wort für die Kunst

[106] Die Zeit ist tatendurstig, tatenschwanger,

Die Freiheitsmütze prahlt auf kühnen Stirnen,

Das Diadem, der Purpur hängt am Pranger.


Durchs Reich der Dichtung geht ein tobend Zürnen,

Der Aufruhr flutet um die höchsten Spitzen,

Rotglühend aus vulkanischen Gehirnen.


Aus tausend Federn läßt er Flammen spritzen,

Aus tausend Zungen ruft er zu den Waffen,

Aus tausend Mänteln läßt er Dolche blitzen.


Die Dichtkunst ward zur Fechtkunst umgeschaffen,

Sie muß dem Arme der Vernichtung dienen,

Muß Speere schütteln oder Bogen straffen.


Sie hau'n mit ihr nach Thron und Hermelinen,

Sie werfen sie als Pechkranz auf die Zinnen,

Sie dienen nicht der Kunst, die Kunst dient ihnen.


Wann wird der zornige Strom das Meer gewinnen?

Wann löscht die Glut, wann grünt es in den Talen?

Wann wird man wieder süße Lieder sinnen?


Es trägt die Kunst ihr eisern Los mit Qualen.

Laß, Herr, die Göttliche in ihrer Hoheit

Nicht untergehn, ein Opfer der Vandalen,

In dieses Meinungsstreits ergrimmter Roheit!

Quelle:
Moritz von Strachwitz: Sämtliche Lieder und Balladen, Berlin 1912, S. 106-107.
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