Dritte Szene

[39] Curt. Lenore.

Curt will gleichfalls ab.


LENORE. Mir scheint, daß wir miteinander zu sprechen haben, Curt.

CURT. Wir? ... Hä? Nein.

LENORE. Und du trägst kein Verlangen, mich zur Rechenschaft zu ziehn?

CURT. Dir scheint es nicht zu passen, daß ich mich ein wenig in der Welt umsehe ... Weil du vier Jahre älter bist als ich und mich einmal gehn gelehrt hast, möchtest du mich noch immer am Gängelbande halten. Du – aber gehn kann ich nun ... Es gibt sogar Damen, welche behaupten, ich ginge zu weit ... Bitte, laß mir meine Façon, selig zu werden.

LENORE. Ich habe dir nie einen Vorwurf gemacht. Spiele den Lebemann, so viel du willst. Aber habe den Mut, es zu bekennen.

CURT. Würde mir schlecht bekommen!

LENORE. Du spielst den gehorsamen Haussohn, um dich hinterher über die Eltern lustig zu machen. – Glaube mir Curt, so richtest du deinen Charakter zugrunde.

CURT belustigt. Ach?

LENORE. Und um eines fleh ich dich an: Dies Haus und seinen Bezirk – die halte heilig.

CURT. Da wären wir nun mit Gottes Hülfe.

LENORE. Weißt du, was man zischelt und raunt hinten in den Höfen und Werkstätten? Daß du die Schwester Robert Heineckes mit deinen Aufmerksamkeiten verfolgst – daß du –[39]

CURT achselzuckend. Ja, wenn du dir gestattest, den Klatsch der Hintertreppen herumzutragen!

LENORE. Curt – nicht diesen Ton! Ich habe dich heut vor den Eltern geschont. Das nächste Mal tu ich es nicht ... Und vor allem eins: Robert ist zurückgekehrt ... Wenn er seine Schwester schuldig fände ... Sei still, ich fürchte es nicht ... ich würde nicht wagen, es zu fürchten ... Aber das Mädchen ist eitel und leichtsinnig ... Wenn es so wäre ... Und durch deine Schuld, Curt, nimm dich in acht! ... Er würde dich zerschmettern.

CURT. Wer? Mein Commis? – Mit seinem Probenkoffer.

LENORE. Ah! ... Und daß du dich dazu hergibst, diesen deinen Commis zu bestehlen, daran denkst du nicht?

CURT. Was sind das für Ausdrücke? ... Bestehlen – um was denn?

LENORE. Um seine Stellung vor der Welt! Um seinen guten Namen?

CURT. Den Namen Heinecke. Pah!


Wilhelm bringt zwei Visitenkarten, die er Lenoren überreicht.


LENORE. Besuch für dich!

CURT. Wer denn?

LENORE. Lies!

CURT. Lothar Brandt ... Hugo Stengel ... Ach, ich lasse bitten. Wirft die Karte auf das Tischchen rechts. Diener ab.

LENORE wirft sich in den Schaukelstuhl.

CURT. Zeichen und Wunder. Du läufst ja heute nicht davon!


Quelle:
Hermann Sudermann: Die Ehre, Stuttgart 1974, S. 39-40.
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